Die nackte Brust einer Frau, die diese zu Demonstrationszwecken blankgezogen hat, bringt in Tunesien vier Monate Haft ein. Das kommt bereits fast an das Fußfessel-Urteil in Österreich heran, bei dem ein Vergewaltiger eines minderjährigen, zu ihm in Abhängigkeitsverhältnis stehenden Mädchens gerade einmal sechs Monate zu Hause ausgefasst hat.

Wir lernen daraus, dass ein weiblicher Körper, der unfreiwillig entblößt und benützt wird, jedenfalls weniger gefährlich ist als ein freiwillig entblößter. Ein so dargebotener Frauenkörper wird offenbar zur Waffe, und Waffeneinsatz ohne gerechtfertigten Grund ist nicht zu tolerieren. Zu tolerieren sind diverse Fotos in diversen Zeitungen, die denselben blanken Busen zur Ansicht anbieten, aber, und auf das kommt es schließlich an, ohne eine politische, bestenfalls mit einer Unterleibsbotschaft.

Nicht, dass ich die Femen in all ihren Aktionen unterstützen würde, einige wirken unüberlegt und machen wenig Sinn. Die hübsche Einlage bei Heidi Klum aber hatte schon etwas Theatrales, ein wenig ganz großes Kino, das ich jedem begeistert zusehenden jungen Mädchen gegönnt habe: Das Kunststück, bei der letzten Show erfolgreich noch nackiger, wenn auch wesentlich renitenter, daherzukommen als die beiden letzten Mohikanerinnen der kleinen Horrorshow, war gelungen. Es ist müßig, über die Justiz zweier grundverschiedener Länder Vergleiche zu ziehen. Die Reaktionen auf die Femen glichen sich aber weltweit: Zwangsverhüllung und Entfernung vom Ort des Geschehens.

Mit wie vielen Bedeutungen ein nackter Frauenkörper aufgeladen werden kann! Verlässt dieser Körper aber die zweidimensionale oder gar die dreidimensionale Objektebene, wird diese so eigenmächtig eingesetzte Blöße augenblicklich als Angriff gewertet, da plötzlich nicht der Blick des Betrachters, sondern das Anzublickende die Situation bestimmt. Ich warte fairerweise immer noch sehnsüchtig auf den Seite-3-Boy, der einem mit schelmischem Lächeln seine guttrainierte Oberarmmuskulatur entgegenreckt, garniert mit Texten, die dieses Entgegenrecken mit absurdesten Begründungen versehen, zum Beispiel so: "Ein Glück für unseren Fotografen: Wilfried mag die Sonne."

Blöderweise findet man diese guttrainierten Jungs vor allem in Männermagazinen. Erst letztens beim Friseur Men's Health durchgeblättert, um mich mit den Tipps vom Aufriss über den richtigen Zeitpunkt des Entweichens am nächsten Morgen bis zum Zubereiten einer simplen Eierspeise (wäre ich ein Mann, ich wäre echt beleidigt, was man mir an Blödheit zumutete) auf dem Laufenden zu halten. So viele Hochglanzbilder von halbnackten Männern wie dort sah ich bisher noch nirgends auf dieser Welt. Echt. Ich schwöre. (Julya Rabinowich, Album, DER STANDARD, 15./16.6.2013)