Brüssel - Vielleicht war es gut gemeint, als der irische Außenminister Eamon Gilmore am Mittwochabend nach einer weiteren Verhandlungsrunde mit EU-Parlamentariern über den mittelfristigen EU-Finanzrahmen (MFR) für die Jahre 2014 bis 2020 in seiner Eigenschaft als EU-Ratsvorsitzender Vollzug verkündete: Man habe eine "Einigung" erzielt, einen "ausgewogenen Mix aus Entscheidungen", sagte er, "dies ist ein guter Tag für Europa". Nun gelte es, im Parlament eine Mehrheit zu finden.

Sein Parteifreund Ivailo Kalfin aus Bulgarien, der für die SP-Fraktion im Europaparlament als einer von zwei Hauptverhandlern dabei war, twitterte dagegen zum "vorläufigen" Deal: "Nicht zufriedenstellend." Die Zustimmung des Plenums zu dem von den Regierungen diktierten Haushaltsplan (siehe Grafik) sei mehr als unsicher. Tags darauf wurde der Groll der Abgeordneten, die um weitere Details im Paket und mehr Mitsprache beim Geld feilschen wollten, zum Sturm. Der Chefverhandler, der deutsche CDU-Mann Reimer Böge, erklärte in einer Budgetausschusssitzung in Brüssel, es gebe keine Einigung.

Dem irischen Ratsvorsitzenden warf er wörtlich "eine ziemlich üble Manipulation" vor, auch "Lüge und Irreführung der Öffentlichkeit". Dann erklärte er seinen Rücktritt als MFR-Berichterstatter und Chefverhandler, verließ den Saal. Ein Eklat.

Neustart dringend gesucht

Seither ist bei allen beteiligten EU-Institutionen Feuer am Dach, vor allem bei den Finanzministern, die am Donnerstag in Luxemburg zusammentraten. Sie sollten unter anderem auch über die Gewährung eines EU-Nachtragshaushalts für 2013 beraten, um Programmlücken zu schließen – eine der Bedingungen des Parlaments für eine Zustimmung zum mehrjährigen Finanzrahmen, der aus ihrer Sicht sonst ein (allzu) strikter Sparplan wäre.

Aber das scheint vorläufig Makulatur: "Wir wissen nicht, wie es jetzt weitergeht", hieß es in der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP), die noch am ehesten einen Abschluss möchte. Aber Sozialdemokraten, Liberale, Grüne – eine deutliche Mehrheit – schließen einen Konsens mit dem Rat derzeit absolut aus, wie Fraktionschef Hannes Swoboda betont. Auch Vizepräsident Othmar Karas (VP) kritisiert die Verhandlungsführung des Rates, will beim MFR mit Nein stimmen.

Dabei hatte es bis zu Gilmores Ausritt durchaus Fortschritte gegeben: Eine MFR-Revision Ende 2016 wurde vereinbart, wie das Parlament es wünschte; oder einzelne Budgetbereiche sollen zwischen den Jahren "flexibel" verschoben werden können, wenn auch nicht völlig frei zwischen einzelnen Ausgabenrubriken. Und es wurde zugesagt, dass ein Plan zur Ausweitung von EU-Eigenmitteln erstellt werde.

Die Abstimmung soll im Plenum im Juli stattfinden. Die Frage ist daher, ob und wie man die Verhandlungen (an denen, wie berichtet, auch ein Erfolg bei der anstehenden Agrarreform hängt) wieder in Gang setzt. Möglicherweise müssen die Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel nächste Woche eingreifen.

Aber so einfach wird es auch für sie nicht, denn das EU-Parlament (EP) hat einen Trumpf in der Hand. Scheitert der MFR 2014 bis 2020, dann müssten die EU-Budgets ab 2014 jährlich fortgeschrieben und verhandelt werden, stets auf Basis des Vorjahreshaushalts. Und dabei hat das EP volles Mitentscheidungs- und Gestaltungsrecht. Unter Druck stehen also eher die Regierungen, deren konservative Parteichefs beim Treffen in Wien am Donnerstag noch strikteres Sparen einforderten. Ein Ergebnis vor dem 1. Juli dürfte es nun nicht mehr geben. Dann endet nach einem halben Jahr der irische EU-Ratsvorsitz, Litauen folgt. Vielleicht hatte Außenminister Gilmore das vor Augen, als er sich etwas vorschnell freute. Eine fatale Fehleinschätzung. (Thomas Mayer, DER STANDARD, 21.6.2013)