Seoul/Wien - Es ist eine bemerkenswerte Szene: Drei ehemalige Premierminister sitzen auf einem Podium und loben die Europäische Union in den Himmel. Irgendwo in Europa? Nein, im Fernen Osten. Mahatir bin Mohamad (Malaysia), Han Seung-soo (Südkorea) und Yukio Hatoyama (Japan) sehen das Modell EU auf dem "Forum für Frieden und Prosperität" auf der südkoreanischen Insel Jeju als erstrebenswert auch für Ostasien an. Ein solcher Grad an politischer und ökonomischer Integration, vor allem aber an historischer Aussöhnung sei beispielhaft für die Länder in Fernost.
Einmal abgesehen von der positiven Außensicht auf die Union, die den meisten Europäern nicht geläufig ist, zeigt die Szene auch deutlich die Schwierigkeiten auf, die die Länder Ostasien untereinander noch immer - und derzeit wieder in steigendem Maße - haben. Hatoyama, der sich seit seinem Rücktritt 2010 mit einem eigenen Institut für mehr Kooperation in der Region einsetzt, nennt die Dinge vor allem auch mit Blick auf Japan beim Namen: Nationalismus, Revisionismus und Territorialkonflikte (Grafik).
"Willen zur Integration"
Asien, so die Ansicht der drei Herren, stehe weit hinter Europa zurück und müsse endlich seine Lektionen lernen - "denn wir werden niemals Fortschritte machen, wenn wir weiter eine so schwerwiegende Vergangenheit im Gepäck tragen". Es mangle im Fernen Osten derzeit am " Idealismus und am politischen Willen zur Integration". Die eben angetretene neue Führergeneration in Ostasien, habe aber eine realistische Chance hier Substanzielles zu ändern.
Allein, dagegen spricht die gegenwärtige "Eskalationsstrategie" in der Region, wie es Hatoyama mit Blick auf seinen nationalistischen Nachfolger Shinzo Abe in Tokio sowie das Bestreben der Chinesen formuliert, sich als Hegemonialmacht im westpazifischen Raum zu etablieren.
Sicherheitskonferenz in Singapur
Obwohl die chinesische Delegation beim jüngsten Shangri-La-Dialog, einer Sicherheitskonferenz in Singapur, auf Charmoffensive setzte und außergewöhnlich gesprächsbereit auftrat, trauen die Nachbarländer insbesondere Peking nicht über den Weg. Der vietnamesische Premier Nguyen Tan Dung etwa warnte dort explizit vor Schäden für regionale Wirtschaft und Welthandel, sollte China mit "unilateraler Machtpolitik" versuchen, "unbegründete Ansprüche im Südchinesischen Meer" (konkret die Paracel-Insel betreffend) durchzusetzen.
Ähnliche Warnungen an Peking gab es aus Malaysia und den Philippinen. Zwischen Manila und Taipeh kam es zuletzt ebenfalls zu einer Auseinandersetzung, als bei einem Angriff der philippinischen Küstenwache auf ein taiwanesisches Fischerboot ein Mensch ums Leben kam. Die größten gegenseitigen Provokationen allerdings gibt es zwischen China und Japan, wo sich bereits mehrfach Kriegsschiffe und Kampfjets in der Nähe der Senkaku-/Diayou-Inseln gefährlich nahe kamen.
Risiko im Eskalationsfall
Dieser Konflikt birgt im Eskalationsfall das größte Risiko in sich, nicht nur weil damit auch die USA als engster Bündnispartner Tokios in eine direkte Konfrontation mit China geraten würden. Er hätte auch wirtschaftlich unabsehbare Folgen: Vor etwa einem Jahr gab es schwere Ausschreitungen in China gegen japanische Einrichtungen und Unternehmen, die Japan und der Weltwirtschaft schadeten. Inzwischen haben konservative japanische Politiker den Streit um Geschichte und Inselgruppen wieder angeheizt, indem sie die blutige Kolonialpolitik in der Mandschurei oder die von japanischen Besatzern erzwungene Prostitution in Korea verteidigten.
Von einem Kniefall wie jenem Willy Brandts in Warschau, von dem beim Jeju-Forum so anerkennend die Rede war, ist die Region schlechterdings weiter entfernt als von einer militärischen Auseinandersetzung. (Christoph Prantner, DER STANDARD, 13.6.2013)