Edith Schuligoi hat mit "femica" die erste österreichische Selbsthilfegruppe für Frauen, die von Gebärmutter- und Eierstockentfernung betroffen sind,  gegründet.

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Edith Schuligoi : Frauenkastration.
Leben nach dem Verlust von Gebärmutter und Eierstöcken: Ein Buch für Frauen, ihre Partner und begleitende Fachpersonen. Edition Riedenburg 2013, € 19,90.

 

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Kastration! Dieses Wort klingt gewaltvoll und – es schockiert. Genau das möchte Edith Schuligoi mit ihrem Buch "Frauenkastration" erreichen. Es soll aufrütteln und endlich das Schweigen brechen über eine Praxis, die voller Tabus, Mythen und Verharmlosungen ist. Ausgehend von ihrer eigenen Leidensgeschichte lässt sie viele weitere Betroffene mit ähnlichen Schicksalen zu Wort kommen. Sie alle wurden nicht oder nur mangelhaft von ihren Ärztinnen und Ärzten über die massiven Folgen der Gebärmutter- und/oder Eierstockentfernung informiert, zumeist schlecht betreut, oft ignoriert und fast immer mit ihren Qualen nach der OP allein gelassen.

Ein Eingriff mit fatalen Folgen

"Nichts in meinem Leben hat mich so aus der Bahn geworfen und mich so an die Grenzen meiner physischen und psychischen Belastbarkeit gebracht", berichtet die Autorin über die Nachwirkungen ihrer Kastration. Sie war erst vierzehn als ihr der erste Eierstock wegen einer gutartigen Zyste entfernt wurde. Der zweite, obwohl ebenfalls mit Zyste, wurde belassen. Beschwerden verursachte sie nicht. Bei einer Kontrolluntersuchung 27 Jahre später hieß es, die Zyste könne "von heute auf morgen entarten". Wenn sie nicht an Eierstockkrebs sterben wolle, sei eine Ovarektomie notwendig. Aus Angst vor Krebs ließ sie sich zur Operation überreden, den ExpertInnen vertrauend, sie hätte dann endlich Ruhe. Dass die Zeit der Ruhe auf die Narkose beschränkt bleiben und hormonell bedingte Beschwerden auftreten würden, wurde allerdings verschwiegen, genauso wie die Option einer Organ erhaltenden Operation. Erst später habe sie erfahren, dass die Wahrscheinlichkeit der Entartung der Zyste weniger als ein Prozent betrug.

"Ich sehnte mich nach dem absoluten Ende"

Nach der Operation wurde ihr "bis dahin glückliches Leben zum Drama". Durch den abrupten Hormonentzug war ihr dauernd schwindelig, starke Kopfschmerzen, Übelkeit und Schüttelfrost quälten sie: "Ich fühlte mich mehr tot als lebendig". Zusätzlich stellten sich sexuelle Unlust und Empfindungslosigkeit ein, ihre Libido schien sich in Luft aufgelöst zu haben. Anfangs versuchte sie, ihrem Mann im Bett etwas vorzuspielen, was nicht funktionierte. Verzweifelt über das Ausmaß ihrer Beschwerden rannte sie von einer ExpertIn zur nächsten, die große Probleme hatten, ihre Hormonersatztherapie richtig einzustellen. Bis sie den für sie passenden Präparatemix inklusive Testosteron gefunden hatte, vergingen Jahre.

Zu all den körperlichen Beschwerden, die Edith Schuligoi an den Rand des Erträglichen brachten, hatte sie noch unzählige beleidigende und ignorante Reaktionen der Ärztinnen und Ärzte zu verkraften: Sie solle sich "nicht so anstellen" und "nicht so zimperlich sein". Wenn es nicht anders ginge, müsse sie eben Psychopharmaka nehmen.

Kontakt mit Leidensgenossinnen

Erst durch Recherchen im Internet wurde ihr klar, dass sie kein medizinischer Ausnahmefall ist. In den Plattformen der Selbsthilfegruppen wimmelte es von betroffenen Frauen mit ähnlichen Erfahrungen, die alle über fehlende Aufklärung, mangelnde medizinische Betreuung und Symptome klagten. Von den beschriebenen Folgen der Kastration, ob durch Ovarektomie oder Hysterektomie, waren Wallungen, Schüttelfrost, Migräne, Mattheit und Schwindelgefühle noch die harmlosesten. Viele Frauen berichteten von plötzlicher Harninkontinenz, verändertem Körpergeruch, häufigen Pilzinfektionen, Blähungen, Durchfällen und Übelkeit, wobei die Störungen im Darmtrakt meist auf Verwachsungen infolge der Operation zurückzuführen sind. Doch auch Entzündungen der Nebenhöhlen, Schilddrüsen-Unterfunktion, Schlafstörungen, eine generelle Schwächung des Immunsystems und sogar Tinnitus wurden genannt.

Abrupte Menopause

Medizinisch lassen sich die vielfältigen Symptome leicht erklären. Befindet sich die Frau noch in der fertilen Phase – so wie es bei Edith Schuligoi und den anderen Betroffenen der Fall war – wird sie durch die operative Entfernung der weiblichen Keimdrüsen (Ovarien) quasi von einem Tag auf den anderen in die Menopause katapultiert. Dieser künstlich erzeugte Wechsel sei mehr als brutal, meint der Gynäkologe und Psychiater Sylvain Mimoun, weil der Körper keine Zeit habe, sich langsam auf die veränderte Situation umzustellen. Denn während sich im natürlichen Wechsel die Sexualhormone über Jahre hinweg verringern, wirkt die künstliche Menopause schockartig auf Körper und Psyche.

Mehr als nur Fortpflanzungsorgane

Die abrupte Menopause ist die eine Seite. Auf der anderen Seite sind Eierstöcke und Gebärmutter nicht nur für die Fortpflanzung zuständig. Sie erfüllen eine Reihe anderer Funktionen, die sich auf den gesamten Organismus auswirken. "Jedem Körperorgan ist in bestimmten Gehirnregionen ein Platz zugewiesen, dessen Zellen ständig mit dem Organ in Verbindung stehen und darüber hinaus alle Organe in einem komplizierten Netzwerk miteinander kommunizieren", erklärt die Gynäkologin Barbara Ehret. In diesem Prozess würden die Ovarien eine Sonderstellung einnehmen, indem sie die von ihnen produzierten Hormone, die jedes einzelne Organ über die Blutbahn erreichen, regulieren. Somit hinterlasse die Ovarektomie einen Defekt - nicht nur in den Geschlechtsorganen – sondern im gesamten Frauenkörper, mit Rückwirkung auf Hirnfunktionen und Psyche der Frau. Dass unter diesem Gesichtspunkt die weiblichen Organe noch immer allzu oft dem Skalpell zum Opfer fallen – vor allem wenn es leichtfertig, also rein präventiv und ohne tatsächliche lebensbedrohliche Notwendigkeit geschieht – kritisiert die Expertin.

"Wertlosigkeit" weiblicher Organe

Seit 2002 geht der Trend zur routinemäßigen Ovarektomie zwar zurück, auch bei Myomen an der Gebärmutter haben sich alternative Behandlungsmethoden etabliert. Doch noch immer sind laut internationaler Studien 60 bis 80 Prozent aller operativen Eierstock- und Gebärmutterentfernungen nicht unbedingt nötig, erklärt Sylvia Groth vom Grazer Frauengesundheitszentrum. Zur Klärung wie viele davon tatsächlich lebensnotwendig waren – und solche Fälle gibt es natürlich – fehle jedoch eine deutliche Gegenüberstellung von Risiken und Nutzen, kritisiert Schuligoi. Indem man die Frauen beschwichtige, die Kastration sei ein harmloser Eingriff, der ihrer Gesundheit diene und nach dem sie nichts mehr zu befürchten hätten, führe man sie in die Irre und produziere unnötiges Leid. Nicht zuletzt sei es auch eine kulturelle Frage, wenn die Medizin den Standpunkt vertritt, eine Frau könne sich ruhig "ausräumen lassen, weil man das da unten eh nicht braucht". Wie sonst wäre eine derartige Ignoranz und nahezu willkürliche Praktizierung von Totaloperationen erklärbar, fragt die Gynäkologin Barbara Ehret, die sich in Deutschland seit den 1980ern gegen vorschnelle Gebärmutter- und Eierstockentfernungen einsetzt. Die Missachtung weiblicher Organe stehe daher mit falschen Informationen und der unzureichenden Ausbildung des Medizinpersonals – auch hinsichtlich psychologischer Aspekte - in engem Zusammenhang.

Prävention durch Information

Beschämende Fakten, die zeigen, wie viel Aufklärungsarbeit für Ärztinnen und Ärzte noch nötig ist. Gleichzeitig wird es immer dringender, die propagierte Werbung, wie sehr heute auf Patientinnen im Sinne einer holistischen Betrachtungsweise des Menschen eingegangen werde, auch tatsächlich zu realisieren. Doch auch auf Seite der Frauen selbst sollte es selbstverständlich sein, sich gut zu informieren und sich grundlegendes Wissen über den Körper und seine Funktionen anzueignen. Nicht erst dann, wenn eine Diagnose vorliegt, sondern prinzipiell, um im Falle des Falles als mündige Patientin selbstbestimmt auftreten und entscheiden zu können. Vor allem sollten Frauen wissen, dass eine Organentfernung die wirklich allerletzte Option ist.

Edith Schuligois Buch war schon lange überfällig, weil es den Betroffenen der Frauenkastration erstmals eine Stimme gibt und Frauen, die vor einer Operationsentscheidung stehen, wertvolle Informationen bietet. Deshalb sei es Frauen jeden Alters ans Herz gelegt, und auch allen in diesem Bereich tätigen Fachpersonen empfohlen. (Dagmar Buchta, dieStandard.at, 23.6.2013)