Bild nicht mehr verfügbar.

Eine Nacht im Gasnebel: Die türkische Polizei nahm die Gezi-Park-Besetzer unter Beschuss.

Foto: EPA/TOLGA BOZOGLU

"Demonstrant oder Besucher?", fragt der Polizist die deutschen Studenten, wühlt in den Taschen, findet Mundschutzmasken. Große Diskussion. Doch die Deutschen wollen nur Aufstand schauen gehen, am Tag nach der Räumung des Taksim-Platzes in Istanbul.

Masken sind sinnvoll, sagen sie den Polizisten, die schon auf der Gümüssuyu-Straße stehen. Die führt zum Taksim hinauf, vorbei am deutschen Generalkonsulat und einem Dutzend öffentlicher Linienbusse, mit denen die türkische Polizei ihre Hundertschaften zur Tagesschicht gefahren hat.

Schnell übertüncht

Alle Farben sind weg, alle Graffiti an Häuserwänden und selbst an den Scheiben von Läden und Büros grau übertüncht. "Willst du drei Kinder wie uns?", war einer der Sprüche auf der Gümüssuyu-Straße, der sich schnell im Internet verbreitet hatte. Es war eine ironische Anspielung auf die immer wiederkehrende Mahnung des konservativen türkischen Premiers Tayyip Erdogan an seine Landsleute, mindestens drei Kinder zu haben.

Zwei riesige blutrote Nationalfahnen hängen vom Atatürk-Kulturzentrum, das ebenso wie der Park am Taksim-Platz verschwinden soll. Vor dem ausrangierten Gebäude stehen mehrere Hundert Polizisten mit Plastikschilden, Knüppeln und Gewehren für die Gaskartuschen. Dass abends wieder Tausende zum Taksim ziehen, gilt als ausgemacht. Ebenso, dass die Straßenschlachten mit der Polizei weitergehen - in Istanbul wie in Ankara, wo am Mittwoch schon zur Mittagsstunde Menschenmassen die Boulevards im Zentrum blockieren. Die gewaltsame Räumung des Taksim- Platzes am Vortag hat nichts geändert. Die Protestbewegung gegen den autoritären Regierungsstil von Tayyip Erdogan läuft weiter.

Vom Balkon eines Büroblocks, an einer Ecke des enormen Platzes, strahlt der Scheinwerfer eines Fernsehteams. Es ist das Quartier von CNN. Sie warten auf mehr. In der Nacht auf Mittwoch, als sich die Polizei mit den Protestierenden herumschlug, die rauchende Tränengaskapseln zurück in die Reihen der Polizei schleuderten und Feuerwerksraketen zündeten, hatte Christiane Amanpour den außenpolitischen Berater Erdogans, Ibrahim Kalin, abgefertigt. Mit den Worten "Die Show ist zu Ende" schnitt sie Kalin das Wort ab. Amanpour meinte wohl ihre eigene Show, nicht die Rechtfertigungsversuche des Erdogan-Beraters für den Polizeieinsatz. Doch die Gegner des Premiers hören nicht auf zu spotten. Es ist der Gesprächsstoff am nächsten Tag.

Neuer Proviant

Der Eingang zum Gezi-Park am Platz, mit dem alles vor zwei Wochen begann, sieht aus wie eine zerschossene Festung. Ein paar Fahnen linker Splittergruppen stecken schief in einer wüsten, meterhohen Barrikade, in die auch ein abgebranntes Auto eingebaut ist. Drinnen erholen sich die Parkbesetzer von der Gewaltnacht, die bis zum frühen Mittwoch dauerte, richten ihre Zelte her, verproviantieren sich mit Wasser und Lebensmitteln.

"Sie wollten uns umbringen", erzählt Cem, der mit seinen zwei Freunden auf einer Parkbank sitzt und schon auf den nächsten Angriff der Polizei wartet, Plastikhelm auf dem Kopf, eine Snowboardbrille und einen Mundschutz in der Hand. "Sie kamen von zwei Seiten, schossen mit Tränengas und Blendgranaten", berichtet der junge Türke. "Sie wollten Panik auslösen." Cem und seine Freunde hielten die Nacht im Gasnebel durch. "Wir bleiben", sagen sie, "wir verteidigen die Demokratie." In einem Konferenzraum des Divan-Hotels gleich am Park, der zum Lazarett umfunktioniert wurde, sortieren Freiwillige Medikamente - Infusionslösungen und Magenmittel gegen das Tränengas. Für die nächste Gewaltnacht. (Markus Bernath, DER STANDARD, 13.6.2013)