Burda-Verlagsvorstand Philipp Welte.

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STANDARD: Herr Welte, Sie erklären Österreichs Verlegern am Donnerstag, wie Ihr Geschäft in schwierigen Zeiten wachsen kann. Welchen Rat, gar Trost bringen Sie nach Wien zur Generalversammlung des Zeitungsverbandes mit?

Welte: Wir stellen bei Burda den Konsumenten in den Mittelpunkt unseres Arbeitens. Noch vor zehn Jahren wurden Printmedien sehr häufig mit einer stärkeren Fokussierung auf den Werbemarkt produziert. Wir verfolgen heute in allen Geschäftsfeldern sehr konsequent den Leitgedanken: Wir machen Produkte für Menschen. Und das ist die Basis unseres Erfolges auch im Zeitschriftengeschäft. Fast 340 Millionen Mal im Jahr entscheidet sich in Deutschland ein Mensch für eines unserer Zeitschriftenprodukte.

STANDARD: Ein deutsches Portal hat gerade ausgerechnet, dass die Kioskauflage von "Focus" aus Ihrem Haus binnen fünf Jahren um 48 Prozent zurückgegangen ist, jene des "Stern" um 40 und jene des "Spiegel" um 36 Prozent.

Welte: Die Zukunft der Verlagswelt an der Auflage dreier Zeitschriften festzumachen wäre doch etwas kurz gesprungen. In Deutschland sind rund 1.900 Magazine im Markt - so viele wie nie zuvor. Natürlich verändert sich die Auflage, also der Absatz von Zeitschriften, entlang dem sich verändernden Mediennutzungsverhalten, aber in unserem Unternehmen zum Beispiel sind die Vertriebsumsätze unserer über 80 Zeitschriften in Deutschland im vergangenen Jahr gerade einmal um 0,4 Prozent zurückgegangen.

STANDARD: Bei Nachrichtenmagazinen weist der Trend aber offenkundig merklich nach unten.

Welte: Durch die Digitalisierung ist jede Art von Information jederzeit überall verfügbar. Es gibt zwei Motivationen, Medien zu nutzen: Unterhaltung und Information. Je näher ein Medium nun am Nutzungsmotiv Information ist, umso deutlicher relativiert das Internet seine Alleinstellung. Information ist Massenware: Wenn irgendwo auf der Welt etwas passiert, weiß ich es in Minuten. Das stellt Nachrichtenmagazine genauso wie Tageszeitungen vor große Herausforderungen.

STANDARD: Weltweit versuchen solche Medien, mit Bezahlschranken, Paywalls vor ihren Inhalten im Internet zu reagieren. Wie sieht Ihr Haus, wie sehen Sie Paid Content?

Welte: Wir sind da eher skeptisch beobachtend, weil es uns fast unmöglich erscheint, hier die Zahnpasta wieder in die Tube zu kriegen. Es gibt Ozeane von Information in der digitalen Welt. Denken Sie alleine daran, welche Menge an Nachrichten öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten ohne Zugangskosten ins Netz stellen. Es gibt 16 Millionen deutschsprachige Websites - was passiert wirklich, wenn eine davon eine Paywall aufbaut? Ein Wesensmerkmal des Internets ist nun einmal die Freiheit der Information. Es wird sehr schwer, das durch den Aufbau von Paywalls zu verändern. Aber natürlich ist das ein für uns alle wichtiges Experiment, und wir würden uns für die Kollegen freuen, wenn es gelingt.

STANDARD: Sie haben die unterschiedlichen Medienfunktionen Information und Unterhaltung betont. Hat es unterhaltender Journalismus leichter?

Welte: Magazinjournalismus hat einen wesentlich stärker unterhaltenden Charakter, er ist emotional. Wir erzählen Geschichten anders, unterhalten die Menschen anders, als es etwa eine Tageszeitung tut. Magazine erfüllen eine andere Funktion in der Mediennutzung der Menschen, sie sind Teil ihres Lifestyles, denken Sie nur an Zeitschriften wie "Instyle" oder "Harper's Bazaar".

STANDARD: Wenn wir schon bei der Mode und beim Lifestyle sind: Ihr Unternehmen wächst besonders digital, und es wächst dort ganz besonders mit Handel und transaktionsbasierten Erlösen. Bewegt man sich nicht auf heiklem Terrain, wenn Journalisten ein bestimmtes Produkt beschreiben, das es andererseits über einen Klick dort auch gleich zu kaufen gibt?

Welte: Was ist daran heikler als das Veröffentlichen einer Anzeige? Wir sind ja nicht die Hersteller dieser Produkte.

STANDARD: Aber ein Hersteller könnte den Vertrieb über Ihre Plattform ablehnen - und dann womöglich inhaltlich nicht vorkommen.

Welte: Das ist ein absolut konstruiertes Beispiel. Das Wesen des Journalismus und damit der Medien ist es doch, den Leser mit größtmöglicher Unabhängigkeit zu informieren. Ich wüsste nicht, woher die Abhängigkeit kommen sollte, nur weil auf einem Portal jetzt nicht mehr nur für ein Produkt geworben wird, sondern man es auch kaufen kann. Journalismus lebt ja in jeder Mediengattung stark von der Werbefinanzierung - Radio, Fernsehen sogar ausschließlich. Wenn man Journalismus betreibt, und das Haus Burda hat Journalismus zutiefst in seiner DNA, dann weiß man, dass Journalismus unabhängig sein muss. Daran ändert sich doch nichts, nur weil der Konzern in neue Erlösfelder expandiert, die digitale Handelsgeschäfte betreiben.

STANDARD: Kann man mit Journalismus noch ausreichend Geld verdienen, um ihn auf längere Sicht zu finanzieren?

Welte: Meine Zukunftsperspektive für die Branche ist äußerst positiv. Die digitale Technologie bietet der Medienindustrie völlig neue Chancen. Und die Perspektive für Journalisten ist nicht minder positiv, sie erreichen und begeistern Menschen jetzt wie früher, nur auf neuen Kanälen. Journalisten unterhalten und informieren Menschen, Journalisten erzählen Menschen über andere Menschen. Dieses Handwerk hat es immer schon gegeben, auch als die, die es betrieben haben, noch Bänkelsänger hießen. Es gibt nichts, was Menschen mehr interessiert als andere Menschen, daran ändert sich doch nichts durch einen technologischen Sprung in der Kommunikation.

STANDARD: Und das auch weiterhin auf Papier, meinen Sie?

Welte: Auch in einem digitalisierten Medienmarkt mit so vielen konkurrierenden Technologien wie im 21. Jahrhundert kaufen Menschen gedruckte Medien. Die Deutschen kaufen 2,5 Milliarden Zeitschriften pro Jahr. Sie geben dafür pro Monat 280 Millionen Euro aus. Dabei ist der deutsche Zeitschriftenmarkt der härteste und am meisten umkämpfte der Welt. Dass dort immer neue Magazine entstehen und sich heute noch Innovationen am Markt durchsetzen können, ist ein klarer Indikator dafür, dass Menschen auch in Zukunft Zeitschriften kaufen und lieben werden. Digitale Angebote werden sie nicht ersetzen, sondern ergänzen und erweitern. Sie sind eine Chance, keine Bedrohung.

STANDARD: Viele Verleger sehen Google, andere Such- und Social-Media-Portale als Feinde, die ihre Inhalte stehlen und damit selbst Werbung verkaufen.

Welte: Wir müssen unsere Leistungen schützen und wollen selbst entscheiden, wer unsere Inhalte gewerblich nutzt. Das Geschäftsmodell Google basiert darauf, von anderen erstellte Inhalte an die Werbewirtschaft zu vermarkten. Das ist ein spannendes Geschäftsmodell, das Prinzip dahinter ist aber befremdlich. Um für faire Bedingungen zu sorgen, gibt es in anderen Teilen der Medienindustrie schon längst Gesetze - aber erst jetzt bekommen auch die Verlage in Deutschland ein Recht, ihre Leistung zu schützen. Auf dieser Basis können wir nun mit Google und anderen über einen fairen Anteil an jenen Erlösen verhandeln, die sie mit der Vermarktung unserer Inhalte machen.

STANDARD: Und das neue deutsche Leistungsschutzrecht ist ein taugliches Mittel? In Österreich wird es als Vorbild gehandelt.

Welte: Der Schutz der unternehmerischen Leistung ist die Basis, um ein Geschäftsmodell entwickeln und aufrechterhalten zu können. Diese juristische Basis hatte die Verlagsbranche bisher im Gegensatz zu anderen Mediengattungen nicht. Mit dem Leistungsschutzrecht wird also eine Rechtslücke geschlossen. Im Moment arbeiten wir daran, dieses neue Recht in die unternehmerische Praxis umzusetzen.

STANDARD: Burda ist in Österreich nicht eigens verlegerisch aktiv - kein interessanter Markt? Gruner + Jahr soll mit der Verlagsgruppe News nicht so zufrieden sein, wäre Ihr Haus womöglich interessiert?

Welte: Der österreichische Markt ist für uns sehr interessant. Wir verkaufen in Österreich zehn Millionen Zeitschriften pro Jahr und sind damit einer der großen Anbieter. Die Konsumenten schätzen unsere Zeitschriften also auch in Österreich sehr. (Harald Fidler, DER STANDARD, 20.6.2013, Langfassung)