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Polizisten führten am Donnerstag auch in Izmir Demonstranten ab.

Foto: EPA/SAFAK YEL ANADOLU AGENC

Wenn Erdogan spricht, fällt die Börse. Und wenn die Fed in Washington einen Stopp ihres Ankaufs von Anleihen in Aussicht stellt, dann reicht das, um die türkische Lira, wie am Donnerstag geschehen, auf einen historischen Tiefstwert zu schicken: 1,93 für einen Dollar.

Beim Euro ist die Lira seit der Räumung des Taksim-Platzes ohnehin schon über die Marke von 2,50 gerutscht. Drei Wochen Antiregierungsproteste und Polizeigewalt haben gezeigt, wie verwundbar die türkische Wirtschaft in Wahrheit ist: Sandburg und nicht Festung inmitten der Euroschuldenkrise, wie die Regierung in Ankara immer gern behauptet.

Nicht die "Zinslobby", die der türkische Premier anprangert, sei schuld an der wackligen Börse, so erklären Analysten, sondern eher die Brandreden gegen die Protestierenden im Land, die Tayyip Erdogan hält und damit ausländische Kapitalanleger verschrecke. Acht Milliarden US-Dollar sind allein im Mai nach Angaben der Zentralbank aus der Türkei abgezogen worden. Doch auch dies soll eine andere Komplotttheorie von Erdogan und dessen Außenminister Ahmet Davutoglu stützen. Sie versichern den Türken, die Proteste seien von langer Hand geplant geworden.

Zweifel am Zusammenhalt der Regierung kommen dazu. Vizepremier Bülent Arinç dementierte am Donnerstag einen Bericht der gewöhnlich gut informierten Tageszeitung Taraf, dem zufolge er vor zwei Wochen im Streit mit Erdogan seinen Rücktritt erklärte und nur von Staatspräsident Abdullah Gül umgestimmt werden konnte. Arinç hatte für einen Dialog mit der Protestbewegung plädiert und sich im Namen der Regierung für die exzessive Gewalt der Polizei entschuldigt; Erdogan soll damit nicht einverstanden gewesen sein.

Reisewarnungen mancher EU-Länder, Touristen in Tränengasschwaden und die Berichterstattung der internationalen Medien über die Polizeieinsätze haben das Geschäft mit den Istanbul-Besuchern einbrechen lassen. Rund um den Taksim-Platz stehen die Hotels zu einem großen Teil leer. 215.000 Übernachtungen wurden bisher storniert, gab der Hotelverband Turob bekannt.

Rollläden fallen um 17 Uhr

Wegen der Krawalle in Istanbul ließen die Geschäfte auf der Istiklal-Straße und im Einkaufsviertel Nişantaşi, die sonst bis spät in die Nacht offenstehen, um 17 Uhr oder gar früher die Rollläden hinunter. Neue Straßenschlachten sind möglich, denn eine Verständigung mit den Protestierenden, die mehr Demokratie und politische Freiheit wollen, ist nicht gefunden worden. Allein in der Hauptstadt Ankara wird der durch die Auseinandersetzungen bisher entstandene Schaden auf umgerechnet knapp 800 Millionen Euro geschätzt.

Die Protestbewegung hat auch die politischen Lager in der türkischen Wirtschaft sichtbar gemacht. Knapp die Hälfte der führenden Unternehmer gab an, den Gezi-Park während der Besetzung selbst besucht zu haben. Die Koç-Holding, das größte Konglomerat im Land, hat sich dabei besonders Erdogans Zorn zugezogen. Dieser  warf dem Direktor der privaten Koç-Universität vor, seine Studenten in den Park geschickt zu haben. Das Divan-Hotel, das seine Türen den Protestierenden geöffnet hatte, gehört ebenfalls zur Koç-Gruppe. (Markus Bernath, DER STANDARD, 21.6.2013)