Ein Titandioxid-Film soll in Interaktion mit Sonne Displays reinigen können. Noch dauert das aber viel zu lange.

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Pilotprojekt auf den Philippinen: Der Titandioxid-Film auf der bunten Lärmschutzwand holt fünf Prozent der Stickstoffoxide aus der Luft.

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Bekannt wurden die Wälle durch einige der weltbesten Straßenkünstler, die entlang der 24 Kilometer langen Mauer acht gigantische Malereien angebracht haben.

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Produziert wird die Farbe von der philippinischen Firma Boysen. Wie man sieht, sind die Ausmaße noch bescheiden.

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Man muss sich nur zu Hause oder im Büro umschauen, um seine Wirkung zu erkennen. Das Weiß der Zahnpasta, der Wände, der Computermaus oder des neuen Handys. Titandioxid sorgt seit 100 Jahren dafür. Mit dem Aufstieg der Chinesen ordnet sich das Geschäft neu. In Europa sucht die Forschung schon nach neuen Einsatzmöglichkeiten für das kristalline Pulver.

Milliardengeschäft

Das Geschäft mit dem Weißpigment ist milliardenschwer. 2012 wurden rund 5,5 Millionen Tonnen Titandioxid gefördert, über zwölf Milliarden Euro wurden so verdient. Die seit Jahrzehnten dominierenden Player sind die US-Konzerne DuPont, Tronox, Huntsman und Kronos sowie die saudi-arabische Cristal Global. Am stärksten ist der Industriezweig aber in China. Die Volksrepublik ist laut U.S. Geological Survey mittlerweile größter Produzent und Konsument der Welt.

Am besten lässt sich die Bedeutung des kostbaren Stoffes am Lack ablesen. Egal ob Wand- oder Autofarben, am häufigsten verleiht Titandioxid ihnen Strahlkraft. Rund die Hälfte des weltweit verkauften Weißpigments landet im Lackkübel.

Mensch und Maschine

Weltmarktführer ist der niederländische Konzern AkzoNobel. Bei einem Lokalaugenschein im Stammwerk Sassenheim fällt vor allem das mehrere tausende Kilometer lange Rohrnetz ins Auge, über das die Farbe transportiert wird. Ist man einmal in der Produktionshalle, erregen vor allem die Tanks Aufmerksamkeit, in welchen sich die mit Bindemitteln und Lösungsmitteln vermischten Pigmente finden. Das farbgebende Pulver wird dabei mit einer Art Mörser in die Mischung eingebracht, um eine körnige Struktur zu vermeiden. Lacke sollen schließlich möglichst glatt sein.

Rauer wird es dann im Versandlager. Zumindest der Ton erinnert daran, dass hier unter Zeitdruck mit dem Gabelstapler hantiert wird. Zur Musik der Rockband Rage Against the Machine fahren Männer hupend durch die Hallen. Was chaotisch anmutet, hat durchaus System. Man habe schon vieles probiert – Vorrangschilder, Spiegel, Verkehrsleitzeichen -, aber das Piepen habe sich als beste Lösung herauskristallisiert, heißt es vom Chemieriesen.

Mucksmäuschenstill ist es hingegen im vorgelagerten Pufferlager, aus dem der Versand die Lacke bezieht. Dort hantieren Roboter, keine Menschen. Die Maschine arbeitet nicht nur dem Versand zu, sondern steuert mit ihren Auftragsmeldungen auch die Produktion.

Stoff zum Schmutzlösen

Acht Kilogramm Lack braucht der durchschnittliche Europäer im Jahr. Darin sind anteilsmäßig die drei bis vier Kilogramm für das Auto ebenso enthalten wie ein paar Gramm für das neue Handy. In den USA, Russland und der Türkei sind es sogar gut zehn Kilogramm. Im rapide aufholenden China vier.

Doch der Alleskönner Titandioxid kann mehr als Lack. Das Weißpigment soll in Zukunft nicht nur Farbe geben, sondern auch nehmen. Forscher an den Fraunhofer-Instituten in Braunschweig und Stuttgart arbeiten daran, dass der Stoff zum Schmutzlösen eingesetzt werden soll. Sie haben herausgefunden, dass mit einem Titandioxid-Film besprühte Armlehnen von Gartenmöbeln auch über die Jahre kaum an Farbkraft verlieren. Zudem sollen sich damit versetzte Gläser, etwa Handydisplays, in Interaktion mit Sonne selbst reinigen können. Noch ist der Wirkungsgrad aber viel zu gering. Es dauert Stunden, um Fingerabdrücke vom Monitor zu bringen. In Innenräumen funktioniert es noch gar nicht.

Grüne Autobahnwände

Beim Emissionsabbau entlang stark befahrener Straßen hat sich hingegen mehr Erfolg eingestellt. Mit dem Weißpigment bestrichene Flächen neutralisieren Stickstoffoxide (NOx) aus der Luft. Feinste Titandioxidkristalle werden durch Sonnenlicht und Wasserdampf in ihrer "fotokatalytisch" genannten Wirkung angeregt und spalten dabei NOx auf. Die Wiener TU-Professorin und Wittgenstein-Preisträgerin Ulrike Diebold ist eine Expertin auf diesem Gebiet. In Deutschland, aber auch auf den Philippinen gibt es vielversprechende Pilotprojekte, im Rahmen derer rund fünf Prozent weniger Schadstoffgehalt ermittelt wurden. Um den Effekt zu halten, ist alle fünf Jahre ein neuer Anstrich fällig.

In Manila sind die Lärmschutzwände entlang 24 Kilometer Stadtautobahn mit der Wunderfarbe bestrichen. Bekannt wurde das Projekt vor allem wegen der weltbekannten Künstler, die sie bemalt haben. Der philippinische Farbenhersteller Boysen hat sie engagiert und so frischen Wind für seine Wandfarbe erzeugt, für die immerhin das Vierfache einer Normalfarbe fällig wird. Dafür sei ein Quadratmeter der Farbe von der Filterwirkung her mit einem großen Baum vergleichbar, heißt es von Boysen.  

Klingt vielversprechend. Noch ist aber unklar, ob Titandioxid selbst für Schaden sorgen könnte. Sein Wunderwerk vollbringt der Helfer nämlich im Nanobereich. Und ob der an sich ungiftige Stoff in dieser Größe die Gesundheit gefährdet, ist noch nicht geklärt. (Hermann Sussitz, derStandard.at, 17.6.2013)