"Kann wie eine Bombe einschlagen in die rein schreibende Zunft." Jobtipp Gunter Duecks: Wissen der Welt neu aufbereiten.

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Journalisten müssten "ganz andere Businessmodelle von Journalismus stricken", rät Gunter Dueck. Sie könnten helfen, das Wissen der Welt neu aufzubereiten. Universitäten würden nicht umhinkommen, zehn Prozent der Professoren zu kündigen und sie durch Medien- und Filmleute zu ersetzen. Der Autor und frühere IBM-Vordenker erklärt, warum im Internet die Infrastruktur eine Schlüsselfrage ist, nicht Google das Problem ist und wie vernünftige Bezahlmodelle aussehen könnten.

STANDARD: Sie gehen davon aus, dass Smartphones, Tablets, Computer viele Berufe zu Auslaufmodellen machen. Wann wäre demnach der Journalismus dran?

Dueck: Ein bisschen ist er das ja schon. Die Redaktionen schmelzen ab, viele Jobs werden auf Freelancer umgestellt. Im Vergleich zu früher gleichen Zeitungen einander ja schon sehr. Meine Frau liest  die - übrigens ziemlich gute - "Rhein-Neckar-Zeitung". Und ich habe schon immer die "Süddeutsche Zeitung". Da sind ganze Artikelserien gleich, das war früher nicht so. Das ist eine Folge der Economies of Scale. Es muss nicht jede Zeitung einen eigenen Journalisten hinschicken. Da wird rationalisiert, nicht zuletzt durch Internetverbindungen. Das stellt Zeitungen aber vor das Problem, eine eigene Identität zu erhalten. Die Identität leidet natürlich auch darunter, dass die Heiratsanzeigen, die Stellenanzeigen und so weiter ins Internet abwandern. Da fällt einfach viel weg, was in einer normalen Zeitung stehen würde.

STANDARD: Journalismus, nach dem ich eingangs gefragt habe, ist aber nicht an Papier gebunden.

Dueck: Wenn die Anzeigen abwandern, ist weniger Geld da, das erzwingt weniger Journalisten. Ein Portal für Dating oder für Immobilien macht zwar Einnahmen, aber eben nicht mehr für guten Journalismus.

STANDARD: Lässt sich Journalismus automatisieren?

Dueck: Das glaube ich nicht - man braucht ja Urteilsvermögen. Eine Maschine kann vielleicht Nachrichten rezipieren. Das sage ich mit aller Vorsicht. Ich bin ein bisschen misstrauisch gegenüber maschinellen Vorgängen, weil ich selbst noch programmiert habe. In Forschungszentren bei IBM habe ich jede Menge Versuche miterlebt, Sprache zu verstehen oder automatisch zu übersetzen. Bei normalen Sachen mit genügend Redundanz geht das passabel gut. Für manche Dinge wird das reichen. Aber etwa bei Börsenmitteilungen wäre ich sehr vorsichtig. Ich bin generell ein bisschen skeptisch, wie viel Information man aus Daten von Facebook herausholen kann. Das ist viel schwieriger, als man denkt. Alles rund um Sprache, Verstehen überhaupt, ist schwierig. Wiedergeben oder guter Journalismus ist eine andere Sache.

STANDARD: Brauchen wir Journalismus?

Dueck: Ich sehe in vielen Branchen: Es gibt eine Kluft zwischen Premium und dem von Maschinen Erzeugten. Nehmen Sie Kleidung aus dem Fachhandel mit Beratung, von einer kompetenten Person. Premium-Bankberatung von einem wundervollen Berater, der alle Wertpapiere der Welt kennt. Und auf der anderen Seite eine Bestellung im Internet. Die Premiumanbieter kapitulieren ein bisschen vor dem Internet und senken ihre Qualität. Die Bankberater kennen jetzt nicht mehr alle Wertpapiere und sind unter Umständen billige, angelernte Zeitarbeitskräfte, die vom Bildschirm ablesen. Und im Kaufhaus wissen die Leute nicht mehr genau, wo die blauen Anzüge hängen.

STANDARD: Oder man geht zum Arzt, und der googelt die Symptome.

Dueck: Journalisten haben im Herzen vielleicht noch das alte Premium-Bild. Aber durch die Sparmaßnahmen der Verlage kauft man sich faktisch mindere Qualität ein. Ich sehe das an Buchrezensionen: Vor 15 Jahren wurde darüber hoch reflektiert geschrieben. Heute erkenne ich in den Rezensionen meine zwei Seiten Zusammenfassung zu Beginn meiner Bücher zu einer halben komprimiert. Wahrscheinlich haben sie es nicht einmal gelesen. Dafür haben sie vermutlich auch nicht mehr die Zeit. Wenn Sie als Journalist ein hohes Gehalt bekommen und einfach normal arbeiten können, können Sie das Buch auch lesen. Wenn man für die Rezension Zeilenhonorar bekommt, ist es vielleicht schlauer, man schreibt irgendwo eine Inhaltsangabe ab. Wenn man keine auskömmlichen Stellen mehr hat, zwingt das sozusagen Premiumanbieter, sich dem Fake-Modell, dem automatischen Maschinenmodell immer mehr anzunähern.

STANDARD: Das führt in eine weitere Zwickmühle. Ein gewichtiges Thema unter Medien sind Bezahlmodelle für ihre Inhalte im Internet. Wenn die Inhalte nach unten nivelliert werden, warum sollen die Leute dafür zahlen?

Dueck: Eine Todesspirale, die man aber aufhalten kann. Das sage ich schon alle Zeit der Welt: Man muss sich zusammensetzen und ein vernünftiges Bezahlmodell machen. Stichwort: Micropayment im Internet. Da kommt ein Knopf: "Bist du bereit, für diesen Artikel im Internet fünf Cent zu bezahlen?" Das bin ich oft. Das wäre gar kein Problem. Aber bitte mit nur einem Klick auf "Okay" ...

STANDARD: ... und nicht lange identifizieren, Passwort, Kreditkartennummer, Sicherheitscode?

Dueck: Das muss in einem vernünftigen Verhältnis stehen zu der Zeit, in der ich den Artikel lese. Eineinhalb Minuten lesen und davor zwei Minuten einloggen, das will ich nicht. Ich habe das wie Sauerbier allen Banken angeboten, die Telekoms könnten das über die Telefonrechnung regeln, wollten sie auch nicht. Das Problem wird seit zehn Jahren immer drängender. Das Fehlen von Bezahlmodellen korrumpiert ganze Berufszweige. Bilder von Fotografen zum Beispiel müssten merken, dass die Seite mit dem Bild angesehen wird. Bei tausendmal Ansehen bekommt der Fotograf vielleicht zehn Cent. Diese ganzen Urheberrechtsstreitigkeiten sind dann weg.

STANDARD: Nun sagt man jüngeren Leuten nach, dass sie etwa für Zeitungen nicht mehr zahlen.

Dueck: Junge Leute kaufen ja auch Sky, damit sie Bundesliga sehen. Es geht nicht darum, dass man kein Geld hat. Aber es ist unendlich quälend, wenn sich diese ganzen Infrastrukturprobleme nicht lösen. Ich verstehe nicht, warum eine Gesellschaft nicht einfach sagt, wir brauchen das, also machen wir das. Ich schätze, Europa schafft das nicht, und irgendwann macht das Paypal oder Google. Dann schimpfen Deutsche und Österreicher wieder herum, dass wir "diesen amerikanischen Kram" benutzen müssen. Die ganze Presse, Fotografen, Schriftsteller leiden darunter - die müssten doch eine gemeinsame Businessmodell-Medienrevolution starten und sich darauf einigen, wer die Entwicklungskosten trägt. Wenn ich auf der Frankfurter Buchmesse frage, warum das keiner tut, sagen alle: "Wir sind doch arme Verlage. Wir haben nicht die Milliarden von Google."

STANDARD: Und werden dabei womöglich noch ärmer?

Dueck: Dann muss ich daran erinnern, dass Google erst vor 15 Jahren startete, ohne Milliarden. Vielleicht bittet man die Open-Source-Gemeinde, das zu machen, wie bei Mozilla Firefox. Und die Verlage spenden für die Initialzündung. Man muss sich nur einigen, dass man die Infrastruktur eines Bezahlsystems haben will. Da müssen sich die Verbände zusammensetzen, ohne Egoismen von großen Zeitungen. Ich habe eine Zeit lang einen Spendenbutton von Flattr auf meiner Homepage gehabt.

STANDARD: Und wie viel haben Sie eingenommen?

Dueck: Vielleicht sieben oder acht Zahler pro Artikel, bei 10.000 Lesern. Das System ist kompliziert, es zeigt aber eine gewisse Bereitschaft.

STANDARD: Bis jetzt scheitert das Ihrer Meinung am Konkurrenzverhältnis der Verlage?

Dueck: Bei der Berliner "tageszeitung" werde ich gefragt, ob ich für den Artikel spenden will. Ich bin ja bereit, aber ich will nicht wieder einen eigenen Account bei der "taz" haben müssen. Ich will mit einem Account alles zahlen können, bis zu Angeboten vom Theater in Heidelberg oder der Wiener Oper.

STANDARD: Die Verleger sehen in Google einen, wenn nicht den wesentlichen Feind, der ihre Inhalte klaut und damit Werbung vermarktet.

Dueck: Im Internet ist Infrastruktur eine Schlüsselfrage; Micropayment ist so eine Infrastruktur. Dann muss man gemeinsam mit dem Infrastrukturanbieter eine Lösung finden. Da muss man über Umsatzsharing reden. Das Problem ist vielleicht nicht Google, sondern eine Art Machtverschiebung: Früher hatten wenige Verlage die Macht und konnten ihre Position durchsetzen - wie die Zeitung zum Kunden kommt etwa. Jetzt sind sie nicht mehr Machthaber, die Infrastruktur liegt in der Hand von Google. Wie Mitarbeiter in einem großen Betrieb müssen sie sich als Gewerkschaft organisieren und gemeinsam Forderungen stellen an den großen Infrastrukturbeherrscher. Das ist nicht die Schuld von Google. Die Verlage, die Medien haben ja nicht getan, was Google getan hat.

STANDARD: Warum lesen Sie, der sich grundlegend mit Digitalem beschäftigt, Zeitung auf Papier?

Dueck: Es ist ja auch digital nicht billiger. Warum soll ich dafür das iPad auspacken oder den iMac aufdrehen? Und: Ich bin 60 und seit 40 Jahren gewohnt, dass meine Frau und ich beim Kaffee Zeitung lesen und ein bisschen die politische Lage besprechen. Meine Tochter hat die "Süddeutsche" abonniert, liest sie aber online. Mein Sohn ist irre informiert, hat aber noch nie Zeitung gelesen. Der hat zig Apps auf seinem Smartphone und kriegt über den Tag laufend Meldungen, ist aber blendend informiert.

STANDARD: Ist das eine andere Form von Informiertsein?

Dueck: Das kann man so nicht sagen. Ihn interessiert zwar vor allem Fußball, man kann aber wunderbar über alles mit ihm diskutieren. Jüngere Menschen nehmen das Wissen wohl mehr über Videos auf. Mein Sohn wäre vielleicht ein Studienbeispiel, wie neue Medien gestrickt sein müssten.

STANDARD: Wie sollen die aussehen?

Dueck: Für Menschen wie meinen Sohn muss man ganz andere Businessmodelle von Journalismus stricken. Eine Schlagzeile und ein chices Video dahinter. Das ist für die schreibende Zunft ungewohnt. Aber die Telefonleitungen sind jetzt eben auch nicht mehr aus Kupfer, und die Bankgeschäfte funktionieren von daheim. Da kann sein, dass das wie eine Bombe einschlägt in die rein schreibende Zunft.

STANDARD: Damit das Gespräch nicht so bombig endet: Haben Sie noch Rat und womöglich Trost für die Medienbranche im Gepäck zu Ihrem Vortrag in Wien?

Dueck: Den Umbruch des Internets erleben alle. Man muss es mit Optimismus sehen und tun, was zu tun ist. Der österreichische Landwirt hat von Kühen vielleicht auf Skilifte umgestellt oder steht serviceorientiert in seinem Gästehaus. Das sind wirklich verschiedene Dinge - und es geht. Im Autobau übernehmen die Roboter viele Aufgaben, und die Arbeiter müssen sich auf Facharbeiter upgraden. Reisebüros, IT-Leute - man muss sehen, wie der Beruf der Zukunft aussieht, und das dann machen.

STANDARD: Soll ich mir einen Skilift suchen, ein Wirtshaus?

Dueck: Universitäten werden nicht umhinkommen, eine Fakultät zu kürzen und zehn Prozent der Professoren zu kündigen und sie durch Medien- und Filmleute zu ersetzen. Journalisten können helfen, das Wissen der Welt als Vorlesungen neu aufzubereiten - Professoren können das womöglich gar nicht. Das wäre doch chic, wenn man aus diesem Wissen richtige Videofilme macht und wenn man Qualitätsjournalisten darauf ansetzt, Literatur- und Politikvorlesungen noch einmal richtig schön und zeitgemäß zu gestalten. Da ist unendlich viel Arbeit.

Die Frage stellt sich: Wollen wir das Wissen der Welt noch einmal anständig ins Internet stellen, und helfen wir den Universitäten, die das ja eigentlich nicht können, das zu tun? Da gibt es Tonnen voll journalistischer Berufe. Da müsste die ganze Branche nachdenken: Wo ist da das Business? Es wäre da. Jemand muss anfangen. Es ist ein anderer Beruf, aber der ist auch schön. (Harald Fidler, DER STANDARD, 14.6.2013, Langfassung)