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Aus dem Innviertel in den Untergang: Jägerstätter (Gregor Bloéb, Mi.) mit Frau (Gerti Drassl). 

Foto: APA/HANS KLAUS TECHT

Wien - Es liegt eine rätselhafte Unausweichlichkeit im Werdegang des Franz Jägerstätter. Das Leben des Bauern aus Sankt Radegund verfällt 1943 dem Beil der NS-Gerichtsbarkeit. Jägerstätter weigert sich standhaft, als Wehrmachtssoldat an Hitlers Vernichtungskrieg teilzunehmen. Als Entscheidungsgrundlage dient ihm sein christliches Gewissen. Kein Gedanke an Frau und Kinder kann ihn wankend machen oder umstimmen. Felix Mitterers Theaterchronik Jägerstätter wirft ein gleichbleibend helles Licht auf ein unzugängliches Geheimnis.

Und doch hätte auch manches ganz anders kommen können. Im Wiener Josefstadt-Theater, wo Stephanie Mohr die Uraufführung sachlich, klar und kunstfertig inszeniert hat, fällt das Beil akustisch herab. Der eiserne Vorhang ist bis in Hüfthöhe hochgezogen, die Gemeinschaft der Bauern verteilt sich in einer holzgetäfelten Stube (Bühne: Miriam Busch). Ein Brief liegt auf dem Boden. Er enthält die Nachricht vom Vollzug der Hinrichtung in Berlin.

Franziska Jägerstätter (Gerti Drassl) zieht das Schreiben des Gefängnispfarrers unendlich langsam aus dem Umschlag heraus. Es steckt eine unversöhnliche Zumutung in Jägerstätters Verhalten. Die Modellhaftigkeit seines Widerstandes richtet sich am schärfsten gegen die ihm Liebsten: seine stille, starke Frau, die er zur Witwe macht, die Kinder, die zu Waisen werden.

Vor allem aber ist sein Märtyrertod ein "Affront" gegenüber hunderttausenden Altersgenossen. Äußerlich unterscheidet den Einzelgänger nichts von den anderen. Fast unmerklich schält sich die Figur des Jägerstätter (Gregor Bloéb) aus der Gemeinschaft der Bauern hervor. Seine herbe, stolze Mutter (Elfriede Schüsseleder) wacht über ihn und die Verwaltung seines Lebens. Ein uneheliches Kind mit Theresia (Michaela Schausberger) bringt ihn an den Rand einer ungewollten Ehe.

Sympathisch aufbrausend

Bloéb lässt die Anlagen zu einer Durchschnittsexistenz aufblitzen. Dieser ein wenig linkische, steife Mann fällt aus seinem Milieu nicht heraus. Er ist sympathisch aufbrausend. Wer ihn einen "Hendlbauern" schimpft, erhält prompt eine aufs Maul. Die Werbung um die Kellnerin Franziska lebt von seiner Offenheit. Die könnte man zur Not auch als Mangel an Fantasie deuten. Die "Weiberleut'" gelten ihm gleichviel. Jägerstätter wird dennoch ein Herzeigebauer. Man trägt ihm das Bürgermeisteramt an. Er keppelt auf die Nazis. 1938 passiert es. Er ruht so lange nicht, bis auch wirklich ein jeder weiß, dass er gegen den Anschluss votiert hat.

Karg und schlank zeichnet Mohr die Stationen des nun folgenden Passionsweges. Mit sinnfälligen Mitteln wird die Gleichschaltung des " Volkskörpers" anschaulich gemacht. Die Aufforderungen zur Stellung segeln wie Laub aus dem Schnürboden. "Einrücken", zischt der Chor der Dörfler, und Jägerstätter brüllt los wie ein verwundetes Tier.

Franziska aber hält ihn fest. Sagt: "Tu, wie du musst. Ich steh zu dir." Von nun an lebt die Witwe in spe ein isoliertes Leben auf der Galerie. Sie schält Rüben und affichiert das Bild der realen Persönlichkeit Jägerstätters an der Wand. Immer wieder springt die Inszenierung in die Zeichenhaftigkeit hinüber, öffnet Räume der Empfindsamkeit, ohne jemals rührselig zu werden.

Manchmal erweckt Bloéb den Anschein, als wäre ihm als einfachem, jedoch nie einfältigem Menschen sein eigenes, störrisches Verhalten selbst das größte Rätsel. Den Linzer Bischof (Peter Scholz) beschämt er. Die Liebenswürdigkeit des Stellungsbeamten (Peter Drassl) macht er zunichte. Voller Bitterkeit zertrümmert die Mutter (Schüsseleder) einen Kohlkopf auf dem Hackstock. Ihr Franz ist ein Skandal. Er selbst weiß das am besten. Und mit seiner vor Angst und Inbrunst glühenden Darstellung überschreitet Gregor Bloéb Grenzen, zumindest auch solche, die man seinem Talent gesetzt glaubte.

Einhelliger Jubel für ein Kunststück, das ab 3. Juli nach Haag übersiedelt. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 22./23.6.2013)