Der 17-jährige Najeebullah in seinem Zimmer im Haus St. Gabriel. 30 minderjährige Flüchtlinge ­können dort während des Asylverfahrens leben und lernen.

Foto: Regine Hendrich

Maria Enzersdorf - Die erste Frage, die Übersetzerin und Deutschlehrerin Maryam Shah aus Najeebullahs Mund vernahm, war: "Kann ich dann hier beten?" Der 17-jährige Afghane islamischen Glaubens hatte gerade das Haus St. Gabriel in Maria Enzersdorf betreten: einen mächtigen Ziegelbau aus dem Jahr 1914 mit Kirche und Ordenshaus. Bis zu 600 Männer der Steyler Missionare lebten einst dort, heute sind es noch rund 50 Mitbrüder. Seit einem Monat ist Najebullah hier vorübergehend daheim - wie 27 weitere minderjährige Flüchtlinge. 30 haben Platz, außerdem gibt es zehn Plätze für 18- bis 21-Jährige.

Platz für 140 Menschen

Am Donnerstag, dem Weltflüchtlingstag, hat die Caritas diese neue Einrichtung für Flüchtlinge im Alter von 14 bis 21 Jahren eröffnet. Rund Dreiviertel von ihnen stammen aus Afghanistan, seit 2011 die asylantragsstärkste Nation in Österreich. In dem Haus leben seit 1992 Flüchtlinge. Nun, um eine Betreuungseinrichtung für Minderjährige erweitert, gibt es Platz für 140 Menschen.

"Wird das ausgebaut?"

Der Ausbau verläuft scheinbar unproblematisch. Von Protesten der Maria Enzersdorfer ist nichts bekannt. Im "Wirthaus Am Nordpol" sagt der Wirt, er habe von keinem seiner Gäste über das Flüchtlingsheim auch nur ein Wort zu dem Thema vernommen. Ein Herr, der an einem Achterl nippt, erkundigt sich: "Warum fragen Sie? Wird das ausgebaut?"

Dabei hat Bürgermeisterin Traude Obner (VP) diesen Schritt offen kommuniziert: Die Ortschefin gab die Erweiterung des Hauses in einem Gemeindeblatt bekannt - nur wenige Tage vor der niederösterreichischen Landtagswahl im März. In dem Schreiben teilte sie mit, dass künftig mehr Fläche für die Flüchtlingsbetreuung genutzt werde und die Caritas sich bedanke, dass die Bevölkerung mit Spenden unterstützend zur Seite stehe. Obners Brief endete mit dem Satz: "Ich bin stolz, Bürgermeisterin einer solchen Gemeinde sein zu dürfen!"

Rund 1000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge

Am Donnerstag ließ sich Obner aus gesundheitlichen Gründen entschuldigen, als Caritas-Direktor Michael Landau im Innenhof ein rotes Band durchschnitt, neugierig beäugt von einer Gruppe junger Männer - 80 bis 90 Prozent der jugendlichen Flüchtlinge in Österreich sind männlich. Die Zahl der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge im Land ist in den vergangenen Jahren gestiegen, derzeit beziffert das Innenministerium sie mit rund 1000.

Die meisten der Jugendlichen, die nun im Haus St. Gabriel in einem der mit Möbelspenden eingerichteten Ein-, Zwei- oder Dreibettzimmer wohnen, waren zuerst im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen. Landau erinnerte daran, dass sich vor einem halben Jahr noch 600 Jugendliche und Kinder dort aufhielten. Bis das Innenministerium die Bundesländer in die Pflicht nahm, ihre Asylwerberquote zu erfüllen - woran nun auch Niederösterreich, im Besonderen Landesrätin Elisabeth Kaufmann-Bruckberger vom Team Stronach, noch arbeitet. "Kinder gehören nicht in Großlager, sie gehören in Häuser wie dieses", sagte Landau.

"Es gab Probleme"

Fragt man Najeebullah, worin für ihn die Unterschiede zwischen den zwei Häusern liegen, lacht er auf: "Das eine ist ein Flüchtlingslager, das hier ist wie eine Pension." Spricht Najeebullah über seinen Fluchtgrund, sagt er, ohne die sonst so tiefen Grübchen in seinen Wangen, nur: "Es gab Probleme."

Dahinter kann sich vieles verbergen: Sein gleichaltriger Landsmann Saida, dessen schwerer Weg sich in seine Augen spiegelt, sagt er habe gehen müssen, nachdem sein Vater ermordet worden war. Ihre Probleme können die Jugendlichen in St. Gabriel bei Sozialarbeitern, -pädagogen und Psychologen abladen. Und sie nehmen an einem Deutschkurs teil. Najeebullah würde gerne ein Handwerk lernen. Saida sagt, ihn interessieren Computer. St. Gabriel war immer als Ausbildungszentrum gedacht. Rund 3000 Missionare haben in über 100 Jahren dort ihre Ausbildung absolviert. Die Zahl wuchs über die Jahrzehnte immer langsamer.

Über 3000 Flüchtlinge sind es auch, die seit 1992 in dem Ziegelbau vorübergehend ein Zuhause gefunden haben. Tendenz steigend. Und ja, Najeebullah kann auch dort beten. (Gudrun Springer, DER STANDARD, 21.6.2013)