Rom/Santiago de Chile - Papst Franziskus hat sich in einer Privataudienz über eine "Schwulen-Lobby" im Vatikan beklagt. "In der Kurie gibt es fürwahr heilige Leute, aber es gibt auch eine korrupte Strömung. Man spricht von einer 'Schwulen-Lobby', und es stimmt, sie existiert", sagte Franziskus einem Medienbericht zufolge kürzlich gegenüber lateinamerikanischen Ordensleuten in Rom.

Die katholische chilenische Website "Reflexion y Liberacion" veröffentlichte am Dienstag eine Mitschrift der Aussagen des Papstes bei einem Treffen mit sechs  Vertretern des Verbands von Ordensleuten Lateinamerikas und der Karibik (CLAR). Der Verband bestätigt die Authentizität des Protokolls, auch der Vatikan dementierte die dem Papst zugeschriebenen Aussagen nicht. "Reflexion y Liberacion" steht progressiven Kirchenkreisen nahe.

Erpressungsgerüchte

Argentinische Medien mutmaßen, dass auch der überraschende Rücktritt von Franziskus' Vorgänger Benedikt XVI. mit dieser "Schwulen-Lobby" zusammenhing. Die italienische Zeitung "La Repubblica" hatte damals berichtet, Kardinäle in dem Netzwerk seien wegen ihrer sexuellen Orientierung durch Laien erpressbar gewesen.

Die Zeitung bezog sich auf einen 300-seitigen Geheimbericht zur sogenannten Vatileaks-Affäre, den die Kardinäle Herranz, Tomko und De Georgi im Auftrag Benedikts erstellten. Dieser gab das Dokument an seinen Nachfolger weiter. Er äußerte damals die Hoffnung, dass dieser "stark, jung und heilig" genug sei, um die notwendigen Schritte zu unternehmen.

Sex-Treffen im Vatikan

Laut "Repubblica" zählt der Geheimbericht Verstöße gegen mehrere christliche Gebote auf. Mehrere Kardinäle sollen ein verborgenes Schwulen-Netzwerk organisiert haben, das in Rom und im Vatikan Sextreffen veranstaltet habe. Kurienmitglieder in dem Netzwerk seien durch ihre sexuelle Orientierung erpressbar gewesen. Angesichts des Dokuments habe Ratzinger eine Woche vor Weihnachten seinen Rücktritt beschlossen.

Spott über Traditionalisten

In der mit 6. Juni datierten Ansprache bezog Franziskus sowohl gegen den erzkonservativen als auch gegen den liberalen Kirchenflügel Stellung. So machte er sich lustig über Traditionalisten, die ihm nach seiner Wahl in einem Brief "3.525 Rosenkränze als besonderes spirituelles Geschenk" dargebracht hätten. "Warum sagen die nicht einfach: 'Wir beten für Sie'?" Die Glaubenspraktiken aus der Zeit vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) hätten sich überlebt, so der Papst.

Doch auch mit einer allzu liberalen Interpretation des Glaubens kann der argentinische Jesuit wenig anfangen. "Ich kannte eine Oberin, die ihren Schwestern empfahl, statt des Morgengebets ein spirituelles Bad im Kosmos zu nehmen", hatte der Pontifex auch dafür eine launige Illustration parat.

"Das Evangelium ist weder das alte Regelwerk noch dieser Pantheismus. Das Evangelium sind die Armen", bekräftigte der Papst sein Leitmotiv einer an den Nöten der einfachen Menschen orientierten Kirche.

Vatikan-Sprecher lehnt Stellungnahme ab

Das Treffen hatte nach Angaben des Vatikans privaten Charakter. Wie die Nachrichtenagentur Reuters in der Nacht auf Mittwoch meldete, lehnte es Vatikan-Sprecher Federico Lombardi ab, zu den kolportierten Papst-Aussagen Stellung zu nehmen. Die Ordensvereinigung CLAR beklagte, dass die Mitschrift veröffentlicht wurde.

Die Aussagen dürften den Spekulationen über die Hintergründe der Vatileaks-Affäre, die nach Ansicht von Beobachtern zum Rücktritt von Benedikt XVI. beigetragen hatte, neuen Schwung verleihen. Italienische Medien hatten in diesem Zusammenhang von einer "Schwulen-Lobby" berichtet, die den Ende Februar aus Gesundheitsgründen zurückgetretenen Papst erpresst haben soll.

Franziskus hat nach seinem Amtsantritt im März eine Kardinalskommission eingesetzt, die Vorschläge für eine Reform der Kurie erarbeiten soll. Gegenüber den CLAR-Vertretern betonte der Papst, dass sich im Konklave "fast alle Kardinäle" für eine Reform ausgesprochen hätten. Er selbst könne diese aber nicht durchsetzen, "weil ich sehr unorganisiert bin". "Das werden die Kardinäle der Kommission vorantreiben", sagte Franziskus, wobei er neben Kommissionsleiter Oscar Rodriguez Maradiaga auch den Münchner Erzbischof Reinhard Marx hervorhob. (APA/red, derStandard.at, 12.6.2013)