"Es gibt guten und schlechten Journalismus, in allen Medien. So einfach ist das": Auszüge aus Heribert Prantls Rede beim Zeitungsverband am Donnerstag.

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Die Zukunft des Qualitätsjournalismus ist eine Frage, die nicht nur Kongresse und Medientage beschäftigt, sondern auch Moritz Müller. Moritz Müller ist kein Medienwissenschaftler, er ist kein Verleger und kein Chefredakteur, sondern ein ganz normaler Leser. Ich kannte ihn bis gestern auch nicht. Aber gestern bekam ich von Moritz Müller eine Mail. Diese Mail bezog sich auf die Berichterstattung und Kommentierung der "Süddeutschen Zeitung" im Fall Mollath.

Fall Gustl Mollath

Gustl Mollath wurde vor sieben Jahren in der Psychiatrie eingewiesen, weil die bayerische Justiz ihn für unzurechnungsfähig, gemeingefährlich und besessen hielt - besessen von einem paranoiden Wahnsystem. Mollath war, weil er seine Frau geschlagen und gewürgt haben soll, im Jahr 2006 nach einem unglaublich schlampigen Strafverfahren verurteilt und in die Psychiatrie gesteckt worden, wo er seitdem lebt. Bei der Einweisung in das psychiatrische Krankenhaus spielte das angebliche paranoide Wahnsystem des Mannes eine entscheidende Rolle. Die wahnhaften Ideen haben sich mittlerweile als reale Fakten herausgestellt: Die Ex-Ehefrau, eine Bankangestellte, war tatsächlich in umfangreiche Schwarzgeldgeschäfte verwickelt.

Aber der Mann sitzt immer noch als Spinner in der Psychiatrie - und die Justiz hat sich bisher geweigert, ihn zu entlassen. Obwohl sowohl die Verteidigung des Mannes als auch die Staatsanwaltschaft in seltener Eintracht den Antrag gestellt haben, das gesamte Verfahren zugunsten des Gustl Mollath wieder aufzunehmen, ist bisher nichts passiert. Der Mann gilt juristisch und medizinisch immer noch als verurteilter Spinner, auch wenn er mittlerweile zweieinhalb Stunden vor dem Untersuchungsausschuss des bayerischen Landtags sehr klar und eindringlich und gar nicht spinnert Auskunft über seinen Fall gegeben hat.

Exempel für Ignoranz und Arroganz

Schon lange hat kein Gerichtsfall in Bayern und auch in Deutschland die Menschen so empört wie der Fall dieses Gustl Mollath. In meinen gut 25 Jahren als Journalist hat die Redaktion zu keinem anderen Gerichtsfall so viele aufgebrachte Zuschriften erhalten. Dieser Fall gilt den Kritikern als Exempel für Ignoranz und Arroganz der Justiz, als Beispiel für richterliche Willkür und schludrige Gleichgültigkeit von Gutachtern.

Auf diesen Fall und seine journalistische Begleitung und Bearbeitung also bezog sich der Leser Moritz Müller in einer ausführlichen Mail, die wie folgt begann:

"Sehr geehrte Damen und Herren, in Zeiten, in denen die herkömmlichen Medien mit der Konkurrenz durch Twitter, Google News und Co zu kämpfen haben, beschreiten Sie mit Ihrer Berichterstattung zum Fall Mollath den einzig richtigen Weg. Nicht Klickstrecken von lustigen Fußballer-Frisuren legitimieren eine Bezahlung von anspruchsvollem Journalismus, sondern Recherche, die auch abseits von Klickzahlen und schnellen Schlagzeilen noch weitermacht."

Und dann knüpft der Leser Moritz Müller seine etwas weitschweifenden eigenen Überlegungen an den Fall Gustl Mollath: "Der für viele Bürger unerklärliche Justizskandal und der Umgang der bayerischen Machthaber damit zeigen ein Phänomen", so meint der Leser Moritz Müller, "das man vielmals bei den Mächtigen unserer Zeit erkennen kann: Sie werden machtbesoffen und verlieren jeglichen Blick für die Realität."

Der Leser Moritz Müller jedenfalls hat einen Blick für die publizistischen Realitäten, weil er sich seine Gedanken darüber macht, wie Qualitätsjournalismus aussehen kann und wofür man ihn braucht.

Systemrelevanz

Meine sehr verehrten Damen und Herren, als in jüngster Zeit in diversen europäischen Ländern die Banken gerettet wurden, als die Staaten der EU kollabierenden Geldinstituten Milliardensäcke vor die Tür stellten - da lautete die Begründung für dieses Tun: Diese Banken sind systemrelevant. Das sollte heißen: Wenn sie zusammenbrechen, dann reißen sie noch viel mehr mit, dann sind die letzten Dinge schlimmer als die ersten. Deshalb haben die Staaten und die EU ungeheuerlich viel Geld bezahlt und haben für unvorstellbare Summen gebürgt. Banken sind systemrelevant.

Sind auch Zeitungen systemrelevant? Zeitungen sind systemrelevant, und ich kann es beweisen. Sie sind noch systemrelevanter als die Bank Austria und die Deutsche Bank, sie sind systemrelevanter als Opel oder BMW. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" ist systemrelevant, die "Süddeutsche", DER STANDARD und die "Presse", die "Salzburger Nachrichten" sind systemrelevant und der "Schwarzwälder Bote", die "Kleine Zeitung" und die "taz" aus Berlin und die "Mittelbayerische Zeitung" aus Regensburg.

Keine Frage der Größe

Kleine und mittlere Zeitungen sind so systemrelevant wie große. Denn das Gemeinwesen entwickelt sich von unten nach oben, es wächst vom Lokalen ins Regionale, ins Nationale und Internationale. Zeitungen sind systemrelevant: Die Lokal- und die Regionalzeitung ist genauso systemrelevant wie die nationale Zeitung. Sicherlich: Die jeweiligen Bezugssysteme, in denen die kleineren und in denen die größeren und großen Zeitungen wichtig sind, sind verschieden. Die Lokal- und Regionalzeitung ist für die Kommune und die Region wichtig, das National Paper ist wichtig für das ganze Land - aber es geht jeweils um umfassende Information, um Diskussion und um Diskussionskultur.

Zumal die Lokal- und Regionalzeitung ist ein Medium, das die Menschen mit ihrer Heimat verbindet. Eine Lokalredaktion ist nicht nur ein Ort, in dem Redakteure arbeiten, eine Lokalredaktion ist nicht nur ein Geschäftshaus, in dem eine Zeitung gemacht wird - eine Lokalredaktion ist das Herz der Stadt. Die Wörter "Information" und "Tradition" haben nicht nur einen gewissen Gleichklang, sie gehören an diesem Ort, sie gehören in der Redaktion einer Lokalzeitung auch wirklich zusammen. Natürlich: Eine Regionalzeitung, auch wenn sie noch so intelligent ist, kann nicht mit einer ganz so großen Auflage auftrumpfen wie die großen überregionalen Blätter. Man kann unsere Lokal- und Regionalzeitungen nicht am Flughafen oder den Kiosken in Rom und in Paris oder in Istanbul kaufen. Solche Ubiquität ist auch nicht Sinn einer Regionalzeitung. Ihr Sinn ist etwas anderes: Sie ist das Gesicht ihrer Heimat.

Lokalzeitungen, Regionalzeitungen, überregionale Zeitungen: Das System, für das sie alle relevant sind, heißt nicht Marktwirtschaft, nicht Finanzsystem und nicht Kapitalismus, sondern Demokratie. Demokratie ist eine Gemeinschaft, die die Zukunft miteinander gestaltet. Und die Presse in allen ihren Erscheinungsformen, gedruckt, gesendet, digitalisiert, ist eine der wichtigsten Kräfte dieser Zukunftsgestaltung.

Keine Frage der Kanäle

Wenn ich Zeitung sage, dann meine ich sowohl die Zeitung auf Papier als auch die auf dem iPad oder dem Smartphone, ich meine die analoge und die digitale Zeitung. Systemrelevant ist der Qualitätsjournalismus, ganz gleich in welchem Aggregatzustand. Es ist mir ziemlich gleich, wie dieser Journalismus verbreitet wird, ob er gedruckt oder gesendet wird. Hauptsache, es gibt ihn. Er ist, in welcher Form er immer dargeboten wird, systemrelevant.

Der Beweis für die Systemrelevanz der Presse ist gut 180 Jahre alt, er beginnt 1832 und er dauert bis heute. Er ergibt sich aus der Gesamtgeschichte der Demokratie in Europa. Die Geschichte der Demokratie in den deutschsprachigen Ländern und Regionen beginnt 1832 auf dem Hambacher Schloss, bei der ersten Großdemonstration im deutschen Sprachraum. Hauptorganisator dieser ersten deutschen Großdemo von 1832 war unser journalistischer Urahn Philipp Jakob Siebenpfeiffer, geboren im Revolutionsjahr 1789. Als die Regierung seine Druckerpresse versiegelte, verklagte er sie mit dem Argument: Das Versiegeln von Druckerpressen sei genauso verfassungswidrig wie das Versiegeln von Backöfen. Das ist ein wunderbarer Satz, weil darin die Erkenntnis steckt, dass Pressefreiheit das tägliche Brot ist für die Demokratie.

Hambach war damals, in den ersten Tagen der Demokratie, der Boden, in den die Freiheitsbäume gepflanzt wurden. Heute sind diese Freiheitsbäume verwurzelt, sie sind groß gewachsen, sie werden gepflegt von den Verfassungsgerichten, in Deutschland vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Dort wurde die Systemrelevanz der Presse in großen Urteilen bestätigt. In Deutschland im "Spiegel"-Urteil von 1965 oder im "Cicero"-Urteil von 2007: "Eine freie, nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkte, keiner Zensur unterworfene Presse" ist ein "Wesenselement des freien Staates". Und: Die Presse ist ein "ständiges Verbindungs- und Kontrollorgan zwischen dem Volk und seinen gewählten Vertretern in Parlament und Regierung". Das ist nicht ganz so plastisch formuliert wie im Hambacher Schloss, bedeutet aber nichts anderes: Pressefreiheit garantiert das tägliche Brot der Demokratie, Zeitungen backen das tägliche Brot der Demokratie.

Für so einen Satz wurde Jakob Philipp Siebenpfeiffer, unser journalistischer Urahn, wie vorher ausführlich dargestellt, nach dem Hambacher Fest ins Gefängnis geworfen - und musste dort, wie es den Gefangenen damals zur Auflage gemacht wurde, wöchentlich drei wollene Socken stricken. Hätte er geahnt, dass sein Satz eines Tages von den höchsten Gerichten so gerühmt werden würde - er hätte vor Freude sechs Paar Socken gestrickt.

Bäckereien der Demokratie

Zeitungshäuser, Verlagshäuser sind die Bäckereien der Demokratie. Solche Bäckereien der Demokratie sind keine normalen Gewerbebetriebe. Zeitungen werden zwar noch immer gedruckt, auch wenn es immer mehr Zeitungen auch digital gibt; aber eine Zeitung  ist - zum Bedauern eines herzhaften Verlegers vielleicht - etwas anderes als eine Gelddruckmaschine. Die überregionalen Zeitungen und die Lokalzeitungen unterscheiden sich nur der Größe nach, sozusagen nach der Menge der Brote und Brötchen, die dort gebacken, und der Zahl der Verkaufsstellen, in denen diese verkauft werden - all diese Zeitungen unterscheiden sich aber nicht in den Rezepten, nicht in den Prinzipien, nicht in der Wichtigkeit für eine größere oder kleinere Zahl von Menschen. Pressefreiheit ist das tägliche Brot der Demokratie. Und wenn Journalisten dieses Brot missachten und stattdessen Kaviar essen wollen, dann haben sie ihren Beruf verfehlt.

Damals, vor 180 Jahren, war es die Zensur, die die Pressefreiheit würgte. Heute drohen der Pressefreiheit ganz andere Gefahren. Ich meine nicht so sehr die Gefahren durch medienfeindliche Sicherheitsgesetze. Die gibt es: Journalistentelefone werden überwacht, die Telefonnummern gespeichert, die Journalisten-Computer können durchsucht werden - gerade so, als gäbe es keinen Schutz der Vertraulichkeit, als gäbe es kein Redaktionsgeheimnis. Die Pressefreiheit muss, so ist es seit längerer Zeit zu beobachten, beiseitespringen, wenn der Staat mit Blaulicht, also mit Sicherheitsinteressen daherkommt. Viele Gesetzgeber in Europa haben es sich angewöhnt, Pressefreiheit geringzuschätzen. Ich frage mich freilich, ob es sich nicht auch der Journalismus angewöhnt hat, sich selber geringzuschätzen. Geht nicht womöglich von der Presse selbst mehr Gefahr für die Pressefreiheit aus als vom Gesetzgeber? Ich glaube: Ja!

Larifari statt Leidenschaft und Haltung

Die wirklich große Gefahr für den Journalismus geht vom Journalismus, von den Medien selbst aus - von einem Journalismus, der den Journalismus und seine Kernaufgaben verachtet; der Larifari an die Stelle von Leidenschaft und Haltung setzt. Die Gefahr geht von Verlegern aus, die den Journalismus aus echten und vermeintlichen Sparzwängen kaputt machen; sie geht von Medienunternehmern aus, die den Journalismus auf den Altar des Anzeigen- und des Werbemarkts legen. Vielleicht liegt es an meiner  Vergangenheit in Regensburg, wo ich das Recht studiert habe und Richter war, dass mir an dieser Stelle ein Spruch des verstorbenen Regensburger Fürsten Johannes von Thurn und Taxis einfällt. Der hat einmal über das fürstliche Vermögen gesagt: Es sei so groß, dass man es nicht versaufen, verfressen oder verhuren könne - man könne es nur verdummen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass es mit dem geistigen und ökonomischen Vermögen, das in Zeitungsunternehmen steckt, auch so ist.

Pressefreiheit ist nicht die Freiheit, Redaktionen durch Zeitarbeitsbüros zu ersetzen. Pressefreiheit ist nicht Freiheit zum Outsourcen von Redaktionsarbeit. Pressefreiheit ist nicht die Freiheit, Qualitätsjournalismus durch Billigstjournalismus zu ersetzen. Pressefreiheit gibt es, weil die Presse eine Aufgabe hat. Wenn sie diese Aufgabe nicht mehr wahrnimmt, wird die Pressefreiheit hohl. Die Gefahr ist groß, dass der Journalismus verflacht und verdummt, wenn und weil der Renditedruck steigt; wenn und weil an die Stelle von sach- und fachkundigen Journalisten Produktionsassistenten für Multimedia gesetzt werden, wieselflinke Generalisten, die von allem wenig und von nichts richtig etwas verstehen. Aus dem Beruf, der heute Journalist heißt, wird dann ein multifunktionaler Verfüller von Zeitungs- und Webseiten. Solche Verfüllungstechnik ist allerdings nicht die demokratische Kulturleistung, zu deren Schutz es das Grundrecht der Pressefreiheit gibt. Das sind die wahren Gefahren für die Presse - nicht der Staat und auch nicht das Internet. Das Internet ist keine Gefahr, sondern eine Chance für den Journalismus. Dazu später.

Pressefreiheit

Von der Pressefreiheit wird zwar in den Ländern der EU viel geredet, sie interessiert aber eigentlich nicht mehr besonders. Im Irak, in China, in Iran oder Algerien ist das anders. Dort leben Journalisten gefährlich. Dort ist die Pressefreiheit oft nur zwei mal drei Meter groß, so groß wie eine Gefängniszelle. Dort, in diesen Ländern, wird darum gerungen, dass das eigentlich Selbstverständliche selbstverständlich wird: dass Journalisten einigermaßen frei arbeiten können. Dort, in diesen Ländern, wissen die Menschen noch, was diese Pressefreiheit wert ist.

Die Pressefreiheit ist ein Leuchtturm-Grundrecht - sie muss es sein und bleiben. Es gibt viele Länder, die diesen Leuchtturm vergammeln lassen. Und es gibt Länder, die ihn abgeschaltet haben. Es gibt Länder, in denen Journalisten damit rechnen müssen, dass nachts die Geheimpolizei bei ihnen klopft oder gleich die Tür eintritt. An die dreihundert Berichterstatter sitzen weltweit hinter Gittern - warum? Weil sie die Menschen informiert haben und weil sie weiterhin informieren wollten. Das weltweit größte Gefängnis für Journalisten ist China, gefolgt von Eritrea, Kuba und der Türkei.

Irak

Ich darf Ihnen eine kleine Geschichte erzählen: Vor einiger Zeit habe ich für das "Medium Magazin" eine Kollegin auszeichnen dürfen, die im Irak Journalistinnen und Journalisten ausgebildet hat. Susanne Fischer hat fünf Jahre lang, von 2003 bis 2008, Journalisten im Irak unterrichtet, seit 2008 tut sie das in Syrien. Sie arbeitet unter Bedingungen, die man sich kaum vorstellen kann, wenn man in Deutschland, Österreich oder der Schweiz als Dozent an Journalistenschulen oder Presseakademien arbeitet. Susanne Fischer hat mit ihrem "Institute for War and Peace Reporting" 300 junge Journalisten ausgebildet. Vier ihrer Schüler sind getötet worden, Dutzende haben Drohungen erhalten. Einige mussten untertauchen oder sich in den Nachbarländern in Sicherheit bringen. Susanne Fischer hat sich nicht einschüchtern lassen, ihre Schüler auch nicht.

Susanne Fischer und ihre jungen Kolleginnen und Kollegen im Irak und in Syrien lehren uns wieder etwas über die Ursprünge unseres Berufs: Pressefreiheit ist nicht die Freiheit zu bequemer Berufsausübung; sie ist vor allem die Pflicht zur Aufklärung. Wer im Irak oder in Syrien Journalistenausbildung betreibt, der lehrt nicht einfach schreiben - der lehrt Pressefreiheit, der lehrt Haltung, der lehrt und lebt das, was die Kernkompetenz des Journalismus ist: sich nicht einschüchtern lassen; nicht von Politik, nicht von der Wirtschaft, nicht von sogenannten Sach- und Sparzwängen, auch nicht - ja, das gibt es auch - von Kolleginnen und Kollegen.

Ich habe damals bei der Preisverleihung Susanne Fischer gefragt: "Sie arbeiten in einem Land, in dem der Tod allgegenwärtig ist in Gestalt von Autobomben, Selbstmordattentätern und Killerschwadronen - was können denn Journalisten in einem solchen Klima der Gewalt überhaupt noch ausrichten?" Die Antwort: "Es ist in diesem Klima eine Leistung, wenn es dank vieler gut ausgebildeter Journalisten vermieden werden kann, dass Medien dazu aufrufen, Schiiten oder Sunniten abzuschlachten. Journalisten können so dazu beitragen, dass es nicht noch schlimmer kommt."

"Entwicklungshilfe"

Wenn man von der Journalistenausbildung in Ländern wie Irak hört, dann bekommt das Wort "Entwicklungshilfe" neuen Glanz. Journalisten sind in diesen Ländern Entwicklungshelfer der Demokratie. Und ihre Arbeit dort lehrt uns, hier in Deutschland und in Österreich, was wir im Alltagstrott oft vergessen: Journalismus ist nicht nur ein Job, nicht nur Beruf; sondern auch Berufung. In Deutschland, Österreich, Italien, wie gesagt, wird von der Pressefreiheit zwar viel geredet - aber sie interessiert eigentlich nicht so brennend, am wenigsten den Gesetzgeber. Der geht mit der Pressefreiheit um wie die Durchschnittsfamilie mit dem Weihnachtsschmuck: Den packt man aus, hängt ihn an den Baum, sagt Ah und Oh, und dann hängt man ihn wieder weg. Die Pressefreiheit gilt Politikern als schmückender Tand, als Gedöns-Grundrecht, wie man im politischen Berlin sagt. Sie gehört zum glänzenden Schmuck, den man sich zu besonderen Tagen, zum Beispiel beim Verfassungsjubiläum, aufhängt.

Manchmal kommt mir heute die Pressefreiheit vor wie ein ausgestopftes Tier, wie ein einbalsamiertes Grundrecht, prächtig präpariert von Verfassungsrichtern, so dass es fast ausschaut wie lebendig. Aber nur fast. Es ist wie in der Schule im Biologieunterricht: Von Zeit zu Zeit wird das Tier abgestaubt, der Biologielehrer stellt es vor der Klasse auf und erzählt dann, was das Tier gemacht hat, als es noch gelebt, gejagt und gefressen hat. Manchmal geschieht ein Wunder - dann wird die Pressefreiheit gefährlich lebendig. Wenn so ein Wunder geschieht, wenn die Pressefreiheit also den Mächtigen naherückt (einem ehemaligen Regierungschef in einem Spenden- oder Steuerskandal, einem Finanz- oder Innenminister, dem man bei höchst dubiosen Geschäften auf die Finger schaut), wenn die Pressefreiheit also einen wirklichen Großskandal entdeckt, dann ist das eine Sternstunde des Journalismus. Aber so ein Skandal hält leider meist nur für gewisse Zeit, denn alsbald wird schon wieder, wie es im Jargon heißt, eine andere Sau durchs Dorf getrieben. Es fehlt - in der Politik wie in den Medien - der lange Atem. Qualitätsjournalismus braucht langen Atem. Qualitätsjournalismus ist mehr als eine moderne Litfaßsäule.

Todesanzeigen für Zeitungen

Zur Zukunft der Zeitungen. Ich weiß schon: Es gibt immer mehr Leute, die schon die Todesanzeigen für die Zeitung entwerfen: "Geboren 1603 in Straßburg/Elsass, gestorben 2020. Wir werden der Zeitung ein ehrendes Andenken bewahren." Diese Beerdigungsredner reden nicht von der Zusammenlegung von Redaktionen, auch nicht von entlassenen Redakteuren und nicht vom Outsourcing - sondern vom Internet. Seitdem der amerikanische Publizist Philip Meyer im Jahr 2004 ein Buch mit dem Titel "The Vanishing Newspaper" veröffentlicht, also das Verschwinden der Tageszeitung angekündigt hat, hören sich die Podiumsdiskussionen auf Medientagen über das Internet so an wie Vorbereitungen zur Beerdigung der Zeitungen. Für derlei Überlegungen ist es aber erstens ein bisschen früh, denn selbst Professor Meyer hat den Tod der Tageszeitung erst für das Jahr 2043 vorhergesagt. Zweitens könnte es sich mit Meyers Prophezeiungen so verhalten wie mit denen seines Kollegen Francis Fukuyama, der 1992, als das östliche Imperium und der Staatskommunismus zusammengebrochen waren, das "Ende der Geschichte" ausgerufen hat. Die Geschichte mochte sich dann nicht daran halten.

Der US-Publizist Meyer hat natürlich recht damit, dass das Internet rasend schnell ist: Es ist schnell, es ist ubiquitär und es hat etwas sympathisch Antiautoritäres. Aber ein sympathisches neues Medium bedeutet mitnichten automatisch das Ende des sympathischen alten. Das Internet ist nicht das Ende der gedruckten Zeitung; es nimmt der gedruckten Zeitung nur eine Aufgabe ab, die sie bisher, so gut es halt ging, zu erfüllen versuchte. Bei der "Vermeldung" von Ereignissen kommt und kam die Zeitung bei allem Bemühen immer zu spät. Diese natürliche Schwäche war den Zeitungen seit jeher bewusst. Die "Zürcher Zeitung" stellte im Titelblatt ihrer Ausgabe vom 12. Januar 1780 nüchtern fest, dass es ihr bei allem Bemühen versagt bleiben werde, "die Weltbegebenheiten früher anzuzeigen, als sie geschehen sind".

Echt-Zeit

Der Vorsprung, die Vermeldung eines Ereignisses zumindest vor der gesamten Konkurrenz, war deshalb bisher Ziel jedes Unternehmens, das mit Informationen Geschäfte macht - erreichbar durch ein ausgebautes Korrespondentennetz, durch Ausnutzung aller technischen Hilfsmittel bei der Übermittlung durch Erschließung neuer Nachrichtenquellen. Dank dieses Bemühens schrumpfte die zeitliche Distanz zwischen Ereignis und Öffentlichkeit immer weiter. Mit dem Internet ist das Ende dieser Entwicklung erreicht. Es erreicht das Publikum im Idealfall in Echt-Zeit. Es verfügt also über eine Fähigkeit, die eine Zeitung bei allergrößtem Bemühen nicht erreichen kann.

Der Tod Napoleons auf St. Helena am 5. Mai 1821 wurde in der "Londoner Times" als erster Zeitung zwei Monate später gemeldet, am 4. Juli 1821. Die "Vossische Zeitung" in Berlin druckte die "Times"-Meldung weitere zehn Tage später nach. Die Meldung über den Tod Mahatma Gandhis lief 1948 schon wenige Minuten nach dem Schuss des Attentäters in allen Orten der Erde ein; sie gilt in der Fachliteratur als das klassische Beispiel moderner Nachrichtentechnik. Der Fortschritt der Technik und ihr Einsatz im Nachrichtenwesen schlugen sich schon in Zeitungstiteln wie "Telegraph" nieder. Telefon, Funk, Satellit, Radio und Fernsehen machten aus einer distanzierten eine fast miterlebende Öffentlichkeit - aber nur fast. Das Internet beendet das "fast".

Rasanz vs. Analyse

Es wird davon geredet, dass Zeitungen und Internet sich ergänzen. Das stimmt dann, wenn jedes Medium seine spezifischen Stärken kennt. Die Stärke des Internets ist die Rasanz, die Stärke der Zeitung die Analyse. Zeitungen, die sich darauf besinnen, werden interessanter, weil sie Uniformität und die Wiederholung des Immergleichen vermeiden. Weil es das Internet, weil es also nun bessere, schnellere Methoden bloßer Informationsvermittlung gibt, kann sich die Zeitung auf anderes konzentrieren - auf Analyse, Hintergrund, Kommentierung, auf Sprachkraft, Gründlichkeit und Tiefgang auf all das, was sich in der Hetze der Echtzeit im Internet nicht leisten lässt. Die Zeitung kann Wegweiser sein im Wirrwarr; sie kann Informationen destillieren, konzentrieren, auswerten, bewerten.

Für die Lokalzeitung und das überregionale Blatt kann das ganz verschiedene Gewichtungen bedeuten. Aber: Wenn eine Zeitung das gut macht, wird sie - ob digital oder gedruckt - immer genügend Leser haben, die sich an ihr festhalten, weil sie der Realitätsvergewisserung dient, weil sie ein Schlüssel ist zum Verstehen der globalisierten Welt, deren Abbild das Internet ist. Eine solche Tageszeitung wird dann eine Solidarität und eine Autorität haben, von der das Internet nur träumen kann.

Koexistenzen

Zeitungsleute müssen vom Internet nicht reden wie von einem neuen Hunneneinfall. Die Hunnen kamen vor 1500 Jahren aus dem Nichts, schlugen alles kurz und klein (und verschwanden hundert Jahre später wieder). Das Internet schlägt gar nichts kurz und klein. Das ist doch, wie gesagt, die Lehre aus jeder mediengeschichtlichen Revolution: Kein neues Medium hat je die alten Medien verdrängt. Es kommt zu Koexistenzen. Das Internet ersetzt nicht gute Redakteure, es macht gute Journalisten nicht überflüssig; im Gegenteil: Es macht sie noch wichtiger als bisher. Gegen Datentrash hilft, wie gesagt, nur kluge Analyse und Hintergrundbildung. Das muss die Zeitung bieten. Mit wertehaltigem Journalismus, nicht mit Billigjournalismus.

Die angebliche Existenzkrise, ja Todesnähe der Zeitungen oder gleich gar des professionellen Journalismus gehört zu den Hysterien, die im Journalismus noch besser gedeihen als anderswo. Der Kikeriki-Journalismus, die aufgeregte Kräherei, die seit einiger Zeit unsere politische Publizistik prägt, kräht nun das eigene Ende herbei. Man schreibt sich sein eigenes fin de siecle. Man schreibt sein eigenes Produkt schlecht, so lange, bis es alle glauben.

Die deutschsprachige Publizistik hat sich von der US-Zeitungsdepression lustvoll anstecken lassen. Lange bevor sich im Herbst 2008 die Banken- und Finanzkrise zuspitzte, steckten 19 der 50 größten US-Zeitungen in roten Zahlen. Was hat zur US-Zeitungsdepression geführt? hat. Es war vor allem die Geldsucht. Das US-Zeitungswesen ist jener Wall-Street-Theorie zum Opfer, wonach man Profite dadurch maximiert, in dem man das Produkt minimiert. Die US-Zeitungen sind an die Börse gegangen und dann an der Börse heruntergewirtschaftet worden. Der Wert der Zeitungen wurde von der Wertschätzung nicht der Leser, sondern der Aktionäre abhängig gemacht. Überall und ständig wurde von den Zeitungen gefordert, ihren Aktienwert zu verbessern. Deswegen gab es Kahlschlag-Sanierungen, Korrespondentennetze wurden zerschnitten, Büros geschlossen, Redaktionen kastriert, die Druckkosten zu Lasten der gedruckten Inhalte gesenkt. Immer mehr Zeitungen gehörten und gehören Investmentfonds. Das Fondsmanager kein Interesse am Zeitungsmachen haben, liegt auf der Hand. Das war das eine.

Blogs

Das andere: Die US-Zeitungen haben in der Bush-Ära  fast komplett versagt. In Washington hatte sich - so konstatierte der Pulitzer-Preisträger Russell Baker - "das renommierte Corps der Hauptstadtkorrespondenten mit Lügen abspeisen und zur Hilfstruppe einer Clique neokonservativer Verschwörer machen lassen". Die Blogs waren da nichts anderes als eine demokratische Not- und Selbsthilfe. Blogger haben die kritischen Analysen und Kommentare gegen Bush und den Irak-Krieg geschrieben, die man in den Zeitungen nicht lesen konnte. Ein guter Journalismus muss wegen der den Blogs nicht Heulen und Zähneklappern kriegen: er kann dem Blog dankbar sein, wenn und weil er seine Lücken substituiert und seine Fehler aufzeigt.

Man kann also viel lernen aus der US-Zeitungsdepression. Vor allem, was man tun muss, um nicht in eine solche Depression zu geraten. Die US-Zeitungskrise begann, als die Zeitungen dort nicht mehr der Stolz ihrer Besitzer waren, sondern nur noch Geldquellen. Entsprechend wurden sie auch geführt: nach industriellen Standards. Die Besitzer, die sich ihrem Blatt nicht mehr verpflichtet fühlten, haben ihre Verlage gemolken: Expansion und Rendite waren die Devise. Damit wurden die Blätter anfällig für allgemeine wirtschaftliche Einbrüche.

Der Presse ist in den Verfassungen die Freiheit garantiert. Presse sind Journalisten, Verleger, Medienunternehmen. Die Pressefreiheit könnte entfallen, wenn diese Freiheit als Freiheit ohne Verantwortung missverstanden wird; und wenn Medienunternehmen sich nur noch als Renditeunternehmen wie jedes andere auch verstehen. Manager, die glauben, die Herstellung von Druckwerken sei nichts anderes als die Herstellung von Plastikfolien, täuschen sich. Für die Hersteller von Plastikfolien gibt es kein eigenes Grundrecht. Es hat seinen Grund, warum es das Grundrecht der Pressefreiheit gibt: Pressefreiheit ist Voraussetzung dafür, dass Demokratie funktioniert. Wird dieser Grundsatz nicht mehr geachtet, wird das Grundrecht grundlos. Dann verlieren Zeitungen ihre Zukunft.

Leidenschaft

Daraus folgt: Das beste Rezept für eine gute Zukunft der Zeitung ist verlegerische und journalistische Leidenschaft. Journalismus - das sind nicht Maschinen. Journalismus - das sind Köpfe. Journalismus ist geistige Arbeit. Diese geistige Arbeit muss natürlich gedruckt oder sonst wie verbreitet werden. Die geistige Arbeit ist also nicht alles; aber ohne diese geistige Arbeit ist alles nichts.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, als einst der neue Münchner Flughafen eingeweiht wurde, ging der damalige Ministerpräsident Max Streibl mit den Journalisten stolz und beseelt durch die großen Hallen. Alles war blitzblank, weitläufig, weltläufig und edel; am Boden glänzte der polierte Granit, an den Wänden prangte moderne Kunst, aus den Lautsprechern klangen die Weltsprachen. Als die Besichtigung nach zwei Stunden zu Ende war, fragte ein Journalist den Ministerpräsidenten, ob er in all dieser Pracht und Herrlichkeit etwas vermisse. Der Ministerpräsident stutzte kurz und sagte dann: "Es ist alles wunderbar, nur: Wenn man hier ankommt, merkt man doch gar nicht, dass man in München ist. Es könnte sich genauso um den neuen Flughafen in Paris oder in Melbourne handeln. Woran soll man denn hier erkennen, dass man in München gelandet ist? " Ein Kollege schlug ihm daraufhin vor, man könne doch die nächste Landebahn "in Brezenform" errichten. Das Gelächter war groß.

Sie schauen mich jetzt mit großen Augen an und fragen, was diese Geschichte denn mit der Zeitung, was sie mit Journalismus zu tun hat? Warum erzählte ich Ihnen dieses Kuriosum? Wenn man dieser Geschichte nach hört, dann klingt hinter der Lustigkeit der Begebenheit und der vermeintlichen Beschränktheit des Politikers etwas sehr Ernsthaftes, Wichtiges, Grundsätzliches. Die kleine Begebenheit führt uns nämlich zu einer Frage, die für den Journalismus viel wichtiger ist als für einen Flughafen: Was ist das Besondere, was ist das Erkennungszeichen, was ist das Unverwechselbare an einem guten Journalismus? Was zeichnet ihn aus? Was zeichnet den Journalismus so aus, dass er ein eigenes Grundrecht wirklich verdient? Wie soll, wie muss der Journalismus seine Freiheit nutzen, auf das sie Pressefreiheit heißen kann und darf?

Image der Journalisten

Umfragen über das Image von Journalisten fallen nicht sehr glänzend aus. Das Image der Journalisten ist nicht so gut, wie es sein müsste und nicht so schlecht, wie es sein könnte. Der Journalismus darf der Aufgabe, die er in der demokratischen Mediengesellschaft hat, nicht nur quantitativ nachkommen; Journalismus ist eine qualitative Aufgabe. Wenn Journalismus Qualität hat, dann braucht er keine Imagekampagne. Er braucht gute Journalisten. Ein Journalismus, dem die Leute trauen und vertrauen, ist wichtiger denn je. Die große Frage lautet nicht: Wie schafft man Klicks, Reichweite, Auflage. Die große Frage lautet: Wie schafft man Vertrauen? Dann kommen auch Klicks, Reichweite und Auflage. Guter Journalismus ist ein Journalismus, bei dem die Journalisten wissen, dass sie eine Aufgabe haben - und dass diese Aufgabe mit einem Grundrecht zu tun hat: Nicht für jeden Beruf gibt es ein eigenes Grundrecht, genau genommen nur für einen einzigen.

Leidenschaftlicher Journalismus muss das Internet nicht fürchten, im Gegenteil. Man  sollte damit aufhören, Gegensätze zu konstruieren - hie Zeitung und klassischer Journalismus, da Blog mit einem angeblich unklassischen Journalismus. Man sollte auch aufhören mit dem Gerede, dass der "klassische" Journalismus in einem Bermuda-Dreieck verschwinde. Der gute klassische ist kein anderer Journalismus als der gute digitale Journalismus. Die Grundlinien laufen quer durch diese Raster und Cluster: Es gibt guten und schlechten Journalismus, in allen Medien. So einfach ist das.

Gute Zeiten für guten Journalismus

Ich bin überzeugt davon: Guter Journalismus hat gute, er hat große Zeiten vor sich: Noch nie hatten Journalisten ein größeres Publikum als nach der digitalen Revolution. Noch nie war Journalismus weltweit zugänglich. Und es gab wohl noch nie so viel Bedürfnis nach einem orientierenden, aufklärenden, einordnenden und verlässlichen Journalismus wie heute - das gilt für regionale und für nationale Zeitungen. Die Texte, die dieser Journalismus produziert, werden Nachrichten im Ursinne sein: Texte zum Sich-danach-Richten.

Die gedruckte Zeitung wird es immer geben. Aber der Journalismus wird sich nicht mehr ganz so fest wie bisher am Papier festhalten; er löst sich zum Teil davon, aber er löst sich nicht auf. Der Journalismus steht vor Veränderungen. Aber ein Journalismus, der Angst vor solchen Veränderungen hätte, wäre ein Unglück. Ein Unglück war und es natürlich, wenn Zeitungen sterben - wie in Deutschland die "Frankfurter Rundschau" und die "Financial Times Deutschland". Die "FR" und die "FTD" sind aber nicht wegen internetbasierter Kommunikation in die Krise geraten. Die Krise der "FR" ist viel älter. Und dass die "Financial Times Deutschland" eingestellt werden musste, liegt vor allem daran, dass deren Marktchancen von Anfang an falsch eingeschätzt wurden - nämlich überschätzt. Sie entstand, als der der Finanzmarkt-Hype am größten war. Die Verleger gingen davon aus, dass jeder Bürger ein Wirtschaftsbürger und Finanzmarktkunde und damit ein potenzieller Käufer ist. Das war eine Täuschung.

Leser schätzen Qualitätsjournalismus

Der Journalismus hat - aus den Gründen, die ich vorhin geschildert habe - eine gute, ja eine glänzende Zukunft. Und die Zeitung, gedruckt und digital, als Premium-Objekt dieses Journalismus ist Teil dieser Zukunft. Ich glaube auch daran, dass die Paid-Content-Strategien - mit denen die Medienhäuser leider zu spät begonnen haben - dabei helfen, diese Zukunft zu sichern. Der Leser (ich erinnere an Moritz Müller vom Beginn meines Vortrags) schätzt Qualitätsjournalismus; und er ist  bereit, dafür zu bezahlen, wenn er ihn online konsumiert. Aufgabe der Verlage ist es, die Bezahlschranken so zu installieren, dass sie so einfach wie möglich passierbar ist. Die "New York Times" und die "NZZ" lehren, dass das möglich ist. In Deutschland haben mittlerweile 42 Lokal- und Regionaltitel erfolgreich Bezahlmodelle für ihre Online-Angebote entwickelt. Besonders in Ein-Zeitungs-Gebieten funktionieren sie hervorragend.

Und wie verhält es sich mit dem Amateur-Journalismus, wie er in den Blogs Blüten treibt? Ist er Konkurrenz, ist er Anlass für professionellen Griesgram? Gewiss nicht. Dieser Amateur-Journalismus bietet doch Chancen für eine fruchtbare Zusammenarbeit. Er ist ein demokratischer Gewinn. Mich erinnern dieses Blogs, mich erinnert diese Kommunikationsrevolution an die Revolution von 1848/49, mich erinnert die Kommunikationsrevolution heute an die vor 165 Jahren. Die Revolution von 1848/49 war auch eine Kommunikationsrevolution. Die Zahl der deutschsprachigen Tageszeitungen verdoppelte sich damals fast, von 940 im Jahr 1847 auf 1700 zwei Jahre später. In Paris stieg die Auflage aller Zeitungen von 50.000 vor der Revolution auf 400.000 im Mai 1848, als man 171 Zeitungen zählte. Eine der Haupttätigkeiten der unglaublich vielen politischen Vereine, die damals gegründet wurden, bestand darin, aus Zeitungen vorzulesen und sie gemeinsam zu bearbeiten

Kurz: 1848 war ein politischer Lernprozess, der hunderttausende von Menschen einbezogen und ihnen Möglichkeiten zur politischen Partizipation gegeben hat. 165 Jahre später bietet die digitale Revolution diese Möglichkeit wieder, in nie gekannter Dimension. Anders gesagt: Blogs sind mehr Demokratie. Sie sind die Chance zu einer neuen bürgerlichen Revolution. Soll da der professionelle Journalismus die Nase hochziehen, so wie es vor 165  Jahren die fürstlichen Herrschaften und monarchischen Potentaten getan haben?

Forscher, Entdecker, Erklärer

Ein guter Journalist ist ein Forscher, ein Entdecker, ein Erklärer - er ist ein Amundsen, er ist ein Scott. Er kann Dinge, die andere nicht können und er traut sich Dinge, die sich andere nicht trauen.  Guter Journalismus kann, muss  auch in der sogenannten Provinz zu Hause sein. Provinz kann so wertvoll sein - denn Provinz ist Heimat, Provinz ist Geborgenheit in vertrauten Formen und vertrauten Regeln. Provinziell muss die Welt werden, dann wird sie menschlich. Eine gute Regional- und Lokalzeitung muss dafür sorgen, dass das stimmt. Wer Provinz gleichsetzt mit Dummsdorf, ist selbst provinzlerisch. Provinz ist ein gutes Wort. Provinz ist, wo Zusammenhänge überschaubar sind. Provinz ist der Raum, in dem die Menschen sich kennen. Provinz ist auch die Überschaubarkeit der Machtverhältnisse. Eine gute Zeitung, ein guter Journalismus  macht aus der Welt eine Provinz: weil eine gute Zeitung die Machtverhältnisse überschaubar macht.

Es gibt die Pressefreiheit, weil die Presse auf die Demokratie achten soll. Diese Achtung beginnt mit Selbstachtung. Es wird daher, und in den Zeiten des Internets mehr denn je, gelten: Autorität kommt von Autor und Qualität kommt von Qual. Dieser Qualitäts-Satz steht zwar an der Wand der Hamburger Journalistenschule, aber er gilt nicht nur für Journalistenschüler. Er meint nicht, dass man Leser und User mit dümmlichem, oberflächlichem Journalismus quälen soll.

Qualität kommt von Qual: Dieser Satz verlangt von Journalisten in allen Medien, auch im Internet, dass sie sich quälen, das Beste zu leisten - und er verlangt von den Verlegern und Medienmanagern, dass sie die Journalisten in die Lage versetzen, das Beste leisten zu können. Dann hat der Journalismus eine glänzende Zukunft. ich wünsche uns allen diese glänzende Zukunft. Dieser Glanz misst sich nicht unbedingt an einem gewaltigen Einkommen. Er besteht in dem Stolz, wenn man sagen darf: Wir backen für Sie das tägliche Brot der Demokratie. (Heribert Prantl, DER STANDARD, 21.6.2013, Langfassung)