Susanne Jerusalem, stellvertretende Bezirkschefin, präsentiert Immobilienanzeigen, die ihr verdächtig erscheinen.

Foto: derStandard.at/Maria von Usslar

Die Initiative "Rettet den Naschmarkt" fordert unter anderem, dass der Markt wieder stärker als Nahversorger dient.

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Eine wahre Goldgrube sei der Gemüsestand, gurrt der Immobilienmakler ins Telefon. Und man könne noch viel mehr Geld damit machen, wenn man ihn als Imbisstand nutzt – und das, obwohl die Gastronomiequote am Naschmarkt laut Marktamt bereits erschöpft ist. "Offiziell dürfen Sie sowieso acht Stühle hinstellen. Da machen Sie einfach ein paar mehr, das wird geduldet und machen alle so", lockt der Makler.

Einen Haken hat das Geschäft allerdings, der erst im persönlichen Gespräch zur Sprache kommt: "Für das Weitergaberecht will der Inhaber 450.000 Euro Ablöse", verrät der Vermittler. Wie viel der Jahresumsatz bisher betragen habe? "Das ist nicht aussagekräftig. Wie Sie das wieder reinkriegen, ist Ihre Hausaufgabe." Um Investitionen handelt es sich bei der Ablöse jedenfalls nicht: "Um den Laden attraktiv zu machen, müssen Sie noch 200.000 Euro in die Hand nehmen", rät der Makler.

Zunehmend Diskussionsstoff

Die steigenden Ablösen für Geschäfte am Naschmarkt, die in anderen Anzeigen mit bis zu 850.000 Euro und mehr angegeben werden, sorgen seit einigen Monaten zunehmend für Diskussionsstoff in der Stadt. "Ein Markt mit Ablösen von 300.000 bis 800.000 ist kein Markt, sondern eine Geldwäsche", postete Susanne Jerusalem, stellvertretende Bezirkschefin von den Grünen im sechsten Bezirk, auf der Facebook-Seite "Rettet den Naschmarkt". Auch die rote Bezirkschefin Renate Kaufmann ist der Gruppe beigetreten.

Am 14. Juni hat Jerusalem einen offenen Brief an die zuständige Stadträtin Sandra Frauenberger (SP) geschrieben. Die Marktordnung ermögliche eine Nachfolgenennung, ohne dass die Ablösesumme der Stadt bekannt gegeben werden muss, obwohl die Stadt Eigentümer des Grundes und einem Teil der Stände ist. "Dieses System öffnet Tür und Tor für Spekulation mit öffentlichem Gut, Geldwäsche und Steuerhinterziehung", kritisiert Jerusalem.

Antwortbrief noch in Arbeit

Im Büro der Stadträtin arbeite man noch an einem Antwortbrief, heißt es auf Nachfrage. Spätestens im Herbst soll es eine Arbeitsgruppe zu dem Thema geben. "Allerdings regelt sich die Privatwirtschaft großteils selber", sagt eine Sprecherin von Frauenberger am Donnerstag.

Oftmals wird mit Superädifikaten gehandelt, sogenanntem Mischeigentum, wo der Grund der Stadt gehört, aber der Stand ins Grundbuch übergeht. Im oben genannten Beispiel ist sogar der Laden Stadteigentum.

Marktamt findet Ablösen in Ordnung

Es sei nun mal das Recht des Eigentümers den Preis festzulegen, kontert Marktamtssprecher Alexander Hengl. Ablösen seien zudem zivilrechtlich gelöst und nicht Sache seiner Behörde. "Außerdem wird für jede abbruchreife Kleingartenhütte 300.000 Euro verlangt. Da finde ich als Laie die Summe für einen 1A-Marktstand in Ordnung."

Peter Jaschke, Initiator von "Rettet den Naschmarkt", stößt sich nicht nur an den Spekulationsgeschäften, sondern vor allem an der zunehmenden Ähnlichkeit der Angebote. "Ich nenne es: die Vielfalt der Wasabi-Nüsse", worauf Jaschke auf den Rückgang von Frischwaren zugunsten von uniformen Trockenfrüchten und Ramsch anspielt. Der Markt entferne sich immer mehr davon, Nahversorger zu sein.

Kitsch statt Kirschen

"Statt frischem Obst und Gemüse aus der Region gibt es Kitsch und falsche Rolex zu kaufen", ärgert sich Jaschke. Mittlerweile würden meist Scharen von Touristen durchströmen und die Gastromeile wuchere fröhlich weiter, wie er beobachtet. Der Naschmarkt sei eine rechtliche Grauzone, wo etwa nicht jedes Lokal ein WC braucht. "Da kommt keiner kontrollieren", sagt Jaschke.

Wenn es um das Angebot geht, schließt sich der Kreis wieder zu denwuchernden Ablösen. "Welcher Bauer kann sich 300.000 Euro für einen Stand leisten?", fragt Jerusalem. "Regionalität ist ein Wert. Der Naschmarkt muss wieder spezieller werden." (Text: Julia Herrnböck/Fotos: Maria von Usslar, DER STANDARD, 27.6.2013)