Jeder Patient ist ein Akteur in einem komplexen ökonomischen Netzwerk - was "Theme Hospital" schon 1997 spielerisch am Computer veranschaulichte. Die meisten ökonomischen Simulationen berücksichtigen das aber nur in Form von statistisch ermittelten Durchschnittswerten.

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Forschungen über Krankheiten sind normalerweise die Angelegenheit von Medizinern und Naturwissenschaftern. An der Donau-Universität Krems untersucht Gottfried Haber vom Zentrum für Management im Gesundheitswesen mit seinem Team die Abläufe im Spital auch aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive.

Im Mittelpunkt dieser Forschung steht derzeit die Ausarbeitung eines sogenannten "Multiagentenmodells", mit dem sich ökonomische Entwicklungen im Gesundheitswesen vorausberechnen lassen, ohne das individuelle Patientenverhalten dabei außer Acht zu lassen. Normalerweise sind derartige mathematische Modelle in der Wirtschaftswissenschaft nämlich sehr verallgemeinernd und geben nur Aufschluss über allgemeine Zusammenhänge und grundsätzliche Tendenzen.

Intelligente Agenten

"Bei unserer Lösung können aber wiederum auch einzelne Prozesse und das individuelle Verhalten der verschiedenen Akteure innerhalb des Systems einbezogen werden", verdeutlicht Gottfried Haber die Innovation des Projekts. So ließen sich etwa Veränderungen im Spitalsmanagement berechnen und zusätzlich die Auswirkungen auf die Patienten viel genauer bestimmen: Bei dieser Computersimulation sind die Patienten nicht bloß einfach eine Variable, sondern agieren als "Agenten" innerhalb des Systems einzeln und intelligent. Man arbeitet bei diesem Modell somit nicht wie normalerweise nur mit statistischen Werten, sondern legt den Berechnungen das Verhalten einzelner intelligenter Akteure zugrunde. Dazu werden bei dieser Methode neuronale Netzwerke und genetische Algorithmen einbezogen, damit sich die Patientenwerte innerhalb der Simulation realistisch statt statistisch verhalten. Daraus ergebe sich im Vergleich mit üblichen Prognosen für die wirtschaftliche Praxis eine erheblich nützlichere Datensammlung etwa im Hinblick auf Ressourcenverwaltung, Raumkapazitäten und Durchlaufzeiten.

"Sim City" als Vorbild

Zur Veranschaulichung verweist der Wirtschafts- und Volkswirtschafter in die Welt der Computerspiele. Laut Gottfried Haber funktioniere dieses Multiagentenmodell ähnlich wie ein Wirtschaftssimulationsspiel à la Sim City: Während dort bei der Stadtplanung unzählige Akteure durcheinander wuseln und verschiedene Prozesse in Echtzeit ablaufen, haben auch bei den Berechnungen der Kremser Forscher die einzelnen Patienten ein Eigenleben. Gottfried Haber: "Wir können daher in unseren Berechnungen virtuell Warteschlangen oder Bettenvergaben simulieren und dabei nachgehen, wie sich die Behandlung und Verteilung von einzelnen Patienten mit ganz individuellen Eigenschaften auf den ökonomischen Gesamtkomplex des Spitals auswirkt." Sim City - heuer in einer ganz neuen Version erschienen - dient dem Wissenschafter aber nicht nur als Erklärungsmuster, sondern wird auch aktiv gespielt: "Allein schon aus beruflichen Gründen beschäftige ich mich damit."

Daraus ergibt sich bei dieser Methode, dass man mit diesem Modell auch auf spezifische regionale Fragestellungen wie die demografische Entwicklung oder Anfahrtszeiten und -wege in der Umgebung eines einzelnen Spitals und seine speziellen Prozesse und Eigenheiten eingehen kann. Solche Daten stehen jedoch nur geringfügig zur Verfügung, sodass man bei der derzeitigen Entwicklungsarbeit mit einzelnen Spitälern zusammenarbeitet, die Haber und seinem Team ihre Zahlen zur Verfügung stellen.

Der Faktor Mensch

Dadurch könnten neben der Entwicklung einzelner Wirtschaftsdaten hiermit auch Strukturveränderungen simuliert werden: Klassische Simulationen auf diesem Gebiet funktionieren nur, wenn die ihnen zugrunde liegenden Strukturen unverändert bleiben. Wenn sich aber die verschiedenen Parameter verändern, muss auch das gesamte Modell umgewandelt werden. Bei der Kremser Methode könnten auch solche Veränderungen mitberechnet werden, da sich durch das einkalkulierte individuelle Verhalten der Patienten nicht bloß statistische Grundwerte, sondern weitaus präzisere Prognosen ermitteln lassen.

Haber: "Wir tragen den unterschiedlichen Verhaltensweisen der einzelnen Patienten und ihrer Organismen Rechnung und verstehen diese verschiedenen Dynamiken nicht bloß als eine veränderbare Größe. Gesundheitsökonomische Untersuchungen werden häufig nur auf Zahlen reduziert, was auch einen großen Effekt auf die jeweiligen Ergebnisse hat. Bei unseren Berechnungen wird dagegen explizit der Faktor Mensch einbezogen." (Johannes Lau/DER STANDARD, 19.6.2013)