Istanbul - In Istanbul ist es in der Nacht zum Mittwoch zu den schlimmsten Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten seit Ausbruch der Proteste gegen die Regierung vor knapp zwei Wochen gekommen. Die Polizei lieferte sich über Stunden hinweg auf dem zentralen Taksim-Platz immer wieder Kämpfe mit Gruppen von Protestierenden bei dem Versuch, den Platz zu räumen. Am Mittwochmorgen war der Platz menschenleer, nur noch übersät mit Teilen der von Bulldozern abgerissenen Barrikaden, die die Demonstranten errichtet hatten. Erstmals seit fast zwei Wochen passierten wieder Taxis den Platz.
Einige hundert Menschen verharrten aber in dem in unmittelbarer Nähe liegenden Gezi-Park. Dort hatten die Proteste ihren Anfang genommen. Ursprünglich richteten sie sich gegen die geplante Bebauung des Parks, wuchsen sich aber zu einem gesellschaftlich breit unterstützten Protest gegen Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan aus.
Erdogan trifft Vertreter der Protestbewegung
Erdogan hat für den heutigen Mittwoch ein Treffen mit führenden Vertretern der Protestbewegung angekündigt. Die Demonstrierenden bezeichnete Erdogan mehrfach als "Gesindel". Auch hat er klar gestellt, dass er vor den Demonstranten "nicht auf die Knie gehen" wird.
Auf die Medien übt die Regierung Druck aus. Die Rundfunkbehörde erklärte, gegen vier Fernsehkanäle werde wegen ihrer Berichterstattung über die Prostete eine Geldstrafe verhängt. Vergangene Woche erschienen sieben Zeitungen mit einer identischen Überschrift. Sie zitierten Erdogan mit den Worten, er und nicht die Demonstranten sei der Garant für Demokratie.
Erdogan wurde vor allem aus den Ausland gegen sein hartes Vorgehen gegen die Demonstranten kritisiert. Er verteidigte den massiven Polizeieinsatz mehrfach und sieht die Türkei als Opfer von Angriffen aus dem In- und Ausland. Internationalen Medien warf er vor, Unruhe schaffen zu wollen, um die Wirtschaft des einzigen muslimischen Nato-Mitglieds zu untergraben.
Festnahme von 44 kritischen Juristen
Die türkische Anwaltskammer protestiert am Dienstagabend scharf gegen die Festnahme von 44 Juristen in dem Gerichtsgebäude Caglayan in Istanbul. Die Rechtsanwälte hätten Ermittlungen zu den brutalen Polizeieinsätzen gefordert, sagte der Präsident der Kammer, Metin Feyzioglu, am Dienstag der Nachrichtenagentur dpa. Stattdessen seien sie selbst festgenommen worden. Mittlerweile sind die Anwälte wieder auf freiem Fuß.
"Die türkische Polizei hat bei den Demonstrationen der vergangenen Tage mit ihren Tränengasgewehren direkt auf Menschen gefeuert. Sie haben sie wie scharfe Waffen eingesetzt. Deswegen gibt es so schlimme Verletzungen", sagte Feyzioglu. "Die Anwälte wollten die blinden Augen und tauben Ohren der Staatsanwalt erreichen." Der für die Sicherheit im Gericht zuständige Staatsanwalt habe aber die Polizei gerufen. "Es waren schreckliche Szenen", so der Anwalt.
USA kritisieren Polizeigewalt
Das harte Vorgehen ruft nun auch die USA auf den Plan. Präsidialamtssprecherin Caitlin Hayden rief den engen Verbündeten am Dienstagabend auf, grundlegende Rechte zu wahren.
Wie zuvor UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon rief auch das Weiße Haus die Türkei auf, den Konflikt im Dialog zu lösen. Die US-Regierung erwarte, dass die Türkei das Recht auf freie Meinungsäußerung und auf Versammlungsfreiheit beachte, so Hayden.
Ursprünglich hatten sich die Proteste an einem Plan zur Überbauung des Gezi-Parks in Istanbul entzündet. Nach der gewaltsamen Räumung des Protestcamps hatten sie sich aber zu einer landesweiten Protestwelle gegen den als immer autoritärer empfundenen Kurs Erdogans ausgeweitet. (APA/Reuters, 12.6.2013)