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Wurde zu seiner filmischen Welt interessant befragt: Regisseur Michael Haneke.

Foto: AP /Ronald Zak

Wien - Der Mann ist ernsthaft ein Pedant, im besten Sinne freilich. Penibel in der Vorbereitung, ungeduldig und bei Schlampereien aufbrausend. So viel war bekannt, spätestens seit Thomas Assheuer 2008 den Gesprächsband "Nahaufnahme" (Alexander-Verlag) mit Michael Haneke veröffentlichte. Nach "Das Weiße Band" erzählte der Kameramann Christian Berger zudem, dass es für Haneke eine Qual sei, einen Film zu drehen. Nicht das Drehbuchschreiben, nicht die Vorbereitung oder der Schnitt. Aber das Drehen: An die fertigen Bilder in Hanekes Kopf müssten Schauspieler und technische Crew erst einmal herankommen. Eine Qual auch für das Team.

Wenn jetzt ebenfalls im Alexander-Verlag der Gesprächsband "Haneke über Haneke" aus dem Französischen übersetzt erscheint, betrachten die Autoren Michel Cieutat und Philippe Rouyer diesen Prozess noch einmal genauer: Fünfzig Stunden lang, verteilt über zwei Jahre, sprachen die beiden Filmwissenschafter mit Haneke. Und tatsächlich bringen sie Interessantes und Weiterführendes aus jeder einzelnen Produktion ans Licht.

Auffällig ist die uneitle Entspanntheit, mit der Haneke zurückblickt. Wie stets wehrt er sich gegen Interpretationen, aus dem Gespräch mit Assheuer bleibt Hanekes Diktum, nachdem ein Regisseur eben "nicht dafür da sei, dem Zuschauer zu sagen, wo es langgeht". Bei Erklärungen wird er ungehalten. Der Wille zur Mehrdeutigkeit ist - auch wenn manche spätestens seit "Amour" bereits ein mildes Alterswerk erkannt haben wollen - ungebrochen.

Also reduziert Hanke kurzerhand, wenn Cieutat und Rouyer symbolisch Aufgeladenes finden, durch den Hinweis auf banale Ursprünge. So will Haneke von der "echten Liebesgeste" nicht viel wissen, wenn Jean-Louis Trintignant seine Partnerin Emanuelle Riva mit dem Kopfkissen von ihrem Leiden erlöst und dabei auch seinen Kopf auf das Kissen drückt. Der Grund sei viel banaler: Trintignant habe sich einige Tage zuvor die Hand gebrochen und so habe er größere Schmerzen vermieden.

Und der Titel "Der siebente Kontinent" sei auch nicht ihm, sondern der Frau des Hauptdarstellers eingefallen. Auch so kann man viel von der heißen Luft herauslassen, mit der Regisseure gerne einen Künstlerbegriff aufblasen und sich damit vor dem Gesicht herumschwenken. Hanekes Arbeitsziel: beim Zuschauer Zweifel an der Wahrhaftigkeit der Bilder und der Geschichte wecken. Auch jener, die Haneke kunstvoll erzählt. Sie sind der Kern seiner Filme. Damit provoziert er Zweifel an unseren Gewissheiten und der Maschinerie, die sie uns vermitteln möchte. Die Affirmation ist es, die Haneke Schmerzen verursacht. Dabei ist die strenge Form und nicht die Erzählung politisch: Wenn Haneke uns allein lässt bei Interpretation und Bewertung, spricht daraus Vertrauen und tiefer Humanismus.

Die Eckpunkte dieser Haltung sind aus Interviews bekannt, dennoch ist es ein reiner Genuss, den Fragestellern durch die Querverweise und die Verästelungen der Motive zu folgen. Keine Ranschmeißer, niemand will sich selbst in ein besseres Licht rücken. Hätten die Autoren ihren Aufwand nicht im Vorwort verraten, man könnte glauben, sie hätten Haneke an einem Sommerwochenende zum Tee getroffen. Und wir wären gerne dabei.

Wenn aber der Band dann mit dem Essay von Georg Seeßlen leider ausgeklungen ist, schweift der Blick auf den Fernseher, der stumm im Zimmer herumsteht. Eine selbstgewisse Apparatur, eine, die uns den Skandal bellt oder Aussöhnung predigt. Eine Quelle der formatierten Welt. Haneke bemerkt, dass er, müsste er heute anfangen und bei den "Fernsehheinis" ohne sein Renommee vorsprechen, scheitern würde. Wir blicken also auf die wirkliche Qual. (Lennart Laberenz, DER STANDARD, 14.6.2013)