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Ein Mitglied der FSA in Aleppo. Präsident Obama will die Rebellen mit Waffen versorgen.

Foto: Reuters/Halabi

Washington/Paris/Berlin – Mehrere große EU-Staaten sowie Russland haben am Freitag skeptisch auf den Schwenk von US-Präsident Barack Obama in Sachen Syrien reagiert. Nach monatelangem Zögern erklärte das Weiße Haus, man habe stichhaltige Beweise vorliegen, dass das Regime von Präsident Bashar al-Assad im syrischen Bürgerkrieg Chemiewaffen gegen Aufständische eingesetzt habe. Oba­ma prüfe nun Waffenlieferungen an syrische Rebellen. Auch eine Flugverbotszone über Syrien wird laut Diplomaten erwogen.

Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle schloss aus, dass Berlin Waffen an syrische Rebellen liefern werde. Das franzö­sische Außenamt erklärte, eine Flugverbotszone über Syrien sei "wenig wahrscheinlich", weil dafür keine Erlaubnis durch den UN-Sicherheitsrat zu bekommen sei. Auch britische Diplomaten zögerten bei Waffenlieferungen.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow warnte davor, dass mehr militärische Hilfe für die syrische Op­position die Gewalt in der ­Region weiter eskalieren lassen würde. Moskau und Damaskus bestritten die amerikanischen Chemiewaffenvorwürfe vehement.

Conference Call

Will das Weiße Haus etwas verkünden, so rasch, dass die Zeit nicht reicht für eine Pressekonferenz, wählt es den Conference Call. Dann improvisiert es Telefonkonferenzen, bei denen Berater Barack Obamas geduldig Re­de und Antwort stehen. Manchmal lässt die Tonqualität zu wünschen übrig, so wie am Donnerstag, 17 Uhr Ortszeit, als es nach schweren Gewittern wieder irritierend rauschte in Washingtons Leitungsnetz. Egal: Was Ben ­Rhodes, der 35 Jahre alte Vizedirektor des Nationalen Sicherheitsrats, den Reportern zu sagen hatte, markierte eine wichtige Zäsur.

Die US-Geheimdienste, so ­Rhodes, seien nach gründlicher Prüfung "mit hoher Wahrscheinlichkeit" zu der Erkenntnis gelangt, dass das Regime Bashar al-Assads Chemiewaffen eingesetzt habe, darunter das Nervengas Sarin. Dies sei im Laufe der letzten zwölf Monate mehrfach geschehen, jedes Mal "in geringem Umfang". Nach vorläufiger Schätzung seien 100 bis 150 Menschen an den Folgen gestorben. Dann folgt die politische Wertung: "Wir haben immer gesagt, dass der Einsatz chemischer Waffen internationale Normen verletzt und rote Linien überschreitet." Ergo werde Obama die Hilfe für die Freie Syrische Armee (FSA) verstärken, militärische eingeschlossen.

Was das konkret bedeutet, lässt das Weiße Haus offen. Während Rhodes betont, dass er keine Inventarliste vorlegen könne, zählt das Wall Street Journal auf, was auf dem Wunschzettel des FSA-Ge­nerals Salim Idriss steht: Anti­panzerraketen, Flugabwehrwaffen, 300.000 Patronen für Kalasch­nikow-Sturmgewehre. Vor allem Kleinwaffen und Munition, berichten andere Zeitungen, sollen geliefert werden, in Regie der CIA und abgestimmt mit Partnern wie Frankreich und Großbritannien. Bisher beschränken sich die USA auf "nicht-tödliche" Hilfe. Das sind Satellitentelefone, Nachtsichtgeräte und Schutzwesten.

Obamas Schwenk bedeutet eine Kurskorrektur nach monatelanger interner Debatte. Bereits im Herbst 2012 wollte die CIA die syrischen Rebellen mit Kriegsgerät versorgen. Pentagon und State Department waren dafür, der Staatschef legte sein Veto ein. Obama fürchtete einen Rutschbahneffekt, der sein ausgepumptes Land nach den Abenteuern Irak und Afghanistan erneut in den Sumpf eines Bürgerkriegs ziehen lassen würde. Erst die jüngste Offensive Assads scheint ihn umgestimmt zu haben. Vielleicht zu spät, meint Anthony ­Cordesman, der führende Nahostexperte in Washington.

Am Freitag kündigte Obama an, die Syrien-Krise mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin beim G-8-Gipfel am Montag in Nordirland besprechen zu wollen. Mit Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Staatschef François Hollande, dem britischen Premierminister David Cameron und dem italienischen Ministerpräsidenten Enrico Letta führte er Videokonferenzen.

Indes sieht der deutsche Chemiewaffenexperte Ralf Trapp im Gespräch mit dem Standard Pro­bleme in der Beweisführung vor allem darin, dass das Zustandekommen geheimdienstlicher Erkenntnisse öffentlich nicht nachvollziehbar sei. Sichere Untersuchungen, erklärt Trapp, seien nur möglich, wenn Experten sich vor Ort "ein möglichst breites Bild der Lage" machen könnten.

Bisher fehle eine Beweiskette: "Auch wenn die Labors, die das analysieren, sehr gut sind – man weiß nicht, auf welche Weise die Proben dorthin gelangt sind. Und unter dem, was bisher in der Öffentlichkeit bekannt ist, gibt es keine klaren Beweise." Damaskus bestritt die US-Vorwürfe deshalb auch vehement.  (Manuel Escher; Frank Herrmann aus Washington, DER STANDARD, 15.6.2013)