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Meterhohe Hebebühnen, Kunstblut und Feuerwerk bei Kiss - die Fans waren zufrieden. 

Foto: APA/HERBERT P. OCZERET

Nickelsdorf - Man befinde sich auf den "Feldern, die die Welt bedeuten", verspricht das Programmheft zur neunten Auflage des Nova-Rock-Festivals. Ob diese Selbsteinschätzung richtig ist, sei vorläufig dahingestellt. Auf jeden Fall haben die Veranstalter einen in sich abgeschlossenen Kosmos mit teilweise ganz eigenen Naturgesetzen geschaffen.

"Red Stage" und "Blue Stage" markieren hier sozusagen Nord- und Südpol, sie strahlen fast ununterbrochen Musik aus, von der ein riesiges nomadisches Volk in Bewegung gehalten wird. Und die Wege zwischen den Polen sind lang. Etwa 500 Meter sollen es laut Programmheft sein, gefühlt hat man es zum Beispiel am Samstag mit einem Land zu tun, in dem die Sonne nie untergeht. Sie tut es aber dann natürlich doch.

Dass der Marsch von einem Ende zum anderen lange dauert, liegt auch daran, dass es einiges zu tun gibt in dieser Welt: Zwischen Mini- Vergnügungspark und Nackenmassage kann man sich auch gleich vor Ort piercen, tätowieren und entsprechend einkleiden lassen. Auf halbem Weg lädt der "Brandwagen" eines Energy-Drink-Herstellers mit einer kleineren Bühne zum Verweilen ein. Die Flüssigkeitsquellen der Nova-Rock-Welt sind durch Zelte im Gelb einer bekannten Wiener Brauerei erkennbar.

Die wichtigste Energie im Nova-Rock-Kosmos dürfte dennoch die Musik sein. Auf der Blue Stage sind am Samstagnachmittag unter anderem Cradle of Filth und Parkway Drive zu hören, hier werden unter großen Beifallsstürmen jene Zauber gewirkt, für die man hauptsächlich Schlagzeug, Bass und Gitarre braucht.

"Hört ihr die Signale?"

Wer die Feinheiten ausladender Heavy-Metal-Gitarrensoli weniger attraktiv findet, den zog es ans andere Ende der Welt. Dort sorgte der deutsche Reggae-Künstler Gentleman für einen Hauch von Entschleunigung. Die St. Pöltener Band Bauchklang lud ein, ein bisschen mit dem Kopf hinzuhören: Ihre Kunst, sich die Ästhetik elektronischer Tanzmusik mit vokalen Mitteln anzueignen, entbehrt nicht eines gewissen Tiefsinns. Trotzdem freute sich die Besucherschar vor allem über die besonders tanzbaren Passagen. Für eine nüchterne, kopfmäßige Betrachtung ist das Nova Rock auch weniger gedacht.

Für den Höhepunkt des Abends hätte man sich die Fähigkeit zur Bilokation gewünscht: Man wäre gerne an beiden Polen gleichzeitig gewesen, während die Glam-Rock-Veteranen Kiss und die Elektropunkrocker Deichkind ihre Kostümshows ablieferten.

Den Hamburgern Deichkind kam die Ehre zu, mit "leider geil" den wohl häufigsten T-Shirt-Spruch des Festivals gestiftet zu haben. Mit einer Bedeutungsspanne zwischen Kulturkritik und Balzruf hat es die Wendung ja bekanntlich sogar zum "Jugendwort des Jahres" geschafft. Der entsprechende Song fehlte nicht, als in einer grandiosen ADHS-Show mit einem unglaublichen Aufgebot an Kostümen und Requisiten knochentrocken dahinknarzende Beats ausstaffiert wurden: Da wird ein Solarium wie ein Sarg hereingetragen, da treffen sich ein Frosch und der Tod, da wird die Display-Werdung des Menschen mittels LCD-Hüten vorgeführt. Mancher Besucher wird wohl nur dank Youtube feststellen können, dass das keine Halluzination war. Dass die Akkuratesse der Inszenierung ironisch kontrastiert mit Zeilen wie: "Hört ihr die Signale, die Sauf-Signale?", kann man um diese Zeit schon leicht übersehen.

Das Gute: Während man Deichkind bestaunte, kam man gleichzeitig in den Genuss des weithin sichtbaren pyrotechnischen Pomps der Kiss-Show. Bis man allerdings dort ankam, war es unter dem Getöse von Hits wie I was made for loving you auch schon wieder fast vorbei - und man fand statt der Blue Stage nur mehr eine dichte Rauchwolke vor. (Roman Gerold, DER STANDARD, 17.6.2013)