Der Überwachungsskandal der NSA, der in den letzten Tagen rund um den Globus mit Empörung verfolgt wurde, ist bei genauerer Betrachtung nur die Spitze eines Eisbergs. Dabei lässt sich leicht feststellen, dass Überwachung in so vielfältiger Art und Weise vorhanden ist, dass viele Menschen nicht nur nicht darüber Bescheid wissen, sondern das auch ohne Wenn und Aber hinnehmen.

Der Versuch, Menschen zu kontrollieren, um Machtverhältnisse aufrechtzuerhalten, ist nicht neu. George Orwell, der in seinem bekannten Buch "1984" beschrieb, wie er sich den Überwachungsstaat schlechthin vorstellt, wäre entsetzt ob der Realität, die nicht einmal mit der großen Fantasie eines Literaten vorherzusehen war.

Amtsgeheimnisse

Dank fortschreitender Technologien, die uns im Arbeitsalltag und in unserem sozialen Umfeld das Leben erleichtern sollten, ist in den vergangenen Jahren ein Trend zu erkennen, der dazu führen könnte, dass Demokratie, Presse- und Meinungsfreiheit irgendwann nur noch leere Worte in Geschichtsbüchern sein werden. Interessant ist dabei vor allem, wie sehr sich die mächtigen Frauen und Männer dieser Welt dafür einsetzen, ihre eigenen Interessen zu schützen und zu verheimlichen: Bankgeheimnis, Amtsgeheimnis, Geheimdienst und geheime Treffen.

Gefinkelte Psychologie

Transparenz und Offenheit sind in der Politik zur Seltenheit geworden, wohingegen der normale Bürger zur "Person of Interest" mutiert ist. Abgesehen vom kommerziellen Zweck, den unsere auf eigene Faust preisgegebenen Daten erfüllen und auf die hier bewusst nicht eingangen wird, wird mit teilweise äußerst gefinkelter psychologischer Vorsicht vorgegangen, wenn es darum geht, den Menschen einzureden, die Überwachung diene ihrer eigenen Sicherheit.

Kampf um Privatsphäre

Besonders die USA argumentieren spätestens seit dem 11. September 2001 all diese Maßnahmen mit der nationalen Sicherheit. Ängste werden geschürt, künstliche Feinde geschaffen und immer wieder vorgegeben, wie wichtig es sei, dass jeder zu jeder Zeit und überall auffindbar ist – um jeden Preis.

Das Gefährliche an diesen Argumenten ist jedoch, dass sie schleichend kommen und offenbar dazu geführt haben, dass Menschen ihre höchstpersönlichen, teilweise in Verfassungen niedergeschriebenen Rechte nicht mehr zu schätzen und zu schützen wissen. Sätze wie "Ich kann als kleiner Mann nichts dagegen machen" oder "Ich habe nichts zu verbergen" werden in ihrer Gefährlichkeit deutlich unterschätzt. Sie zeigen aber, was bereits passiert ist: Der Kampf um das Recht auf Privatsphäre und Schutz ist vielen fremd geworden.

Der Staat entscheidet

Besonders das Internet scheint ein begehrtes Pflaster auf dem Überwachungsradar zu sein. Ein Tool, das ursprünglich dem Wissensaustausch diente und sich in den vergangenen Jahren dazu entwickelte, auch jenen eine Stimme zu verleihen, die sie vorher nicht hatten, wird zum Kriegsschauplatz von Freiheitskämpfern und Kontrollfreaks. Sicherheit um jeden Preis lautet die Devise, doch dahinter steht auch die Angst, Wissen über Missstände zu schaffen und eventuelle Änderungen herbeizuführen. Zwar kann man dem Internet nicht alle modernen Revolutionen, wie sie beispielsweise in der arabischen Welt vor sich gingen, zuschreiben, doch aufgrund der massiven Weltöffentlichkeit und der schnellen Verbreitung von Information wird das Internet von vielen Regierungen als gefährliches Instrument angesehen. Ein Instrument, das dazu führen kann, ebendiese Regierungen zu Fall zu bringen. Firewalls, wie sie in China und dem Iran eingesetzt werden, sind längst Realität. Staaten nehmen sich das Recht heraus, zu entscheiden, was der Bürger zu wissen hat und was nicht.

Die Entmutigung des Bürgers

Viele dieser Überwachungsprogramme sind vermutlich niemals an die Öffentlichkeit gekommen. Im Anbetracht aktueller Ereignisse ist sogar davon auszugehen, dass sich unter der Oberfläche noch viel mehr befindet als man vermuten würde. Einerseits gibt es Programme, die selbstverständlich und akzeptiert sind, andererseits gibt es Intentionen, einige dieser Programme soweit auszubauen, dass jeder beliebige Mensch auf dieser Welt davon früher oder später betroffen sein wird. Wieviele Menschen ohne ihr Wissen von Geheimdiensten oder Regierungen überwacht und analysiert werden, ist nicht klar und wird womöglich niemals ans Tageslicht kommen. Intelligente Algorithmen schaffen dies mittlerweile auch ohne die Hilfe des Menschen. Wenn sich künstliche Intelligenz weiter ausbildet, wird die Vernetzung all dieser Daten, die über uns gespeichert werden, zum Kinderspiel. Ohne Horrorszenarien ausmalen zu wollen, will der WebStandard eine Zusammenstellung und Übersicht über die wichtigsten und zugleich für Demokratie und Privatsphäre gefährlichsten Überwachungsprogramme vorstellen, um aufzuzeigen, wie wichtig es ist, diese zu kennen und sich dessen bewusst zu werden, wieviel Geld und Forschung investiert wird, um den Bürger zu kontrollieren und ihn davon zu entmutigen, frei seine Meinung zu äußern und sich bedenkenlos und frei in der Welt zu bewegen.

ACTA & Co.

Neben den wichtigsten Programmen zur Kontrolle des Bürgers – denn als solche kann sie angesehen werden – gibt es auch Unternehmungen, das Internet als solches seiner Freiheit und seiner ursprünglichen Intention zu berauben. Dabei werden besonders in diesen Programmen wirtschaftliche Interessen vorangestellt, der Mensch rückt als soziales und freies Wesen zunehmend in den Hintergrund. Auch nationale Lösungen stoßen dabei auf einen Haken: Die weltweite Vernetzung führt dazu, dass auch individuelle Staatenlösungen Bürger anderer Nationen betreffen – siehe ACTA.

INDECT

Das als Forschungsprojekt geltende EU-weite Projekt INDECT ist im Gegensatz zu PRISM eher weniger bekannt. Es ist zwar nicht streng geheim, doch kommuniziert wird darüber nur sehr wenig. Das Informationssystem soll Überwachung, Suche und Erfassung für die Sicherheit von Bürgern in städtischer Umgebung unterstützen. Auch Österreich – oder zumindest einige Institutionen – sind in das Projekt involviert.

"Abnormales Verhalten"

Konkret geht es bei INDECT darum, frühzeitig terroristische Bedrohungen durch „abnormales Verhalten" von Bürgern zu entlarven. Dabei werden verschiedensten Datenbanken abgeglichen, um Informationen über Personen zu erhalten. Diese Datenbanken sollen unter anderem aus Polizei-Registern bestehen und auch auf soziale Netzwerke zugreifen.

Keine konkrete Antwort

Eine Anfrage der Grünen an das Innenministerium, die klären sollte, inwieweit Österreich in das Projekt involviert ist, wurde im Dezember 2012 von Innenministerin Johanna Mikl-Leitner beantwortet: Das Innenministerium sei an dem Projekt nicht beteiligt. "Die Beantwortung dieser Fragen fällt daher nicht in den Vollzugsbereich des Bundesministeriums für Inneres", so Mikl-Leitner. Zudem seien Meinungen und Einschätzungen nicht Gegenstand des parlamentarischen Interpellationsrechtes, meint die Innenministerin weiter.

Zusammenspiel von Datenbanken

Um die europaweiten Protestaktionen Ende 2012 wurde es relativ ruhig. Das Thema ist angesichts anderer Themen wie ACTA oder Vorratsdatenspeicherung vom Bildschirm verschwunden. Die Software, die im Rahmen des Projektes entwickelt wird, soll neben den verschiedenen vorhandenen Datenbanken auch die Möglichkeit implementiert bekommen, auf Vorratsdaten zuzugreifen und mit Gesichtserkennung zu arbeiten. Als "abnormales Verhalten" wird dabei schon das "Sitzen auf dem Boden" in einem Verkehrsmittel oder auf einem Flughafen angesehen.

Österreich und INDECT

Auf der offiziellen Website werden die FH Technikum Wien und X-Art Pro Division als österreichische Teilnehmer genannt. Auch andere europäische Institutionen beteiligen sich an dem Forschungsprojekt, allerdings wurde in Deutschland und Polen die Installation abgelehnt. Das deutsche Bundeskriminalamt schreibt beispielsweise, dass es "aufgrund umfassender Überwachungsgedanken" abzulehnen sei. Von österreichischer Seite gibt es diese Einschätzung nicht.

Ziele

Auf der Website des Projekts selbst wird das Ziel angegeben, Algorithmen zur Unterstützung von Entscheidungen zu finden, die mit Terrorismusbekämpfung und Kriminalitätsprävention in Verbindung stehen. Dazu gehören Menschenhandel, Kinderpornografie, das Einschätzen gefährlicher Situationen – wie Raub – und den Gebrauch gefährlicher Gegenstände im öffentlichen Raum.

Drei Ebenen

INDECT arbeitet auf drei Ebenen, zu der folgende zählen: Die intelligente Videoüberwachung für die Erkennung von Gefahren – anhand von Videoanalyseverfahren, die den "Überwacher" informieren, sobald seine Aufmerksamkeit gefordert ist. Dies soll existierende Videoüberwachungssysteme verbessern, die nämlich nur bei menschlichem Hinsehen funktionieren oder im Nachhinein begutachtet werden können.

Kinderpornografie und illegaler Handle

Die zweite Ebene soll auf Internet-Ebene funktionieren und Gefahren in Computer-Netzwerken erkennen. Dabei sollen Quellen ermittelt werden, von denen Kinderpornografie oder illegaler Handel ausgeht. Das Tool, das dabei zum Einsatz kommt, heißt INACT und solll vor allem Kinderpornografie auf physischen Datenträgern und Netzwerken rasch erkennen.

"Schutz" der Privatsphäre

Ebene Drei umfasst den Daten- und Privatsphäre-Schutz, was angesichts der Intention etwas euphemistisch formuliert ist. Hier sollen beispielsweise digitale Wasserzeichen zum Einsatz kommen, die Multimedia-Inhalte vor Manipulation schützen sollen. Im Rahmen dieser Ebene soll auch Gesichtserkennung oder die Erkennung von Nummerntafeln von Autos ermöglicht werden. Dazu sollen neue Kryptografie-Verfahren zum Einsatz kommen, die die Aufbewahrung und Übertragung dieser Daten schützen sollen.

Teure Forschung

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass INDECT ein EU-Projekt ist, das absolut intransparent ist. Zwar werden die Ebenen erklärt, auf denen die Entwicklung und Forschung stattfindet, Details dazu gibt es aber zu wenige, um einschätzen zu können, wieweit die Mitgliedsländer des Projekts daran interessiert sind und ob überhaupt geplant ist, das Tool irgendwann in vollem Umfang zum Einsatz zu bringen. Bei einem erfolgreichen Forschungsabschluss könnte das System aber in der alltäglichen Videoüberwachung durchaus denkbar sein. Finanziert wird das Projekt mit Steuergeldern, aus der Tasche der Europäischen Kommission, die von den 14,8 Millionen Euro immerhin 10,9 Millionen Euro zur Verfügung gestellt hat.

ECHELON

Das Spionagenetzwerk ECHELON ist ein sagenumwobenes und gerüchteanziehendes Projekt der USA, Kanada, Neuseeland, Großbritannien und Australien. Mit diesem Netz können Nachrichtendienste der betroffenen Länder Satellitenkommunikation abhören und überwachen. Das Wort ECHELON stammt laut Wikipedia vom englischen Wort der Echelonformation, die eine gestaffelte Kampfanordnung bezeichnet.

Verschwörung und Realität

Da die Auswertung dieser Daten automatisiert passiert, ist denkbar, dass hier eine massive Datensammlung vorliegt, die mit Hilfe riesiger Rechenzentren und ausgeklügelter Algorithmen Daten analysiert. Seit Jahrzehnten gab es über die Existenz von ECHELON "Verschwörungstheorien", die sich 2001 bewahrheitet haben, nachdem das Europäische Parlament eine Untersuchung eingeleitet hat.

Deutschland

Ähnlich wie bei PRISM kennt man hier aber keine Details, da sie unter Berufung auf Geheimhaltung der Nachrichtendienste vor der Öffentlichkeit verborgen werden. Da man nach der Existenzbestätigung in Europa befürchtet hat, dass eine in Deutschland stehende NSA-Radaranlage der Wirtschaftsspionage dient, wurde die Anlage im Jahr 2004 geschlossen. Zuvor gab es die Empfehlung der Schließung von einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Immer wieder wurde betont, dass es sich nur um die Überwachung transatlantischer Verbindungen handle, obwohl Bad Aibling aufgrund seiner Lage den Großteil des europäischen Raumes abdecken konnte.

Darmstadt wehrt sich

Auch eine Ersatzanlage in Darmstadt mit fünf Radomen musste 2008 wieder abmontiert werden. Betrieben wurden beide von der US Army Intelligence and Security Command (INSCOM), 150 Mann sollen dort stationiert gewesen sein. Der Bürgermeister von Darmstadt soll sich aber laut Heise massiv dagegen gewehrt haben, eine Baugenehmigung auszustellen. Ihm war nicht nur der Zweck suspekt, er beanstandete den Bau auch aufgrund seiner Nähe zu einem Kindergarten und die Lage in einem Naturschutzgebiet. Wegen geringer Erfolgsaussichten wurde der geplante Zug vor den Verwaltungsgerichtshof dann doch nicht verwirklicht.

Aufdeckungs-Tool

Man nimmt an, dass ECHELON weniger der Spionage am normalen Bürger dient, als vielmehr zum Zweck der Wirtschaftsspionage eingesetzt wurde – vor allem nach dem Kalten Krieg. Das Europäische Parlament konnte im Rahmen seiner Untersuchung auch feststellen, dass es sich nicht – wie einst vermutet – um das Abhören der Kommunikation zwischen der Sowjetunion und seinen Verbündeten handelt, sondern als Aufdeckungs-Tool für den Drogenhandel und globalen Terrorismus dient.

Unübersehbar

Heutzutage soll nicht nur Satelliten-, sondern auch Mobilfunkkommunikation in den Zuständigkeitsbereich von ECHELON fallen. Die Signale werden dann von den unübersehbaren Radarkuppeln erfasst, in Rechenzentren weitergeleitet und vom US-Geheimdienst NSA ausgewertet.

Auf einer Karte sind die wahrscheinlichen ECHELON-Standorte blau eingezeichnet, rote Standorte sind entweder nur vermeintliche Satellitenabhöranlagen oder bereits geschlossene.

PRISM

Das erst kürzlich aufgedeckte und von vielen bereits im Vorhinein befürchtete Überwachungsprogramm PRISM soll nur die Spitze eines Eisberges sein, der langsam zum Vorschein kommt. Ersten Berichten des "Guardian" und der "Washington Post" zufolge handelt es sich bei dem Überwachungsprogramm um eine großangelegte Aktion des US-Geheimdienstes NSA.

Sicherheit geht vor

Ans Licht gekommen ist der Skandal vor allem, weil der ehemalige NSA-Mitarbeiter Edward Snowden Dokumente an die oben genannten Medien geleakt hat, die bezeugen sollten, dass die NSA direkten Zugang zu den Computersystemen großer Technologiekonzerne habe. Unter Beschuss fielen dabei Facebook, Google, Apple, AOL, Skype, Yahoo, Youtube und einige weitere. Das Programm soll unter George W. Bush bereits im Jahr 2007 ins Leben gerufen worden sein und der Terrorismusbekämpfung dienen. Der jetzige US-Präsident Barack Obama nahm zu den Vorwürfen Stellung und betonte, dass es Kompromisse brauche, wenn es um Sicherheit geht.

Verizon

Die Technologiekonzerne haben reagiert und dementierten sämtliche Vorwürfe. Niemals hätte es solche Hintertüren gegeben, von PRISM will man dort nie etwas gehört haben. Anfragen zu Userdaten würden nur im rechtlichen Rahmen herausgegeben werden. Auch der Mobilfunker Verizon soll detaillierte Informationen über nationale als auch internationale Gespräche an die NSA herausgegeben haben.

Geschlossene EU?

In ersten Reaktionen zeigte sich die EU geschlossen besorgt, schnell war das Thema aber vom Tisch. Der deutsche Innenminister Hans-Peter Friedrich sprach sogar davon, von dem Programm gewusst zu haben und rechtfertigte es ebenfalls mit der Wahrung der Sicherheit. In Österreich hieß es nur, man wolle sich der Anfrage der deutschen Kollegen anschließen. Der Deutsche Bundestag beriet über das Vorgehen und kam zu dem Schluss, dass die Frage notwendig sei, inwieweit auch Informationen europäischer Bürger von der Überwachung betroffen seien. Angesichts des Besuchs des US-Präsidenten Barack Obama in Berlin, wurde es allerdings schnell still um die Entrüstung aus dem Deutschen Bundestag.

VDS mal 24

Zweifel gibt es kaum daran, dass auch die Daten österreichischer Nutzer abgegriffen werden. Diese sollen laut Edward Snowden zwölf Jahre lang gespeichert werden und im Falle des Falles herangezogen werden. Die Analyse dieser Daten passiere algorithmisch, Menschen kommen nur dann ins Spiel, wenn es besondere Verdachtsfälle geben. Insofern könnte man sagen, dass es sich um eine ausgeweitete international angelegte Vorratsdatenspeicherung mit einer 24-fachen Aufbewahrungsphase handelt.

Volle Inhalte

Edward Snowden gab am Dienstag in einem Chat des "Guardian" bekannt, dass er noch einige weitere Dokumente herausrücken werde, die auch bezeugen, wie diese Überwachung technisch funktionieren soll. Er besteht immer noch darauf, dass es einen direkten Serverzugriff bei den Internet-Konzernen gibt und dass nicht nur Metadaten, sondern auch volle Inhalte einsehbar seien – inklusive Anhänge. Fraglich ist auch, ob der US-Geheimdienstchef überhaupt die Wahrheit sagt oder sagen darf, wenn er meint, dass nur Nicht-US-Bürger davon betroffen seien. Da aber der Großteil der Weltbevölkerung Nicht-US-Bürger sind, ist Empörung durchaus angebracht.

Keine Österreicher im Gremium

Bis zur Aufarbeitung des Überwachungsprogramms und zur Öffentlichmachung aller Details könnte es noch etwas dauern. Snowden hat angeblich tausende Dokumente geliefert, die nun abgearbeitet werden müssen. In der Zwischenzeit wollen die USA und die EU eine Expertengruppe einrichten, die untersuchen soll, welche Sicherheitsklauseln hier zum Tragen kommen. Es soll geklärt werden, inwieweit der Datenschutz europäischer Bürger verletzt werde. Da man in Europa aber an neuen Datenschutzregeln arbeitet, könnten sich in Zusammenarbeit mit dem Programm fragwürdige Entscheidungen ergeben. Österreich wird in dem Expertengremium nicht vertreten sein, zuständig dafür fühlt sich dafür keine Behörde.

Snowden wirft Konzernen Feigheit vor

Ehemalige NSA-Mitarbeiter sprechen mittlerweile davon, dass das gesamte Überwachungsprogramm hochgradig illegal sei, weil es Bürger zum Großteil unter Generalverdacht stelle und ohne richterliche Beschlüsse an Datensätze komme. Beweise für das direkte Anzapfen von Firmenrechnern der Tech-Giganten gibt es einstweilen nicht. Diese könnten, wenn es nach Snowden geht, aber schon bald kommen. Er wirft den Tech-Unternehmen zudem Feigheit vor, nicht transparent genug geantwortet zu haben.

VORRATSDATENSPEICHERUNG

Seit 1. April 2012 ist die Vorratsdatenspeicherung in Österreich in Kraft getreten. Damit bekommen österreichische Behörden die Möglichkeit, ein halbes Jahr lang auf die Kommunikationsdaten der Bevölkerung zuzugreifen. Dabei werden Handy- und Telefonnummern, IP-Adressen und Standortdaten gespeichert, die im Falle von Ermittlungen eingesehen werden könnten. Das österreichische Justizministerium als auch das Innenministerium verteidigen bis heute das Vorhaben und bezeichnen es als "essenziell" für die Verfolgung von Straftätern.

Strafzahlungen für Ungehorsame

Der Zugriff soll dabei nur mit richterlicher Bewilligung erfolgen und soll zudem genauestens protokolliert werden. Die Exekutive betonte auch immer wieder in der Vergangenheit, dass auf diese Systeme nur zugegriffen werde, wenn es eine akute Gefahr für Leben, Gesundheit und die Freiheit gebe. Im Rahmen der EU-Richtlinie, die 2006 beschlossen wurde, müssen alle EU-Mitgliedsstaaten diese Speicherung implementieren, wobei sich einige Länder davon wieder verabschiedet haben und andere Länder – wie Schweden – EU-Strafzahlungen in Kauf nehmen, um die Speicherung nicht umsetzen zu müssen.

Widerstand

Noch vor dem Inkrafttreten formierte sich in Österreich Widerstand: Der Arbeitskreis Vorrat hat eine Initiative gegen die Vorratsdatenspeicherung gestartet, mit der eine Klage für den Verfassungsgerichtshof eingeleitet wurde. Diese Verhandlung soll nun am 9. Juli 2013 stattfinden und die Vorratsdatenspeicherung auf Verfassungskonformität überprüfen. Danach wolle der Gerichtshof der Europäischen Union weiter entscheiden. Insgesamt gibt es über 11.000 Kläger, dazu kommen laut FM4 einige Einzelklagen.

Aufklärungsquote fragwürdig

In Österreich gab es in den Monaten April bis November 2012, in denen die Vorratsdatenspeicherung im Einsatz war, insgesamt 188 Abfragen. Auch Experten von Universitäten und verschiedensten Organisationen sehen die Sinnhaftigkeit dieser Speicherung nicht ganz. In einigen Studien wurde nämlich bereits darauf hingewiesen, dass die Aufklärungsquoten seit der Umsetzung der Richtlinie nicht besser geworden seien.

Nutzen

Ebenso wurde die Ausweitung des Zugriffs auf diese Daten auf Urheberrechtsverletzungen diskutiert, ergab aber, dass das Justizministerium nicht plane, die von der Contentindustrie geforderte Ausweitung darauf umzusetzen. Fragwürdig ist auch, ob die Kosten und der Aufwand, den die Provider selbst und somit die Kunden bezahlen müssen, in Relation stehen zu dem, was die VDS eigentlich soll: Der Terrorismus- und Verbrechensbekämpfung dienen. Diese wurde nämlich bereits mehrmals angezweifelt. Mustererkennung sei nicht effizient, weil die Datenmengen teilweise zu groß seien, so Experten. Das System sei zudem einfach auszutricksen.

Generalermächtigung

Einen weiteren Rückzieher machte das Verteidigungsministerium, als es darum ging, dem österreichischen Bundesheer Zugang zu diesen Daten zu gewähren. Ein entsprechender Entwurf des Militärbefugnisgesetzes wurde zurückgezogen. Dieser Entwurf wollte im Bedarfsfall den Zugriff auf Vorratsdaten ermöglichen, wenn diese ein Auskunftsbegehren der Militärgeheimdienste erfordert hätten. Der ehemalige Verteidigungsminister Norbert Darabos sah sich mit Kritik konfrontiert, die dem Minister vorwarf, eine "Generalermächtigung zum Bespitzeln" einzuräumen. Medienanfragen diesbezüglich wurden nicht beantwortet.

Schengen Informationssystem SIS

Die Schengen-Länder haben auch ein eigenes Informationssystem, das dem Datenaustausch von Daten zur Personen- und Sachfahndung dient. Die Datenbanken, die dafür herangezogen werden, sind nicht öffentlich und sollen die Auffindung von vermissten oder gesuchten Personen ermöglichen. Auch Banknoten, Dokumente, Waffen und Autos sollen damit aufgefunden werden können. Wie ein Dokument des Europäischen Konzils zeigt, beinhalten diese Datenbanken mehr als 46 Millionen Datensätze (Jänner 2013).

Ausweitung um biometrische Daten

Zugriff zu den Daten bekommen neben Europol und Eurojust auch die nationalen Sicherheitsorgane. Der Abruf der Daten erfolgt über ein europaweites System, dessen Zentrale in Straßburg steht. Das System wurde im April 2013 auf biometrische Daten ausgeweitet. Gespeichert werden von dem System Personen, denen die Einreise in Schengen-Staaten untersagt wird und auch Minderjährige, die vermisst werden. Auch international gesuchte Angeklagte oder Zeugen sind in dem System erfasst. Interessant ist, dass auch jene Personen dort gelistet sind, die überwacht und kontrolliert werden sollen, "weil es mutmaßliche Gründe gibt, dass diese Personen zukünftige Straftaten begehen könnten" (Artikel 99). Wie dies allerdings konkret aussieht, ist nicht klar.

Rasche internationale Zusammenarbeit

Neben den üblichen, im Reisepass befindlichen Daten, steht auch physische Besonderheiten bei den Personenbeschreibungen, die sich womöglich auch biometrischer Daten bedienen. Im Gegensatz zur Vorratsdatenspeicherung oder PRISM, werden hier nur bestimmte Personen und Gegenstände erfasst und kein Generalverdacht auf BürgerInnen ausgeübt. Das System soll sich mittlerweile gut bewährt haben, um vor allem auf der Flucht befindliche Kriminelle zu fassen, da die internationale Zusammenarbeit rasch funktioniert.

Unsichere Daten

Dennoch gibt es an SIS massive Kritik. Vor allem die Sicherheit der Systeme wird regelmäßig in Frage gestellt, da es bereits zum Diebstahl von Daten kam, die offenbar an kriminelle Banden verkauft worden ist.

SITUATION IN ÖSTERREICH

Der WebStandard hat bei den einzelnen Ministerin angefragt, um Antworten auf Fragen zu INDECT, PRISM und Vorratsdatenspeicherung einzuholen. Die Ministerin wollten dabei nicht sehr viel preisgeben, auch bei mehrmaligem Nachhaken konnten zu einigen Fragen keine Antworten gegeben werden. PRISM scheint generell kompliziert zu sein, da hier mehrere Länder involviert sind, die gleichzeitig versuchen, aufzuklären und sich nicht gegenseitig dabei behindern wollen. Besonders schwierig gestaltet sich diese Aufgabenstellung bei Fragen zur Vorratsdatenspeicherung, bei der gleich drei Ministerien involviert sind, die jeweils einander die Fragen zuschubsen. Einerseits das Justizministerium, das für die Gesetzgebung zur Anordnung der Herausgabe verantwortlich ist, andererseits das Innenministerium, wenn es um den Zugriff auf eben diese Daten durch Behörden geht. Das Infrastrukturministerium beschäftigt sich zusätzlich mit der Speicherung dieser Daten und wie die Gesetze dazu umgesetzt werden.

Zerstreuung der Zuständigkeiten

Das Verteidigungsministerium, in dessen Zuständigkeitsbereich auch das Heeresnachrichtenamt fällt, konnte in früheren Anfragen nicht ausschließen, mit der NSA zusammenzuarbeiten – auch in Sachen PRISM. Das Bundeskanzleramt hingegen sei zuständig für den Datenschutz. Aufgrund dieser Zerstreuung der Zuständigkeiten diverser Angelegenheiten, ist es schwierig, klare Antworten zu erhalten. Wir haben allerdings ein paar Fragen gestellt und gehofft, Antworten zu bekommen. Nicht alle wurden zur Zufriedenheit beantwortet.

Anfrage geschickt

Karl-Heinz Grundböck, Sprecher des Innenministeriums, betont erneut, dass Ministerin Johanna Mikl-Leitner in Sachen PRISM bereits gehandelt habe, indem eine Anfrage zur Aufklärung an die USA geschickt wurde. Diese wurde gemeinsam mit dem zuständigen deutschen Ressort verfasst und gemeinsam abgeschickt. Öffentlich ist diese Anfrage nicht, da man das nicht allein entscheiden könne, wenn es in Absprache mit anderen Ländern verfasst wird. Dass die deutschen Behörden hier den Amerikanern womöglich aus diplomatischen Gründen nicht auf den Schlips treten wollten, ist also durchaus denkbar. Österreich hätte theoretisch aber auch ohne Deutschland eine Anfrage schicken können. Der WebStandard hat auch das deutsche Innenministerium kontaktiert, bei einer Beantwortung wird der Artikel aktualisiert.

Österreich und die NSA

In Österreich selbst sei so ein Überwachungsprogramm rechtlich und technisch nicht möglich – zumindest, wenn es um österreichische Behörden geht. Deren Befugnisse reichen nämlich nicht so weit. Die Kommunikationsstelle für die NSA sei das Heeresnachrichtenamt zuständig, da es von Innenministeriums-Seite keinerlei Kontakt mit dem Geheimdienst der USA gab. Für die Gewährleistung des Datenschutzes österreichischer Bürgerinnen und Bürger sei das Bundeskanzleramt zuständig, so Grundböck auf die Frage, wie man sicherstellen wolle, dass Daten von ÖsterreicherInnen nicht an ausländische Behörden gehen.

Verweise über Verweise

Beim Verteidigungsministerium hingegen sagt Michael Bauer, Sprecher des Verteidigungsministeriums, dass man sich über Geheimdienste nicht äußern dürfe und könne. Weder Dementi noch Bestätigung können dort abgegeben werden. Man verweist weiter aufs Innenministerium.

Die Vorratsdaten

Zur Vorratsdatenspeicherung meint Grundböck, dass diese in die Zuständigkeit des Justizminisiteriums falle, die Polizei nur auf richterliche Anfrage zu diesen Daten komme, die über eine verschlüsselte Durchlaufstelle von den Providern übermittelt werden. Wie das technisch konkret funktioniert, ist nicht klar. Diese Anfragen sollen aber stark eingeschränkt sein und werden genauestens protokolliert. Die Bewilligung zur Herausgabe dieser Daten erfolgt anhand der Strafprozessordnung. Das heißt konkret: Die Staatsanwaltschaft kann eine Bewilligung herausgeben, mit der die Polizei zu den Providern geht. Diese müssen die Daten verschlüsselt übermitteln und dann auch nur jene, die konkret angefragt sind. Nach sechs Monaten werdne diese Daten dann gelöscht

Das Justizministerium äußert sich zu Sachen Vorratsdatenspeicherung wie folgt: Bis Februar 2013 gab es seit der Einführung der Vorratsdatenspeicherung 216 Abfragen. Wieviele davon auch tatsächlich zur erfolgreichen Täterausforschung beigetragen haben, ließ man unbeantwortet, betont aber wieder erneut, dass die Vorratsdatenspeicherung essentiell für die Verfolgung "schwerer und schwerster Kriminalität" beitrage. (Iwona Wisniewska, derStandard.at, 19.6.2013)