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Der Niederösterreicher Jürgen Melzer weiß, dass er immer noch in der Lage ist, die Gegner zumindest zu fordern.

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Wien/London - Jürgen Melzer hat gelernt, die Langsamkeit zu akzeptieren. Um ihn zu kennen, sagt er, "muss man mich erst kennenlernen. Ich bin ganz anders, als viele glauben." Der 32-Jährige fühlt sich mitunter missverstanden, das ärgert ihn zwar immer seltener, aber oft genug. 2011 ist er die Nummer acht im Tennis gewesen, er hätte mehr Anerkennung und Respekt erhofft. "Denn es war extrem viel Aufwand dabei, ich musste meine Grenzen überschreiten. Das hat Energie verbraucht." Ab und zu hat das österreichische Fernsehen Matches live übertragen, blöderweise hat er diese oft deutlich verloren. "Ich zählte leider nie zu den konstanten Spielern, war diesbezüglich unzuverlässig." Seine Körpersprache sei nicht gerade vom Feinsten, trage kaum zur Steigerung der Popularität bei. "Ganz ehrlich. Auf dem Tennisplatz schau ich manchmal wirklich deppert drein." In diversen Internetforen bekommt er das und mehr zu lesen, der Tiefe sind keine Grenzen gesetzt. "Diese Anfeindungen sind würdelos."

Melzer weilt in Wimbledon, einer würdevollen Stätte. Er bereitet sich auf den am Montag beginnenden Klassiker vor. Der Italiener Fabio Fognini wurde ihm zugelost. "Machbar, aber schwierig." Melzer hat vergessen, " was ein leichter Gegner ist". Er selbst ist das Gegenteil von pumperlgesund, ein Leistenbruch wurde diagnostiziert. Deshalb schmerzt die Hüfte. Seit Monaten. "Halb so schlimm, es hängt kein Darm raus. Der Bruch ist acht Millimeter breit, drückt auf den Nerv." Nach Wimbledon wird operiert, nach der Operation Tennis gespielt. "Ich höre immer noch gerne die Worte: Game, Set and Match Melzer. Deshalb spiele ich."

Realismus

Die Bilanz in dieser Saison ist mäßig - 14 Siege, 17 Niederlagen. Er ist trotzdem die Nummer 36, der Computer lässt sich beim Erstellen der Listen Zeit. Melzer ist realistisch, lügt sich nicht in den eigenen Leistenbruch. "Die Luft nach oben wird dünner." Der Körper habe ein Recht zu ermüden. "Die Öffentlichkeit glaubt, ich suche nach Ausreden. Fakt ist, dass ich definitiv mehr trainiert habe als je zuvor. Ich muss den Lauf der Zeit akzeptieren. Der körperliche Verschleiß ist das größere Problem als der psychische."

Melzer ist glücklich. 2012 hat er die ehemalige tschechische Tennisspielerin Iveta Benesova geheiratet, ein einschneidendes Ereignis. " Die ewige Suche hat ein Ende gefunden." Normalerweise lässt er das Private privat sein, "aber das kann man ja sagen". Ist man Profisportler, hat eine innere Zufriedenheit auf den Beruf keine gravierenden Auswirkungen. Vor allem ab einem gewissen Alter. "Auch ein glücklicher Mensch leidet im Training. Speziell, wenn er immer wieder durch Verletzungen Rückschläge erleidet."

Geduld

Womit er wieder bei der Langsamkeit angelangt ist. "Ich habe gelernt, geduldig zu sein." Sein um fast zehn Jahre jüngerer Bruder Gerald spielt auch professionell Tennis, der alte Melzer sagt: "Wir haben ein super Verhältnis. Er stellt mir Fragen, hört mir zu, geht seinen Weg. Ich traue ihm die Top 100 zu." Gerald ist die Nummer 237. "Er muss ebenfalls eine Art Langsamkeit akzeptieren, der dritte Schritt kommt nicht vor dem zweiten."

Jürgen Melzer hat vier Turniere gewonnen, mehr als acht Millionen Dollar Preisgeld verdient. Er hätte nichts dagegen, "das Gefühl, den Pokal in der Hand zu halten, noch einmal zu erleben." Über die Krise und Leere im österreichischen Tennis möchte er sich nicht auslassen, was nur bedingt daran liegt, dass sein Manager Ronald Leitgeb auch Verbandspräsident ist. "Wir haben in diesem Sport keine Tradition." Thomas Muster sei quasi ein Zufall gewesen. "Für mich war er zunächst ein Ansporn, später eher eine Last. Ich wurde mit ihm verglichen. Dafür kann aber Muster nichts."

Melzer weilt also in Wimbledon. "Keine Ahnung, wie oft ich hier schon gespielt habe." Nachhilfe: Es ist jetzt das 13. Mal. Dass er 1999 den Juniorenbewerb gewonnen hat, weiß er, ein Leistenbruch ist nämlich keine Demenz. Er favorisiert Novak Djokovic und Andy Murray, "mein sentimentaler Favorit ist natürlich der ewige Roger Federer". Im Fußball hat sich Melzer Erfolgserlebnisse geholt. Er ist Fan von Bayern München, das Triple, also den Gewinn von Champions League, Meisterschaft und Cup, macht ihm so schnell keiner nach. "Super."

Wie und wann die Karriere endet, darüber macht er sich kaum Gedanken. " Ich höre im Einzel dann auf, wenn ich nicht mehr trainieren kann oder will." In Wimbledon möchte er zumindest einmal "Game, Set and Match, Melzer" hören. "In Wahrheit habe ich vieles richtig gemacht." Dass er auf dem Platz ab und zu deppert dreinschaut, wird keine Folgen haben. Das österreichische Fernsehen sendet nicht. (Christian Hackl, DER STANDARD, 22.6.2013)