Teheran/Rom - Dass die Iraner und Iranerinnen Samstagfrüh wissen, wer ihr neuer Präsident ist, gilt als unwahrscheinlich: Eigentlich rechnen die Buchmacher damit, dass zwei der verbliebenen sechs - wenn sich im letzen Moment nicht noch einer zurückzieht - Kandidaten vierzehn Tage nach dem heutigen Wahltag in die Stichwahlen müssen. Und die dafür am häufigsten genannten Namen bleiben konstant: Mohammed Bagher Ghalibaf, Oberbürgermeister von Teheran, sowie Saeed Jalili, Chef des iranischen nationalen Sicherheitsrates und Atomunterhändler. Die beiden sind mit 51 und 47 Jahren auch die jüngsten Bewerber.
Dass sich von den drei Kandidaten, die als "Prinzipalisten"-Koalition angetreten waren, bis Donnerstagnachmittag nur einer zurückgezogen hatte, gab den Anhängern des einzigen Reformkandidaten, Hassan Rohani, etwas Hoffnung: Exaußenminister Ali Akbar Velayati würde dem starken Ghalibaf Stimmen wegnehmen und die Chancen Rohanis, doch in die zweite Runde zu kommen, erhöhen. Bereits seit Dienstag gab es jedoch Gerüchte über Velayatis bevorstehenden Rückzug. So wie ja zuvor schon Gholam-Ali Haddad-Adel, früherer Parlamentspräsident und angeheirateter Khamenei-Verwandter, den Stärkeren das Feld überlassen hatte.
Auch der zweite Reformkandidat, Mohammed Aref, unter Mohammed Khatami Vizepräsident, hatte sich zugunsten Rohanis zurückgezogen. Wie stark dieser wirklich ist, ist schwer einzuschätzen: Der Mullah und frühere Atomunterhändler Khatamis hat großen Zulauf. Expräsident Ali Akbar Hashemi Rafsanjani - der, wäre er vom Wächterrat nicht gesperrt worden, als Reformkandidat angetreten wäre - hat sich indirekt für ihn ausgesprochen. Aber ob das den seit den Wahlen 2009 und den darauffolgenden Unruhen noch mehr entfremdeten systemkritischen Sektor der iranischen Gesellschaft an die Urnen bringt, war unklar.
Ein Hoffnungsträger für echte Reformen ist Rohani nur für wenige, auch wenn er im Wahlkampf etwa besonders die Frauenrechte angesprochen hat. Seine Anhängerinnen gehen mit violetten Bändern und kleinen Schlüsseln auf die Straße: Er hat versprochen, alle Schlösser aufzusperren, die in den letzten Jahren im Iran versperrt wurden, falls er gewählt werden sollte.
Auch die wahre Stärke Ghalibafs war am Vorabend der Wahlen schwer einzuschätzen. Er ist in Teheran als zupackender und pragmatischer Bürgermeister recht beliebt. Aber ob sein Glanz über die Hauptstadt hinaus in die Provinzen strahlt, weiß niemand so recht zu sagen. Dass ein Verwalter eines Molochs wie Teheran ein tüchtiger Regierungschef sein muss, ist für viele Iraner seit Mahmud Ahmadi-Nejad widerlegt, den sie für die katastrophale Wirtschaftspolitik verantwortlich machen: Auch Ahmadi-Nejad war bis zu seiner Wahl 2005 Teheraner Oberbürgermeister.
Ghalibaf ist zwar konservativ, aber sozial bestimmt kein Hardliner, auch wenn seine Rolle als Teheraner Polizeichef bei der Niederschlagung von Studentenunruhen 2003 nicht ganz klar ist: Je nach Publikum gibt er sich als einer, der damals hart durchgriff, oder als einer, der die Studenten in Schutz nahm.
Als wirklicher Hardliner trat im Wahlkampf Saeed Jalili auf. Deshalb horchten viele auf, als Khamenei vor zwei Tagen in einer Rede einer weicheren Linie dem Ausland gegenüber eine Absage erteilte. Außer Jalili hatten sich alle Kandidaten für eine pragmatischere Politik, was den Atomstreit betrifft, ausgesprochen.
Schon kurz nach der Bekanntgabe seiner Kandidatur galt Jalili als der vielleicht heißeste Tipp. Er ist ein Mann Khameneis, aber auch für die Anhänger des aus der Gnade gefallenen Ahmadi-Nejad akzeptabel, die keinen eigenen Kandidaten im Rennen haben. Das heißt, er könnte Gräben zuschütten helfen - während sich jedoch andere weiter öffnen würden. Regimekritiker halten ihn für eine Art perfektionistischen Ahmadi-Nejad. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 14.6.2013)