Das Altersspektrum bei den BürgerInnenräten reicht von 15 bis 75.

Foto: Land Vorarlberg

Gemeinsam werden Vorschläge erarbeitet.

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Die Ideen und Visionen wurden beim "Bürgercafé" der Politik präsentiert.

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Wie der Beteiligungsprozess funktioniert.

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Eines Tages erreichte Eva-Maria Schlattinger ein eingeschriebener Brief. Absender: die Vorarlberger Landesregierung. Sie wurde eingeladen, Teil eines BürgerInnenrats zum Thema Bildung zu werden. Die 25-jährige Controllerin wunderte sich, warum gerade sie ausgewählt wurde. Als sie feststellte, dass in ihrem Freundeskreis sonst niemand einen solchen Brief erhalten hatte, erfüllte sie das aber auch mit Stolz. Denn Bildung liegt ihr besonders am Herzen.

Schlattinger wurde per Zufallsprinzip aus dem Melderegister ausgewählt. Seit 1. Jänner ist direkte Demokratie in der Vorarlberger Landesverfassung festgeschrieben. Neben der Durchführung von Volksbegehren, Volksbefragungen und Volksabstimmungen soll auch ein sogenannter BürgerInnenrat regelmäßig tagen. Bewohnerinnen und Bewohner Vorarlbergs unterschiedlichen Alters und Geschlechts nehmen daran auf freiwilliger Basis teil. Im Mai fand der BürgerInnenrat zum Thema Bildung statt, vergangenes Wochenende wurden die Ergebnisse präsentiert.

Bekenntnis zu Partizipation

Vorarlberg will mit den neuen Regeln für mehr direkte Demokratie den Bürgern das Gefühl vermitteln, mitentscheiden zu können. "Es ist ein Bekenntnis des Landes zu Partizipation", sagt Michael Lederer vom Büro für Zukunftsfragen im Amt der Landesregierung im Gespräch mit derStandard.at. "Es gibt in der Verfassung eine Richtlinie, dass halbjährlich BürgerInnenräte durchzuführen sind."

Mit dem Feedback und der Teilnahmebereitschaft der Vorarlberger ist er zufrieden. "Wir haben auf Landesebene einen Rücklauf von drei bis fünf Prozent, die sich dann für eineinhalb Tage wirklich Zeit nehmen." Da es sich um eine freiwillige Beteiligung handle, gibt es keine finanzielle Entschädigung.

"Tolle Gruppendynamik"

Zum BürgerInnenrat über Bildung wurden 600 Personen eingeladen, 21 nahmen dann auch teil. Schlattinger berichtet von einer spannenden Atmosphäre beim eineinhalbtägigen Workshop: "Es ist eine ganz tolle Gruppendynamik entstanden. Jeder hat sofort mitdiskutiert und Vorschläge geliefert."

Begleitet wurden die 21 Teilnehmer von zwei Moderatoren. Beim BürgerInnenforum wird mit der Methode der "Dynamic Facilitation" gearbeitet. Laut Definition trägt sie "dem Umstand Rechnung, dass unser Denken in aller Regel nicht linear geschieht, sondern eher sprunghaft verschiedenen Impulsen und Emotionen folgt".

Ergebnisse und Forderungen

Zum Schluss wurde alles niedergeschrieben, und der BürgerInnenrat kam zu folgenden Ergebnissen:

  • Die Kompetenzen der Lehrer sollen gestärkt werden. Dazu zählen Lehrerfortbildung, mehr Flexibilität beim Lehrplan, Persönlichkeitsbildung und eine bessere Entlohnung. Um das Image des Lehrerberufs aufzuwerten, schlagen die Bürger vor, einen Werbefilm über den Beruf zu drehen, um ihn auch für Männer wieder interessanter zu machen.
  • Die Bürger plädieren dafür, zwei Lehrer in der ersten Klasse Volksschule einzusetzen. So könne auf individuelle Begabungen eingegangen werden. Schüler sollen gezielt gefördert werden. Ab dem Alter von zehn Jahren sollen sie außerdem die Möglichkeit bekommen, ein Fach frei zu wählen, das nicht mit einer Note beurteilt wird. Für die Volksschule sollen Noten prinzipiell in Frage gestellt werden. Praktiker sollen regelmäßig an Schulen geholt werden, um von der Berufswelt zu erzählen. Schüler sollen mitentscheiden können, wie ihre Traumschule aussieht.
  • Das Verhältnis zwischen Lehrern, Eltern und Schülern soll verbessert werden. Eltern sollen mehr in die Schule einbezogen werden. Externe Prüfer bei Abschlussarbeiten wie der Matura sollen Spannung aus dem Verhältnis zwischen Eltern, Lehrern und Schülern nehmen.
  • Bildung soll lebenslang stattfinden. Der BürgerInnenrat empfiehlt Weiterbildung für Arbeitslose und fordert Anreize, sich über den zweiten Bildungsweg Zusatzqualifikationen anzueignen.
  • Familien sollen unterstützt werden. Eltern, die aufgrund von Krankheiten, Drogen- oder Alkoholmissbrauchs beeinträchtigt sind, oder auch Berufstätige sollen gefördert werden, indem man das Angebot von Ganztagsschulen und Kindergärten ausweitet.
  • Die finanziellen Mittel für Bildung sollen aufgestockt werden, ein gutes Bildungssystem sei das Kapital für eine zukunftsfähige Entwicklung. "Bildung statt Skispungschanze", heißt es dazu im Endbericht.

Bei der Endpräsentation war auch Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) anwesend. "Die Politiker haben uns sehr aufmerksam zugehört und uns auch gleich ein erstes Feedback gegeben", sagt Schlattinger. Sie ist aber skeptisch, ob ihre Ideen wirklich aufgegriffen und umgesetzt werden.

Keine bindende Umsetzung

Dem entgegnet Michael Lederer von der Landesregierung: "Nach dem BürgerInnenrat müssen die Ergebnisse öffentlich diskutiert werden. Die Regierung und der Landtag werden sich damit befassen." Da der Gesamtprozess jedoch ergebnisoffen ist, gebe es auch keine explizite Regelung, was davon umgesetzt wird.

Bis Anfang Juli will die Regierung dem BürgerInnenrat und der Bevölkerung eine Stellungnahme überliefern. "Es sind sehr viele Punkte aufgetaucht, die weiterverfolgt werden können", sagt Lederer auf die Frage, ob die Möglichkeit zur Umsetzung nicht ohnehin gering sei, da vieles im Bildungsbereich in Bundeskompetenz liegt.

Mehr Erwachsenenbildung

Schlattinger ist besonders wichtig, dass die Vorschläge zur Erwachsenenbildung aufgenommen werden. Denn Bildung findet ihrer Meinung nach nicht nur in der Schule statt. Sie selbst absolviert derzeit einen Lehrgang zur Ausbildnerin beim Roten Kreuz. Auch dass Erste-Hilfe-Kurse verpflichtend in den Schulen angeboten werden, würde sich die Vorarlbergerin wünschen. (Rosa Winkler-Hermaden, derStandard.at, 14.6.2013)