Inseln - dort wie da: Stockholm, die neue Wahlheimat Luca Nichettos, wo der Designer seit kurzem ein zweites Büro unterhält, hat bekanntlich genügend davon: eine eigene Altstadt- und eine Museumsinsel, Fähren und touristische Mietkajaks sowieso. Und am Geburtsort des jüngsten Design-Überfliegers bewegt man sich ohnehin mit Schiffen fort. Nur dass sie dort Vaporetti heißen und vom heimatlichen Murano Richtung Dogenpalast schippern, an den Lido und an andere Orte Venedigs.


Sessel "Alle" für Skitsch

Nette Nichetto-Inseln fanden sich drittens aber auch in Köln. Sie zonierten auf der heurigen Mega-Möbelmesse in Köln das "Haus", ein relativ neues Format im Rahmen der IMM Cologne. Jedes Jahr darf ein anderer Designer hier seine Vorstellung vom idealen Wohnen in die Auslage stellen. Mauern fanden sich beim Murano-Insulaner Luca Nichetto keine. Er überließ es den Möbeln, die jeweilige Nutzung des Terrains abzustecken - und setzte lieber auf Pflanzen in großen Trögen. "Ich sehe ein Haus wie einen lebendigen Organismus", erklärte Nichetto sein Konzept. "Mit einem Wohnzimmer als schlagendem grünem Herz, ähnlich wichtig, wie es der Amazonas für die Erde ist." Nichettos Kölner Amazonas wucherte neben den Lichtfugen aufgefalteter Fassadenwände, setzte sich in Form bepflanzter Lichthöfe und begrünter Terrassen Richtung Wohnraum fort - mühelos inszenierte Nichetto ein Wechselspiel zwischen innen und außen.


Sessel "Robo" für Offecct

Vielleicht ist das viele Grün ja schon ein erster Skandinavien-Drall. Wie sich der Exodus auf die weitere Arbeit des Italieners auswirken wird, steht noch nicht ganz fest. Obwohl: Für die schwedische Firma Offecct entstand bereits 2011 "Green Pads", eine Art ultimatives Zimmerpflanzen-Ghetto in Form einer Tischfläche aus kreisrunden Stellelementen im Stile von Blumentopfuntersetzern. Ein weiterer Offecct-Entwurf, das Sitzmöbel "Robo", verströmte da schon einen unterkühlteren Hauch von Lebendigkeit: Inspiriert durch ein Musikvideo von Björk, ließ Nichetto einen Sessel wie einen Roboter antanzen, mit eigenwillig segmentierten Bein- und Rückenteilen.


Tischleuchte "Vader" für David Design

Produkte mit Innenleben, könnte man dazu sagen. Das gilt wohl auch für die nach dem Star Wars-Fiesling benannte, aus Keramik gestaltete Tischleuchte "Vader" für David Design: eine Art Helm, aus dessen Spalt Licht entströmt, das in den schlimmsten Fantasien des Universums in die Stube glimmt.

Nur um die Sache richtig einzuschätzen: Luca Nichetto ist dieser Tage nicht nur einfach so im kreativen Arbeitsrausch - etwa um den 70-Wochenstunden-Volontären diverser Design-Onlineplattformen mit spaßigen Prototypen auf den Keks zu gehen. Es ist ganz einfach so, dass Luca Nichettos Auftragsbuch aus den Nähten platzt. 18 Hersteller allein 2012, und keineswegs schwachbrüstige, sondern Kaliber wie Casamania, Cassina, De Padova, Established & Sons, Foscarini, Fratelli Guzzini, Kristalia, Moroso oder Tacchini reißen sich um ihn. Das macht dem 36-Jährigen kaum jemand nach, schon gar kein Newcomer der Branche.


Pflanzentisch "Oasis Green Pads" für Offecct

Blickt man noch tiefer nach innen und schüttelt Darth Vader ab, dann hat sich das Strahlen in den Glanz der Kindheit verwandelt und in das bunte Leuchten der Glasinsel vor Venedig. Ganz verlassen hat Luca Nichetto Murano nämlich nie. Das wäre auch gar nicht möglich, nicht nach alledem: einzelne Vorfahren Glasbläsermeister, die ersten Design-Aufträge für den Traditionsbetrieb Salviati, später noch mehr Gespür für Glas - etwa im Verein mit dem Leuchtenhersteller Foscarini.


Zu einer ganzen Kastenskyline lassen sich die einzelnen Stücke "Toshi" zusammensetzen, die Luca Nichetto für Casamania entwarf.

Ecco: Murano prägt. Das stets präsente historische Erbe, das Venezianer per Muttermilch aufsaugen, vermutlich auch. Luca Nichetto sog es sogar per Großmuttermilch auf. Scheuermilch allerdings. Die Bilder der Nonna Nichetto, die damit die traditionellen Messingklopfer zu wienern pflegte und die trotz aller Routine sowohl glänzende als auch dunkel oxidierte Rillen hinterließ, verarbeitete der groß gewordene Luca erst kürzlich auf seine Weise: Bei den bauchigen Messinggefäßen der Kollektion "Timeline" sind solche durch Oxidation bedingte Farbveränderungen Teil des Entwurfskonzepts.

Schalen "Timeline" für Skultuna

Vielleicht bezeichnet sich Nichetto, der später in Venedig Architektur studierte, auch wegen solcher Geschichten als Autodidakt. Um einen besonders asketischen Designer, um einen, der jeden Kurvenmillimeter und jede Farbnuance auf die Goldwaage legt, handelt es sich bei dem Vielbeschäftigten jedenfalls nicht. Stattdessen haftet seinen Entwürfen etwas Verbindliches an, auch in zeitlicher Hinsicht. Etwas, das die Patina der Palazzi und die Kühle des internationalen Stils amalgamiert und das seinen Entwürfen sinnlichen Tiefgang verleiht - ohne deswegen auf zeitgemäße Leichtigkeit zu verzichten.


Luca Nichetto

Das hat man auch im April gesehen, als Nichetto anlässlich des Mailänder Salone del Mobile den Stuhl "Alle" vorstellte, einen Entwurf für das selbst erst letztes Jahr eingeführte italienische Label Skitsch, mit dem er einen aktuellen Trend bedient: chromatische Farbverläufe, die in diesem Fall Schichtholz wie eine abgetragene Jean aussehen lassen. Sie könnte Casanova gehören. (Robert Haidinger, Rondo, DER STANDARD, 14.6.2013)