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Das Verbot von Homosexualität wurde in Russland zwar vor 20 Jahren abgeschafft. Doch ein neues Gesetz stellt Schwule und Lesben wieder schlechter. Proteste erstickt die Polizei im Keim.

Foto: EPA/Ilnitsky

 Ein Kuss machte sie weltbekannt: Zwei junge Mädchen in Schuluniform, das weiße Hemd vom Regen durchnässt und halbdurchsichtig, der kurze schwarze Rock bedeckt kaum den Po. Die russische Pop-Gruppe t.A.T.u. feierte mit dem skandalträchtigen Lesbenimage, das die damals noch minderjährigen Solistinnen Julia Wolkowa und Jelena Katina pflegten, riesige Erfolge. Selbst die russische Führung ließ es sich nicht nehmen, damit Imagepunkte zu sammeln. 2003 schickte das Staatsfernsehen das Duo sogar zum Eurovision Song Contest, wo es den dritten Platz belegte.

Während t.A.T.u. als vermeintliche Lesben die Fantasie - zumeist älterer - Männer erregten und damit zu Ruhm gelangten, ist die Lage von Schwulen und Lesben in Russland deutlich weniger berauschend. Das Verbot für Homosexualität wurde zwar vor 20 Jahren abgeschafft, die Vorurteile sind jedoch weiterhin riesig. Laut einer Umfrage des Lewada-Instituts ist über die Hälfte der Bevölkerung für eine strafrechtliche Verfolgung und Zwangsbehandlung von Homosexuellen.

Verbot für "Schwulenpropaganda" unter Minderjährigen

Nun nimmt auch der Druck des Staates wieder zu, wie durch das jüngst erlassene Verbot für "Schwulenpropaganda" unter Minderjährigen. Strafbar ist damit unter anderem "die verzerrte Darstellung einer sozialen Gleichwertigkeit traditioneller und untraditioneller sexueller Beziehungen", was Homosexuelle quasi zu Menschen zweiter Klasse stempelt.

Viele Betroffene verheimlichen seit langem ihre Orientierung, um nicht den Vorurteilen der Gesellschaft zum Opfer zu fallen. Da ist der Moskauer Andrej, den seine Mutter, eine Schuldirektorin, versucht, mit alleinstehenden Müttern zu verkuppeln, um ihm den Anstrich eines " normalen" Familienvaters zu geben; oder Natascha, die zwar mit einer Frau zusammenlebt, dies aber nicht nur vor Kollegen, sondern selbst vor ihrem neunjährigen Sohn geheim hält. "Er lebt bei der Oma, ich sehe ihn nur am Wochenende", sagt sie. Wenn er größer sei, werde sie es ihm vielleicht erzählen, derzeit fürchte sie, ihn damit zu stark zu belasten. "Er müsste es geheim halten, um nicht in der Schule gehänselt zu werden", begründet sie ihre Zurückhaltung.

Anfeindungen nehmen zu

Die Petersburgerin Schanna Jurjewa ist eine der wenigen, die an die Öffentlichkeit gehen. Jurjewa ist Volontärin des Filmfestivals "Side by Side", das für einen offenen und gleichberechtigten Dialog zwischen Mehrheit und sexuellen Minderheiten eintritt. "Diejenigen, die uns demütigen und erniedrigen wollen, bekommen durch das Gesetz freie Hand", Anfeindungen und Denunziantentum werden zunehmen, fürchtet sie.

Indizien dafür gibt es schon: So wurden in den vergangenen Wochen zwei Männer aus Schwulenhass ermordet. In der Petersburger U-Bahn nahm die Polizei derweil nur einen Tag nach der Verabschiedung des Gesetzes durch die Duma zwei Frauen in Gewahrsam. Ihr Vergehen: Sie hatten Arm in Arm nebeneinandergesessen. Um die Moral besorgte Bürger hatten daraufhin die Polizei gerufen. (André Ballin, DER STANDARD, 21.6.2013)