Car Sharing, Crowdfunding, Wohnungstausch: Statt um Besitz geht es in der neuen Form des Wirtschaftens um den Gebrauch. Rachel Botsman, die ein Buch darüber geschrieben hat, hält diesen Trend für unumkehrbar.

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STANDARD: Ich konsumiere, also bin ich. Das war der Leitspruch einer ganzen Generation. Gilt das noch?

Botsman: Das ist vorbei. Die Art, wie und warum wir konsumieren, ändert sich. Das Wirtschaftsmodell nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich darauf gestützt, dass immer mehr Produkte gekauft wurden. Es haben sich Geschäftszweige herausgebildet, Marken, Werbung - alles, was dazugehört. Das alles ist in Bewegung geraten.

STANDARD: Geht die Änderung langsam oder schnell vonstatten?

Botsman: Sehr schnell, abhängig vom Sektor. Peer to Peer Lending, Geldverleih ohne Vermittlung einer Bank, ist fünf Jahre alt. In Großbritannien hat diese Art von Geschäft zwar nur einen Anteil von zwei bis drei Prozent. Sieht man sich die Wachstumsraten der letzten 18 Monate an, ist man bei über 250 Prozent. Das hat sich unglaublich beschleunigt. Ähnliches erlebt man bei einem Unternehmen wie Airbnb, spezialisiert auf die Vermittlung von Privatunterkünften. Die haben weltweit mehr Hotelzimmer unter Vertrag als Hilton, eine Marke, die immerhin hundert Jahre alt ist. Airbnb hat das in drei Jahren geschafft. Da steckt viel Innovation drin; man sieht aber auch, wie rasch sich das Konsumverhalten ändert.

STANDARD: Treiber?

Botsman: Davon gibt es mehrere: Einer ist die Wirtschaftskrise.

STANDARD: Inwiefern?

Botsman: Die Leute fragen sich, wie nachhaltig es ist, wenn eine Wirtschaft davon abhängt, immer mehr Produkte verkaufen zu müssen. Sie fragen sich auch, ob es wirklich das ist, was sie glücklich macht.

STANDARD: Glauben Sie nicht, dass die Leute in die alte Konsumentenrolle zurückfallen, sobald die Konjunktur breitflächig anspringt?

Botsman: Nein. Teilen statt besitzen ist ein langfristiger Trend. Die Menschen realisieren, dass das eine Quelle von Innovation und Wachstum ist. Die Rezession hat den gemeinschaftlichen Konsum beschleunigt. Die Leute sind offener für Alternativen und entdecken, dass es bessere Wege gibt, Dinge zu erledigen. Ganz vorne mischt Korea mit. In Seoul ist Teilen stark verbreitet; der Bürgermeister steht voll dahinter.

STANDARD: Was ist so neu an der Bewegung. Schließlich sind Wohngemeinschaften, Taxis oder Wäschereien, wo Teilen seit langem praktiziert wird, gut etabliert?

Botsman: Das Entscheidende ist die Technologie. Plötzlich können dank Internet Dinge rasch und einfach zwischen Interessierten geteilt werden. Die Alternative zum klassischen Taxiunternehmen in San Francisco beispielsweise heißt Lyft. Es basiert auf der Erkenntnis, dass 80 Prozent aller Fahrten nur in eine Richtung geht. Fahrer nehmen gegen Entgelt Personen mit, die in dieselbe Richtung müssen. Gewöhnliche Autofahrer werden durch Vernetzung über Lyft zu einer modernen Form von Taxiunternehmern.

STANDARD: Wer sind die Freaks, die das nutzen?

Botsman: Freude am Gebrauch statt Sachen zu besitzen, das lässt sich nicht auf eine einzelne Generation eingrenzen. Die Jungen sind generell offener; die müssen nicht erst überzeugt werden. Die Jungen wachsen damit auf, alles mögliche miteinander zu teilen, Musik genauso wie Fotos oder Videos. Für die Generation Facebook ist Teilen somit ein alltägliches Verhalten. Und es breitet sich zunehmend auf andere Lebensbereiche aus. Einer der größten Märkte ist der 45plus. Die besitzen vieles, was sie teilen können - Wohnung, Haus, Auto. Plötzlich erfahren sie, dass sich Geld damit verdienen lässt.

STANDARD: Dennoch werden immer mehr Shoppingtempel gebaut. Sind die dem Untergang geweiht?

Botsman: Entwickler von Shoppingcentern würden nie sagen, dass sich ihr Geschäftsmodell totläuft. Aus einzelnen Gesprächen höre ich aber heraus, dass sie wohl wissen, dass sie sich in den nächsten fünf Jahren neu erfinden müssen. Diese Art des zentralisierten Shoppens zieht nicht mehr, außer vielleicht bei Mode. Aber selbst dort gibt es Druck - durch E-Commerce. Große Markenfirmen sind dabei, die Weichen in Richtung Dienstleistungsmodell zu stellen, um so den Kontakt mit den Kunden aufrecht zu erhalten. Die Kunden gehen immer weniger in das Geschäft.

STANDARD: Die müssen also ihr Geschäftsmodell ändern?

Botsman: Die müssen unbedingt etwas machen. Die werden künftig wissen, wer ich bin und was ich brauche, wenn ich einkaufen gehe. Die werden verstärkt in mein Leben treten.

STANDARD: Die Autoindustrie hat sich angepasst, propagiert Car Sharing. Ein richtiger Zug?

Botsman: Eine Notwendigkeit. In Deutschland wurde unlängst eine Studie publiziert, in der 18- bis 25-Jährige befragt wurden, für was sie sich im Zweifel entscheiden würden: für ein Auto oder ein Smartphone. 75 Prozent wählten zweiteres. Damit erklärt sich, was die Autoindustrie derzeit umtreibt.

STANDARD: Spielt Eigentum noch eine Rolle, und wenn ja, wo?

Botsman: Eigentum wird trotz der Veränderungen wichtig bleiben. Manche Menschen können sich beispielsweise nicht vorstellen, ihr Haus anderen zur Verfügung zu stellen. Für wieder andere wäre es eine Zumutung, gebrauchte Kleidung tragen zu müssen, die wollen Sachen, die nur ihnen gehören. Etwas anderes ist es möglicherweise bei Büchern oder auch bei Musik.

STANDARD: Bei allen Interaktionen spielt Vertrauen eine große Rolle?

Botsman: Vertrauen ist das um und auf, genügt aber nicht. Man will letztlich versichert sein. Auf die Versicherungen kommen neue Betätigungsfelder zu, davon bin ich überzeugt. (Günther Strobl, DER STANDARD, 18.6.2013)