Ein kühler Wind bläst am Freitag um die markante Spitze der SPD-Zentrale in Berlin, Nieselregen droht einzusetzen. Doch Kanzlerkandidat Peer Steinbrück blickt zufrieden auf den Straßenrand. 16 kleine Lastwagen parken dort, sie alle haben nur eine Last auf der Ladefläche: ein großes leeres Plakat mit der Überschrift: "Hier sehen Sie alle Wahlversprechen, die Angela Merkel eingehalten hat."

Steinbrück selbst schickt sie an diesem Freitag - genau 100 Tage vor der Bundestagswahl am 22. September - auf die Reise in die 16 deutschen Bundesländer und eröffnet damit die heiße Phase des Wahlkampfes. "In 100 Tagen haben die Wählerinnen und Wähler die Chance, das schwarz-gelbe Chaos abzuwählen", sagt er und bittet dann alle Anwesenden noch laut zu lachen. Denn Merkel habe doch allen Ernstes behauptet: "Diese Bundesregierung ist die erfolgreichste Bundesregierung seit der Wiedervereinigung." Er selbst lacht am lautesten.

Doch im September will ja Rot-Grün die Macht übernehmen. Natürlich kann Steinbrück dieser Tage keinen Schritt machen, ohne gefragt zu werden, wie das denn klappen soll. Denn in Umfragen liegen CDU/CSU zwischen 40 und 42 Prozent, die SPD nur zwischen 24 und 28 Prozent. Die FDP kommt auf vier bis sechs Prozent, die Grünen auf 13 bis 14, die Linken auf sechs bis neun Prozent.

Steinbrück erzählt dann gern eine Geschichte aus dem Hause Steinbrück. Seine Frau habe beim Aufräumen ein altes Stern-Magazin vom Juni 2005 gefunden. "Da wurde die CDU in Umfragen bei 49 Prozent gehandelt. Und bei der Wahl im September bekam sie dann nur 35 Prozent." Der Kanzlerkandidat schaut triumphierend, vergisst allerdings die darauffolgende Wahl 2009 zu erwähnen. Da fiel die Union in den letzten 100 Tagen nur von 37 auf 33,8 Prozent, die SPD sank zeitgleich von 25 auf 23 Prozent.

CDU gegen Steuererhöhung

Das Ergebnis 2009 war für die SPD so katastrophal, weil viele SPD-Wähler gar nicht zur Wahl gingen. Die will Steinbrück jetzt mobilisieren. " Lasst euch nicht vermerkeln" und "es merkelt wieder" heißt es auf der neuen Website www.schwarzgelblog.de. Dort werden Merkels milliardenschwere Versprechungen als "unglaubwürdig" gegeißelt.

Tatsächlich ziehen die beiden größten deutschen Parteien mit völlig unterschiedlichen Aussagen zur Steuerpolitik in die heiße Phase des Wahlkampfes. "Wir werden einige Steuern für einige erhöhen", sagt Steinbrück und meint damit Belastungen für Besserverdiener. "Ich sage ein klares Nein zu allen Steuererhöhungen", erklärt hingegen Merkel.

Sozialdemokraten, Grüne und FDP haben ihr Wahlprogramm schon von der Basis beschließen lassen, die Linke hat an diesem Wochenende ihren Parteitag. CDU und CSU sind nächstes Wochenende dran. Allerdings wird es keinen Parteitag geben. Bloß der erweiterte Parteivorstand wird die Pläne Merkels für höheres Kindergeld, mehr Mütterpensionen und eine steuerliche Besserstellung von Familien absegnen. (Birgit Baumann, DER STANDARD, 15.6.2013)