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Wut und Verzweiflung nach der Schließung des staatlichen Rundfunks in Athen. Nun soll ein verkleinerter Sender aus der Taufe gehoben werden.

Foto: EPA/Panagiotu

"Ich habe, so gut ich konnte, versucht, objektiv zu bleiben, aber ich war emotional aufgewühlt und habe mir ständig die Frage gestellt: ,Warum?'" Antonis Alofogiorgos arbeitet seit elf Jahren bei ERT. Am Dienstagabend hatte der TV-Moderator das zweifelhafte Vergnügen, gemeinsam mit seinen Kollegen die letzte Nachrichtensendung des staatlichen Senders mitzugestalten. Wenig später wurden die Frequenzen abgeschaltet; Seither läuft ERT nur mehr über das Internet.

So hohe Einschaltquoten wie am Dienstag hatte ERT wohl seit 1989 nicht mehr. Damals fiel seine Monopolstellung, private Sender "stürmten" den Markt und holten sich innerhalb kürzester Zeit den Löwenanteil am Publikums- und Werbekuchen. In den letzten Jahren lag der Zuschaueranteil von ERT bei mageren vier Prozent.

"ERT macht nicht dicht", lautet die Interpretation des Regierungssprechers Simos Kedikoglou von der konservativen Nea Dimokratia (ND). Die Grundzüge des neuen Konstrukts "Neuer Griechischer Rundfunk, Internet und Fernsehen" (Nerit) stellte man schon am Mittwoch für den öffentlichen Dialog ins Internet. Es soll bereits Ende August stehen und statt der bisherigen 2700 nur mehr 1200 Angestellte haben. Das Finanzministerium spricht im Zusammenhang mit der ERT-Schließung von einem "Akt zur Modernisierung der öffentlichen Verwaltung mit großer symbolischer Bedeutung".

Auffangbecken für Parteivasallen

Die Fernsehanstalt hatte in den vergangenen Jahrzehnten als Folge der Klientelpolitik der Regierungen von der sozialdemokratischen Pasok bis zur ND auch als Auffangbecken für Parteivasallen gedient. 2006 standen noch 5300 Angestellte auf der Gehaltsliste des Senders.

Schon seit Wochen kursierten Gerüchte, dass ein Ende für ERT unmittelbar bevorstehe. Diese Maßnahme, so hieß es, sei im Rahmen der Vereinbarungen mit den internationalen Geldgebern (Troika) beschlossen worden, die die Entlassung von 4000 Staatsdienern bis Ende 2013 vorsehen. Aus Brüssel kam prompt ein Dementi.

Aus dem Schlaf gerissen

Die Mitarbeiter des Senders hatten den Orakeln bis zuletzt keinen Glauben geschenkt. Die beiden Juniorpartner der ND in der Drei-Parteien- Regierung scheinen tatsächlich aus dem Schlaf gerissen worden zu sein: Pasok und Demokratische Linke wollen nun gegen den Beschluss der eigenen Regierung eine Gesetzesnovelle einbringen, um die ERT-Schließung im Parlament rückgängig zu machen. Es kracht im Koalitionsgebälk, und die relative politische Stabilität der letzten Monate wird auf eine harte Bewährungsprobe gestellt. Die Gewerkschaften haben für heute, Donnerstag, einen 24-stündigen Streik angesetzt. Inwieweit Flug- und andere Verbindungen beeinträchtigt werden, wurde nicht bekannt.

Bisher umfasste ERT fünf Fernsehsender, 29 Radiostationen, ein Internetportal, eine Zeitschrift, ein digitales Archiv, zwei Orchester und einen Chor. Und der sollte bezeichnenderweise am Freitag unterhalb der Akropolis bei einer Aufführung des Requiems von Giuseppe Verdi mitwirken.

Die Maßnahme sorgt für heftige Kritik. Die Journalisten-Organisation Reporter ohne Grenzen nannte die Entscheidung "haarsträubend", ORF-Chef Alexander Wrabetz sprach von einem barbarischen Akt. (Robert Stadler aus Athen, DER STANDARD, 13.6.2013)