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Sich den kritischen Punkten in Istanbul nahe dem Taksim-Platz und dem Gezi-Park zu nähern ist in diesen Tagen nicht empfehlenswert.

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Sollte der Polizeieinsatz nicht ausreichen, um die Proteste zu stoppen, soll die Armee zum Einsatz kommen.

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Am Sonntag versammelten sich auch Erdogan-Unterstützer in Istanbul.

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Polizeieinsatz am Sonntag gegen oppositionelle Demonstranten in Ankara.

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Bis vor kurzem war er noch ein Fürsprecher des Dialogs mit der Protestbewegung, nun droht Bülent Arinç mit Gewalt. "Wir haben die Polizei. Wenn das nicht genug ist, gibt es die Gendarmerie. Wenn das nicht reicht, gibt es die Armee", sagte der türkische Vizepremier am Montag in einem Interview mit einem regierungsfreundlichen Sender.

Nach der Räumung des Gezi-Parks am Wochenende nimmt die Spannung in der Türkei nur weiter zu. Polizeieinheiten stoppten am Montag auch Demonstrationszüge der Gewerkschaften in Ankara und Istanbul. Fünf Gewerkschaftsverbände hatten zu einem eintägigen Generalstreik aufgerufen, um gegen die mit großer Härte geführten Polizeieinsätze gegen Regierungskritiker zu protestieren. Fünf Menschen kamen bisher ums Leben, ein 16-Jähriger liegt im Koma. Er war bei Auseinandersetzungen mit der Polizei in Istanbul am Sonntag von einer Gaskartusche am Kopf getroffen worden.

Tränengas aus Hubschrauber

Nach Angaben der Istanbuler Anwaltsvereinigung waren bis Montag 390 Menschen verhaftet worden. Regierungsgegner hatten erneut versucht, zum Taksim-Platz zu marschieren. Die Polizei drängte sie wieder mit Tränengas und Wasserwerfern zurück. Augenzeugen zufolge warf die Polizei in einer der Zugangsstraßen zum Platz sogar aus dem Hubschrauber Tränengas ab. Auch in anderen Städten der Türkei, vor allem in Ankara und Eskişehir, löste die Polizei mit Gewalt Demonstrationen auf. Erstmals kam es auch in Edirne, im europäischen Teil der Türkei, zu Protesten gegen die Regierung.

Wasserwerfer der Gendarmerie - einer Armeeeinheit - waren bereits in der Nacht zu Sonntag, nach der Räumung des Gezi-Parks, in dem Istanbuler Stadtteil zu sehen. Ein Einsatz der türkischen Armee aber gegen die seit drei Wochen anhaltende Protestbewegung wäre ein Schritt von großer politischer Tragweite: Dreimal putschte die Armee gegen eine gewählte Regierung und zwang eine vierte 1997 zum Rücktritt. Die Regierung des konservativ-religiösen Premiers Tayyip Erdogan sieht es als eines ihrer größten Verdienste an, dass sie die Macht der Generäle gebrochen hat. Es wäre eine Ironie der Geschichte, sollte sie nun tatsächlich die Armee zu Hilfe rufen.

Die Proteste in der Türkei markieren einen Wendepunkt für das Land, erklärte der Vorsitzende der größten Oppositionspartei, Kemal Kiliçdaroglu. "Wir haben immer wieder gesagt, dass die Türkei mehr Freiheit und Demokratie braucht", betonte der Chef der Republikanischen Volkspartei CHP vor ausländischen Journalisten in Istanbul. Erdogan mische sich in das Alltagsleben der Türken ein, sagte Kiliçdaroglu, "die Menschen können dieses Maß an Unterdrückung nicht mehr ertragen".

Die einstige kemalistische Staatspartei CHP hatte sich gescheut, sich offen an der Protestbewegung gegen Erdogan und dessen Baupläne am Taksim-Platz zu beteiligen. Er wisse, was die jungen Türken, die den Gezi-Park besetzt hatten, an seiner Partei kritisieren, sagte Kiliçdaroglu: "Sie sehen uns als ein bisschen offiziell, nicht als sehr innovative Partei." Die CHP werde sich der neuen Generation öffnen. Den türkischen Regierungschef nannte Kiliçdaroglu einen "Diktator". Anhänger der Regierungspartei griffen am Sonntag ein Büro der CHP in Istanbul nahe der Istiklal-Straße an.

Zweifel an EU-Beitritt

Aus der EU kam am Montag erneut Kritik am Vorgehen der türkischen Regierung. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel zeigte sich erschrocken. Hannes Swoboda, Chef der Sozialdemokraten im Europaparlament, folgerte: "Es kann nur heißen, dass die Türkei nicht in die EU will." (Markus Bernath, DER STANDARD, 18.6.2013)