Er könnte mit seiner Zeit zufrieden sein. Das weiß Ilija Trojanow. Schließlich wären 26 Minuten und 30 Sekunden für fünf Kilometer für jeden Hobbyläufer eine hochrespektable Zeit – und zwar auch im flachen Gelände. Dass Trojanow diese Zeit am Dienstag, beim Zoolauf lief, zählt da gleich doppelt: Denn der Lauf führt auf einem Rundkurs zwei Mal durch den Wiener Tiergarten – nicht nur zwischen Affen und Elefantenhaus hin und her, sondern auch hinauf, zum Tirolerhof.

Auf dieser Steigung kommen auch Spaziergänger gern aus der Puste. "Es war brutal", mailte der Schriftsteller daher Dienstagnacht – und klang fast verärgert: Eigentlich, so hatte er mir wenige Tage zuvor im Prater verraten, peile er eine Zeit unter 25 Minuten an. "Oh, das wird dann wohl schwierig", hatte er kurz geschluckt, als ich ihm sagte, dass seine fünf Kilometer beim Zoolauf (der insgesamt sechs Kilometer lang ist) wohl nicht ganz genau in sein Projekt passen würden – schließlich findet der olympische 5.000-Meter-Lauf auf plattelebenem Boden statt.

Scheitern gehört dazu

Trojanow ist einer, der es eben trotzdem versucht. Weil, so sagt der 47-jährige Schriftsteller, eben auch Scheitern Teil des Projekts ist – Scheitern, nicht Zurückstecken. Und Plan sei es eben, überall die halbe Leistung der Weltspitze zu bringen. Mindestens: Der Weltrekord über 5.000 Meter liegt bei 12:37 Minuten. Da sind 26:30 knapp über dem Soll. Arschknapp, aber doch.

Foto: Thomas Rottenberg

Trojanows Projekt kenne ich seit dem Winter. Damals erzählte er mir erstmals davon. "Meine Olympiade" heißt es. Der in Wien lebende Autor will in der Zeit zwischen zwei Olympischen Spielen in allen Herren-Einzel-Sommerdisziplinen antreten. 22 Sportarten sind das. Und in den meisten will Trojanow mehrere bis etliche Distanzen oder Wertungen versuchen: "Alle Schwimmdistanzen? Das wäre sinnlos – aber die kürzeste, die längste und eine mittlere sollten es schon sein," umriss Trojanow damals den Plan – und erntete schon im Winter Anerkennung, Staunen, Respekt und Lob, aber auch Zweifel: Wir plauderten vor den ServusTV-Kameras. Einer meiner Kameramänner fährt Kajak, auf Olympianiveau: "Mit 47 beginnen und den Kurs in der doppelten Zeit eines Spitzenathleten schaffen wollen? Das geht sich nicht einmal aus, wenn man alle Tore auslässt", staunte er – war aber dennoch begeistert: "Hut ab vor dem Plan. Ein spannendes Projekt."

Lieblingsautor

Das fand – und finde – ich auch. Erstens, weil ich mich auf das Buch freue, das Trojanow (aus 1.001 Gründen einer meiner Lieblingsautoren, aber das gehört nicht hierher) daraus machen wird: Wie stets wird es wohl ein Reise-Buch werden. Eine Geschichtensammlung über die Reise zu den Grenzen des eigenen Willens und der eigenen Leistungsfähigkeit: Trojanow wird einmal mehr selbst erfahren, was andere für normal halten – wenn sie es unhinterfragt und wohlverdaulich vorgekaut vorgesetzt bekommen. Sei es im Sportkanal oder im Reiseführer: In beiden geht es meist um das Erfüllen von bekannten Erwartungen – und das hat oft wenig mit authentischer Wahrnehmung und Wertschätzung zu tun.

Trojanow setzt dort an, wo viele von uns sind: Er ist kein Leistungssportler. Seit der Schule, erzählte er, habe sich sein Sport-Pensum auf das eines Durchschnittsösterreichers eingependelt. Trojanow ist zwar durch afrikanische Wüsten gewandert, stieg auf Berge und hat die Antarktis bereist – aber ob das reichen würde, um an den Ringen und am Reck zu turnen, einen Boxkampf durchzustehen oder einen Marathon in vier Stunden zu laufen? Es würde, sagte er mir, ein weiter Weg sein, da auch nur in Sichtweite des Olymps zu kommen.

Foto: Thomas Rottenberg

Laufen ist die Basis

Das war im Winter. Bevor der Dichter richtig mit dem Training begonnen hatte. Und die Grundlage für so ziemlich alles, waren wir uns schon damals einig, war und ist Grundlagenausdauer. Also: Laufen. Wir beschlossen, zusammen zu laufen. Auch, weil Trojanow meine kleinen Reisen ins Wiener "Backcountry" interessant fand: Auch die Art, wie man reist, prägt Wahrnehmung und Erlebnishorizont. Und laufen ist – auf seine Art – auch ein bisserl reisen.

Wir mailten und plauderten oft – und liefen nie. Bis Samstag. Ich würde Trojanow meine kleine Runde durch den unteren Prater zeigen. Eine Stunde. Gemütliches Tempo – schließlich stand für Dienstag der Zoolauf an. "Ich möchte mich nicht auspowern. Trab- vielleicht ein paar Steigerungsläufe", sagte Trojanow. Ich grinste: Das Wort "Steigerungslauf" hatte er im Jänner nicht gekannt.

Foto: Thomas Rottenberg

Trojanow sah schon im Winter gut aus. Jetzt trifft es "blendend" am besten. "Ich habe zehn Kilo abgenommen." Einfach durch Sport – und den Rattenschwanz, den der mit sich bringt: Klar isst einer, der jeden Tag trainiert, anders. Klar verbrennt und verdaut er anders. Klar schläft er anders. Alles ist plötzlich anders. Oder verändert sich: Parameter, Wahrnehmung, Werte – und sei es bloß die Frage, bei welchem Wetter man daheim bleibt.

Erfolge und Pläne

Hinter den Freudenauer Stallungen erzählte der Autor von Kajak-Abenteuern. Vom Zehnkilometerlauf. Vom Boxtraining – und dem Zeitplan: In Brasilien werde er (auch) Beachvolleyball trainieren. Radfahren komme bald. Fechten stehe bereits auf der Agenda. Ich drehte leicht an der Temposchraube: Der Dichter zog mit – ohne zu merken (beziehungsweise ohne dass es in seinem Sprechen hörbar geworden wäre), dass die Belastung eine Spur intensiver geworden war.

Foto: Thomas Rottenberg

Trojanow lief und schaute: Die verfallenden Gebäude der Galopprennbahn hatte er ebenso noch nie gesehen wie den Western-Wasserturm neben der Flughafenautobahn.

Foto: Thomas Rottenberg

Dass hinter dem Galopperplatz ein (nie genutzter) Military-Trainingsparcours liegt, wusste er ebenso wenig, wie dass dort Bogenschützen heimisch sind. Und die Golfer im Inneren der Rennbahn merkte er sich: "Golf ist olympisch – und hier dürfte das Soziotop interessant sein."

Überraschungen

Trojanow erzählte von den großen Überraschungen seiner olympischen Reise. Klar: Da gab es Abenteuer mit hibbeligen Booten und technische Details beim Boxen – aber "ich bin fasziniert, wie genau man seinen Körper konditionieren kann. Wie Leistungen, die man sich noch vor einem halben Jahr nie zugetraut hätte, plötzlich Normalität werden. Wie der Körper sich umstellt – und wie ich mich selbst spüre, motiviere und wahrnehme. Und mit mir selbst kommuniziere."

Foto: Thomas Rottenberg

Wir waren auf der Donaukanal-Dammkrone. Wo der Pfad zurück in den Prater abzweigt, bot ich die Option an, die Runde zu verlängern: Zum Zusammenfluss von Donau und Donaukanal ("mal sehen, wie es den Treidelfischern nach dem Hochwasser geht"). Zum Schloss Neugebäude. Oder über das Kraftwerk die Insel hinauf zur UNO-City. In den Augen des Autors leuchtete es. Aber Trojanow bestand den Test: "Zu knapp vor dem Zoolauf." Selbstdisziplin und Nein-Sagen-lernen: Noch so ein Sport-Benefit.

Wir liefen zurück. Und merkten erst im Wald, dass es draußen, in der Sonne, echt heiß gewesen war: Für mich war es der erste Sommerlauf der Saison – für Trojanow vermutlich der erste Lauf in schwüler Hitze. Mein Fehler: Daran hatte ich nicht gedacht. Der Dichter wurde langsamer. "Ich bin durch Afrika gewandert – aber wie sehr man beim Laufen die Luftfeuchtigkeit spürt und wie viel Kraft das kostet, ist für mich auch eine ganz neue Erfahrung."

Foto: Thomas Rottenberg

Bei der Kapelle Maria Grün war gerade eine Hochzeit. Vom Baseballplatz hörten wir das Gejohle von Kindern und Fans durch den Wald. Wir beschlossen zum Stadion zu laufen. Noch zwei Kilometer. Gemächlich.

Zurück in der Stadt

Vor dem Stadion erzählte Trojanow von einem Nebenschauplatz des Projektes: olympische Stätten. Wie er über Wiens (abgesagte) Olympiabewerbung denke? "Die Spiele sind gut für Orte, die wenig Infrastruktur haben: Für München waren sie ein Segen. Aber in Städten wie Wien ist doch alles da. Da kostet das nur unheimlich viel – und bringt nichts."

Foto: Thomas Rottenberg

Die U-Bahn brachte uns zurück in die Stadt. Trojanow war ein bisserl skeptisch, ob der Lauf nicht doch ein bisserl viel Energie abgezogen haben könnte. Energie, die er doch eigentlich für den Zoolauf, seine fünf olympischen Kilometer, hatte aufsparen wollen.

Dienstagabend kam dann ein Mail: 26 Minuten und 30 Sekunden. Darüber, ob das – Steigungen eingerechnet – nicht doch im Plan liegt, werden wir noch sprechen. Beim Laufen. (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 12.06.2013)