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Eine ernüchternde Bilanz: Letztlich ist nicht wissenschaftlich belegt, ob Übergewicht überhaupt dauerhaft zu verhindern ist.

Foto: APA/Ralf Hirschberger

Wenn der Doktor die Maße der dreizehnjährigen Melanie abnimmt, fällt sein Befund eindeutig aus: Mit 80 Kilogramm und einer Körpergröße von 1,64 Meter ist die Schülerin übergewichtig. Während Melanie in ihrer Klasse deswegen gehänselt wird, befindet sie sich im Diätcamp mit den anderen Jugendlichen in der selben Situation. Sportlicher Drill und rationierte Mahlzeiten sollen ihre Pfunde hier purzeln lassen. Paradies: Hoffnung heißt der Film, aus dem diese Szene stammt - und der Zuschauer ahnt zu diesem Zeitpunkt, dass die Hoffnung der Jugendlichen auf weniger Kilos bereits zum Scheitern verurteilt ist.

Mädchen wie Melanie sind mit ihrem Gewichtsproblem bei weitem kein Einzelfall: Während die Anzahl an Übergewichtigen laut Ernährungsbericht in der Gesamtbevölkerung stagniert, steigt sie weiterhin in der Altersgruppe der Sieben- bis 14-jährigen. Fast ein Viertel von ihnen bringt bereits zu viel Gewicht auf die Waage, besonders betroffen sind sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen. Außerdem gibt es ein starkes West-Ost-Gefälle: In den östlichen Bundesländern leben fast doppelt so viele Fettleibige, was auch die unterschiedlichen Sterblichkeitsraten miterklärt. In Verbindung mit Insulinresistenz führt Fettleibigkeit zu Folgeerkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck oder Herzinfarkt.

"Das Risiko, an Übergewicht zu sterben, ist inzwischen weltweit größer, als an den Folgen von Hunger zu sterben", sagt Gerald Gartlehner, Präventionsmediziner an der Donau-Universität Krems. Letzte Woche lud das Europäische Forum für evidenzbasierte Prävention zum Kongress ins Kloster Und. Der ernüchternde Grundtenor der Fachtagung: Die Möglichkeiten, Übergewicht vorzubeugen, scheinen doch sehr beschränkt zu sein.

Herausforderung Schulbeginn

Beispiel Niederösterreich: Bereits 2000 ist das landesweite Gesundheitsprogramm "Durch dick und dünn" initiiert worden, das als dreiwöchiges Sommercamp übergewichtige Kinder ab sechs Jahren betreute. Das Alter wurde bewusst gewählt, denn erst mit Beginn der Schulzeit werden Gewichtsprobleme wirklich persistent. Bei übergewichtigen Babys hingegen erreichen rund 80 Prozent bis zum sechsten Lebensjahr wieder spontan ihr Normalgewicht.

Die Langzeit-Evaluierung des Projekts ergab schließlich, dass sich sowohl bei Gewicht als auch Selbstwertgefühl der Kinder im Grunde keine dauerhaften Änderungen eingestellt haben. Daraufhin stellte man die künstliche Labor-Situation des Camps infrage: Womöglich werfen die Jugendlichen ihre erlernten Ernährungsumstellungen über Bord, sobald sie wieder in ihrer gewohnten Umgebung sind. Also veränderte man das Projektdesign auf ein einjähriges Programm, bei denen die Kinder unter Einbeziehung ihrer Eltern langfristig betreut wurden. Schließlich wurde erneut evaluiert - und wieder blieben nennenswerte Veränderungen aus. Sind Therapieprojekte also wirklich nutzlos?

"Heute würde ich solche Programme nicht mehr machen, weil ich sie für rausgeworfenes Geld halte", meint Elisabeth Ardelt-Gattinger, die früher ganz ähnliche Projekte in mehreren Bundesländern leitete - allesamt ohne Erfolg. Heute, vier Jahre später, weiß sie, dass über zwei Drittel der teilnehmenden Jugendlichen seitdem sogar relativ noch zugenommen haben. "Wir müssen den Leuten erklären, dass Adipositas eine chronische Krankheit ist und wir derzeit keine abgesicherte Möglichkeit haben, diese dauerhaft zu verbessern", sagt die Psychologin.

Subventionen auf Obst

Welche Zielsetzung bleibt realistisch? Manfred J. Müller, Professor für Humanernährung an der Universität Kiel, hat prominente wissenschaftliche Studien hochgerechnet und kam zum Ergebnis: Um rund zwei Prozentpunkte könne man die Fettleibigkeitsrate innerhalb der Bevölkerung senken. Versprechungen darüber hinaus wären wissenschaftlich nicht haltbar.

Zumindest auf gesamtgesellschaftlicher Ebene gibt es einen weitgehenden wissenschaftlichen Konsens zur Adipositasprävention: Darunter fallen Verbote von Fastfood-Werbung, die sich gezielt an Kinder richtet, warnende Etikettierungen auf ungesunden Lebensmittel sowie Subventionen für gesunde Nahrungsprodukte. "Wir wissen zwar, was zu tun ist, die Frage ist nur, wie", meint der Australier Boyd Swindurn, der für die Weltgesundheitsorganisation WHO an einem Aktionsplan zur Prävention von Übergewicht mitgearbeitet hat. Auch deren Ziele klingen bescheiden: Die Zahl an Übergewichtigen soll bis 2020 nicht etwa gesenkt, sondern lediglich weitere Steigungen verhindert werden.

Die Weltgesundheitsorganisation führt dabei einen Kampf mit ungleichen Waffen: Ihr gegenüber steht eine Lebensmittelindustrie, die über eine einflussreiche Lobby und ein Vielfaches an Geld verfügt.

Swindburns Ass im Ärmel bleibt der Wutbürger: Erst wenn die Bevölkerung den Druck auf die Politik erhöht, werden die Regierungen bereit sein, der Lebensmittelindustrie Kontra zu bieten. (Fabian Kretschmer, DER STANDARD, 17.6.2013)