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Frankreichs Linke ist besorgt und ruft zum Ende von Gewalt und Hass auf.

Foto: AP/Mori

Natürlich glaubt niemand wirklich, dass in Frankreich ein Militärputsch bevorsteht, auch wenn die Revue de l'Arsenal, eine Zeitschrift für Militaristen und Monarchisten, hohe Armeeangehörige dazu aufruft. Es wäre der erste nach über fünfzig Jahren - zuletzt probten französische Generäle 1961 während des Algerienkriegs den Aufstand gegen Staatspräsident Charles de Gaulle.

So absurd der Putschaufruf klingt, hat er doch einen sehr realen Anlass: die Homo-Ehe, die laut der Revue de l'Arsenal bloß dank der "Freimaurer" in der Rot-Grün-Koalition in Kraft getreten sei. Vor wenigen Tages störten Aktivisten sogar das Finalspiel des Roland-Garros-Tennisturniers in Paris mit Spruchbändern und einem halbnackten Jugendlichen, der mit einer Leuchtrakete auf den Platz stürmte.

Doch das war noch gar nichts verglichen mit den Schlägen, mit denen vor wenigen Tagen der junge Linksaktivist Clément Méric von Skinheads getötet wurde. Einige Täter gehören zur Nationalistischen Revolutionären Jugend (JNR), deren Anführer Serge Ayoub ebenfalls zum Kampf gegen die Homo-Ehe aufgerufen hatte. Die Regierung prüft nun ein Verbot der Gruppe, eventuell schon in diesem Monat.

Zu Tode geprügelt

Die militanten, gewaltbereiten Rechtsextremisten sind nur die Spitze eines Eisberges: Seit Jänner hatten in den Städten Millionen konservative Bürger und Kirchenvertreter gegen die Homo-Ehe demonstriert. Ein "christlicher Populismus" breche sich Bahn, frohlockt Patrick Buisson, der "Falke" unter den Beratern von Ex-Präsident Nicolas Sarkozy.

Die massiven Proteste gegen das Heirats- und Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare gehen allerdings tiefer. Das zeigt sich in der Weigerung von politisch gemäßigten Provinzbürgermeistern, die Homo- Ehe zu zelebrieren. Das konservative Frankreich wehrt sich gegen den Verlust von Bezugspunkten wie der traditionellen Familie oder der staatlichen Autorität.

Transparente in Roland-Garros verlangten auch den Rücktritt des sozialistischen Präsidenten François Hollande, der von der größten französischen Zeitschrift L'Express unumwunden "Monsieur Faible" (Herr Schwächling) genannt wird. Anfang des Jahres drückten in einer Umfrage 87 Prozent der Franzosen ihren Wunsch nach einem "echten Chef" im Elysée-Palast aus. Gleichzeitig wissen sie auch, dass die Zeiten eines " homme de providence", eines Mannes der Vorsehung, vorbei sind, nachdem auch Sarkozy die Hoffnungen der Rechten bitter enttäuscht hatte.

Nicht nur rechts außen herrscht Frust vor. Le Monde spricht von " nationaler Depression", die Libération von "Orientierungsverlust", und der liberale Ökonom Nicolas Baverez trifft eine "klinische Feststellung des Niedergangs".

Die Kulisse für die rechte Revolte bildet die anhaltende Wirtschaftskrise, die immer mehr Arbeitslose, Pensionisten und sozial Benachteiligte in die Arme des Front National von Marine Le Pen treibt. Die Krise stellt das gesamte französische Sozial- und Industriemodell infrage; dazu offenbart sie die Unfähigkeit der Politiker, das Land - etwa nach deutschem Vorbild - zu reformieren.

Sarkozy sinnt auf Revanche

Angesichts der über drei Millionen Arbeitslosen und rechtsextremen Übergriffe werden in der Öffentlichkeit Rufe nach einer Regierung der nationalen Einheit laut. Unlängst debattierten die Pariser Medien etwa über eine Berufung des Christdemokraten François Bayrou zum Premierminister. Die bürgerliche Rechte denkt aber nicht daran, mitzuspielen.

Der im Mai 2012 abgewählte Sarkozy zieht indes in der großen bürgerlichen UMP nach wie vor die Fäden. Er sinnt nicht auf einen nationalen Schulterschluss, sondern auf Revanche. Das sind nicht die besten Voraussetzungen für eine Befriedung der politischen Lage in Paris. (Stefan Brändle, DER STANDARD, 15.6.2013)