Eine staubige Straße in der Nähe eines alevitischen Dorfes ist Schauplatz von Nilbar Güres Video "Klimlik" (2013).

Foto: Galerie Janda

Wien - Der kleine blinde Wolf heult im Dunkel der Nacht, das Schäfchen antwortet blökend und springt davon. Ein Kinderspiel, bei dem es darum geht, das prädestinierte Opfer einzufangen. In Nilbar Güres zweieinhalbminütigem Video Kurt ve Kuzu / Wolf and Lamb (2011) bleibt das Schicksal des Schäfchens zwar unbesiegelt, dafür sind jedoch die Rollen eindeutig verteilt. Der Bub spielt den tierischen Jäger, das Mädchen seine Beute.

In ihrer Ausstellung in der Galerie Janda dreht Güres aber auch männliche Symbole um: Der phallisch interpretierbare Rundpfeiler im hinteren Galerieraum wurde kurzerhand zu einer Installation mit Röckchen umfunktioniert.

Es sind Stereotype, Rollenbilder und Traditionen patriarchaler Gesellschaftssysteme, die Güres (geb. 1977 in Istanbul) zum Thema ihrer Kunst macht: Auf Fotografien inszeniert sie starke Frauen mit geradezu übermenschlichen Fähigkeiten (Bas Üstü, 2010) oder gleichgeschlechtliche Liebe zwischen Frauen (Ayse loves Fatma, 2011).

Oder sie setzt die Probleme religiöser Minderheiten ins Bild, wie in dem zweiten Video ihrer Ausstellung. Schauplatz ist eine Straße nahe eines anatolischen Dorfes mit alevitischer Bevölkerung. Die Aleviten sind bis heute nicht offiziell als Minderheit anerkannt, legen den Koran nicht wörtlich aus, sondern suchen die Bedeutung hinter den Offenbarungen - und vor allem beten sie nicht in Moscheen, was einen Machtkampf mit der offiziellen Türkei provoziert: Weil die Aleviten in ihren Gemeinden keine Moscheen dulden, verwehrt man ihnen auch den Ausbau der Straßen. Eine dieser unbefestigten, staubigen Zufahrten ist Handlungsraum des 90- Sekünders Kimlik: Eine Frau liegt dort zugedeckt mit zwei unterschiedliche Mentalitäten symbolisierenden Stoffen, erhebt sich und folgt dem Weg, von dem wir nicht wissen, wohin er führt.

Viele der Motive sind ihrer türkischen Heimat entlehnt, aber die in Istanbul, Wien und New York lebende Künstlerin hofft, dass ihre Arbeit auch außerhalb geografischer Kontexte interpretiert werden kann. Diese Ablösung gelingt in Medien wie Fotografie und Video weniger gut als in den Collagen, die oft traumhaften Charakter haben. Nur Details, etwa Gold und Stickerei, verweisen auf die Levante, ansonsten stellen Bilder wie BDSM (2013) Frauenidentitäten vor, die etwa Babyalltag und extravagante Sexpraktiken unter einen Hut bringen. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 13.6.2013)