Die US-Regierung steht wegen des Vorwurfs massenhafter Sammlung von Daten über Internetnutzer heftig unter Kritik. Vor allem im Europaparlament gingen die Wellen der Empörung am Dienstag hoch. Kanada gab unterdessen zu, ein ähnliches Spionageprogramm zu betreiben. Ein russischer Politiker sprach sich dafür aus, dem Ex-Geheimdienstler Edward Snowden in Russland Asyl zu gewähren. Snowden hatte Informationen über das Geheimprogramm an die Medien gegeben und war nach Hongkong geflohen.
Freiheiten von EU-Bürgern
Die Abgeordneten im Europaparlament sind empört über die großflächige Internetüberwachung durch die US-Geheimdienste und sehen auch die Freiheiten von EU-Bürgern bedroht. Sie haben daher das Thema kurzfristig am Dienstag auf die Tagesordnung in Straßburg genommen. EU-Verbraucherkommissar Tonio Borg verwies auf ein Treffen von US- und europäischen Ministern am Freitag in Dublin, bei dem seine Kollegin, Justizkommissarin Viviane Reding, Klarstellungen von Washington fordern werde.
Für den SPÖ-Delegationsleiter im EU-Parlament, Jörg Leichtfried, ist das nicht genug. "Wo ist der Kommissionspräsident?", fragte er nach der Debatte im Plenum. Dass die Amerikaner offenbar über das Programm PRISM auch Daten von EU-Bürgern ausgespäht haben, sei eine "richtige Sauerei". Sein Kollege Josef Weidenholzer sprach von einem "schweren Vertrauensbruch in den transatlantischen Beziehungen". Die beiden SPÖ-Abgeordneten wären dafür, dass die EU dem Aufdecker Edward Snowden Asyl gewähren würde, sollte er ansuchen.
Leichtfried sieht derzeit keinen Grund, warum die EU weiter mit den USA über ein Freihandelsabkommen verhandeln sollte. Etwas anders sieht das der ÖVP-Delegationsleiter im EU-Parlament, Othmar Karas. Bevor man darüber spreche, was aus den Verhandlungen ausgenommen werde - etwa das Thema Datenschutz -, sollten diese einmal beginnen. "Höchste Bedenken" puncto Freihandelsabkommen hat auch der FPÖ-Europaabgeordnete Andreas Mölzer. Es gehe offenbar darum, den Datenschutz auszuhebeln, das Verhandlungsmandat ist ihm "zu weich".
"Sehr, sehr zäh"
Auch die Grünen sind ob der Berichte über die Internetüberwachung besorgt und verwiesen auf das europäische Datenschutzabkommen. Da liefen die Verhandlungen momentan "sehr, sehr zäh", sagte die EU-Abgeordnete Eva Lichtenberger. "Solange die EU keine eigene Cloud-Infrastruktur hat und die Server in den USA stehen, wird sich das nicht verbessern", meinte sie. Der fraktionsfreie EU-Abgeordnete Martin Ehrenhauser forderte eine Untersuchung sowohl durch das EU-Parlament als auch die Kommission. Er bezeichnete es auch als "Schande, dass sich die EU-Außenministerin Catherine Ashton bis dato noch nicht zu diesem Skandal geäußert hat".
Die Zeitungen "Guardian" und "Washington Post" berichteten auf Basis von Snowdens Informationen, der US-Geheimdienst NSA sammle und analysiere massenhaft Nutzer-Daten von Unternehmen wie Google, Yahoo, Microsoft, Apple oder Facebook. Die Internet-Dienste bestreiten allerdings, Behörden einen direkten Zugang zu ihren Servern zu gewähren.
Der republikanische US-Senator und einstige Präsidentschaftskandidat John McCain verteidigte das Programm mit dem Decknamen "PRISM". Allerdings mangle es an Transparenz, sagte er dem Fernsehsender "Phoenix". "Ich glaube, dieses Programm ist praktikabel und nützlich, aber das amerikanische Volk und unsere Partner sollten besser informiert werden."
Kanadas Verteidigungsminister Peter MacKay bestätigte, dass sein Land ein eigenes globales Abhör- und Spähprogramm betreibe. Er habe den kanadischen Geheimdienst CSE autorisiert, die Telekommunikation weltweit auszuspähen und digitale Spuren von Telefon- und Internetverbindungen zu sammeln, sagte er am Montag im Parlament. Kanadier seien davon nicht betroffen. "Dies ist Auslandsspionage. Das ist etwas, was seit Jahren passiert", sagte MacKay.
Währenddessen hält sich der Ex-Geheimdienstmitarbeiter Snowden an einem unbekannten Ort auf. Er suchte in Hongkong Zuflucht und enttarnte sich dort selbst als Quelle für die Informationen über "PRISM" enttarnt hatte. Am Montag soll er sein bisheriges Hotel verlassen haben.
Ein führender russischer Außenpolitiker sprach sich dafür aus, Snowden politisches Asyl zu gewähren. Die US-Geheimdienste verletzten mit der Überwachung von Telefongesprächen und des Internets Gesetze, sagte der Chef des Auswärtigen Ausschusses der Staatsduma, Alexej Puschkow. "In diesem Sinne ist Snowden ein Bürgerrechtler, dem Russland Zuflucht gewähren sollte - auch wenn die USA einen hysterischen Anfall bekämen", sagte Puschkow der Agentur Interfax zufolge. Der Kreml äußerte sich zurückhaltend. "Sollte Snowden Russland um Asyl bitten, werden die Behörden seinen Antrag prüfen", sagte ein Sprecher von Kremlchef Wladimir Putin der Zeitung "Kommersant". (APA; 12.6. 2013)