Umstritten: Efgani Dönmez.

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Wien - Die türkische Community fordere den Rücktritt von Bundesrat Efgani Dönmez, behauptet Fatih Köse, Sprecher der "New Vienna Turks". Die Initiative liberaler Muslime wiederum verteidigt den grünen Bundesrat. Deren Sprecher Amer Albayati warnt vor dem politischen Islam. Seine Befürchtungen teilten die "meisten Muslime in Österreich", sagt er. Beide Organisationen machten sich zum Sprachrohr der Türken und Muslime.

Als ziemliche "Selbstüberschätzung" bezeichnet das der Wiener Soziologe Kenan Güngör. Denn: "Die Türken und die Muslime gibt es genau so wenig wie die Österreicher." Die Türkischstämmigen in Österreich seien längst zu einer sehr heterogenen Bevölkerungsgruppe geworden, sagt Güngör: " Keiner kann für alle Österreicher sprechen, keiner für alle Türken, jeder spricht für seine Gruppe, seine Organisation."

In Österreich leben laut Statistik Austria 274.700 Türkischstämmige, 113.000 sind in Österreich geboren, 110.000 haben die österreichische Staatsbürgerschaft. Rund die Hälfte der 500.000 Muslime in Österreich stammen aus der Türkei.

Wichtiger als die ethnische Zughörigkeit sei die Milieuzugehörigkeit, sagt Güngör. Und die habe sich seit der ersten Einwanderungswelle stark verändert: "Wir haben Menschen, die in Armut leben müssen, aber auch stetig wachsende gebildete Mittelschichten."

Vielfältiger Islam

Der gesellschaftliche Wandel zeige sich auch in der Religion. Güngör beobachtet eine "Pluralisierung der islamischen Gesellschaft". Die reiche von den etablierten Atib-Vereinen (die von der Türkei unterstützt werden und die meisten Moscheen betreiben) über fundamentalistische Salafisten bis zum "Pop-Islam", wie die Soziologen ein neues Phänomen nennen: Junge Menschen zeigen islamisches Bewusstsein auf westliche Art. Als Beispiel dafür nennt Güngör junge Frauen mit Kopftuch, stark geschminkt in körperbetonter Kleidung, die abends ausgehen und patriarchale Strukturen infrage stellen.

Die Zunahme der Religiosität islamischer Gesellschaften mit gleichzeitiger Abnahme in christlichen könnte in Zukunft zu Spannungen führen, sagt Güngör, Gefahr bedeute sie aber keine. Es bedürfe aber des kritischen und konstruktiven Dialogs.

Es gebe in Österreich immer mehr Muslime, die sich einer religiös motivierten Partei im Herkunftsland zugehörig fühlten, sagt Amer Albayati, Vertreter der liberalen Muslime. Der "politische Islam" verzeichne wachsenden Zulauf, das sei problematisch: "Diese Menschen fühlen sich mit der AKP solidarisch, nicht mit der österreichischen Gesellschaft."

Die Vorarlberger Landtagsabgeordnete Vahide Aydin von den Grünen beobachtet starke Heimatverbundenheit und wenig Interesse der ersten Migrantengeneration an der österreichischen Politik. "Viele schauen nur türkisches Fernsehen, das polarisiert dann auch hier." (Jutta Berger, Maria Sterkl, DER STANDARD, 19.6.2013)