In den vergangenen Tagen ist Ex-Kanzler Gusi mehrfach in die Schlagzeilen gekommen. Seit Gusi jetzt auch noch Novomatic berät, verfestigt sich bei Kritikern der Eindruck, dass hier einer Perrier predige und Barolo trinke. Barolo trinkt Gusenbauer gewiss, als Wasserprediger ist er noch nicht aufgefallen. Aber Sozialdemokrat ist er, und wie jedermann von öffentlich ausgestellter Gesinnung scheint auch er einem zwar unscharfen, jedoch wirkmächtigen moralischen Reinheitsgebot zu unterliegen.

Im Zentrum der ganzen Debatte steht wieder einmal die gute alte Glaubwürdigkeit. Volks- und Interessenvertreter sollten stets darauf achten, ein in sich stimmiges Bild der Rechtschaffenheit nach außen hin zu projizieren ("Ich bin ein ganz Braver"), wenn sie sich keine Scherereien einhandeln wollen.

Dennoch bekommt es der Staatsbürger häufig mit dem Typus des korrupten Saubartls zu tun, und zwar jenes Saubartls, der nicht nur korrupt ist, sondern zudem anderen ungeniert ins Gewissen geht. Ein Beispiel für viele: Im Jahr 2007 wurde der amerikanische Senator Larry Craig, der sich ein Renommee als Kämpfer gegen die Homo-Ehe geschaffen hatte, auf einer Flughafentoilette dabei beobachtet, wie er unter der Trennwand in die Nebenkabine hinüberwachelte, um den Sitznachbarn zur sexuellen Kontaktaufnahme zu animieren. Solche Spitzenleistungen der Hypokrisie kommen typischerweise in den USA vor, wo die moralischen Anforderungsprofile scharf gezogen sind, während es den Franzosen ja meist völlig powidl ist, wer gerade wo zwischen Champs-Élysées und Pigalle herumkopuliert.

Hier weitere Beispiele für womöglich inkonsistente öffentliche Inszenierungen:

  •  Der internationale Veganerbund lädt zu seiner Jahrestagung ein: "Anschließend gemütliches Beisammensein bei einer großen Schlachtpartie."
  • Der österreichische Abstinenzlerbund feiert die Aufnahme seines tausendsten Mitglieds mit einem zünftigen Umtrunk ("Gute Laune nicht vergessen!").
  • Die Wiener Gesellschaft für Moraltheologie veranstaltet ihre Seminarreihe "Ethik heute" in den Räumlichkeiten des "Pussy Club" am Wiener Gürtel.
  • Die FPÖ und H.-C. Strache organisieren ein antifaschistisches Rockfestival für die Jugend ("Blaue Power gegen Rechts!").

In all diesen Fällen gilt: Vorsicht! Glaubwürdigkeitsgefahr! (Christoph Winder, Album, DER STANDARD, 15./16.6.2013)