Wie ein riesiger Krake überragt das große weiße Haus das kleine gelbe Haus. Der Abstand zwischen den Mauern beträgt an einer Stelle nur 14 Zentimeter. Wenn man aus dem Fenster des kleinen gelben Hauses schaut, sieht man auf eine Wand.
Das "Zimmer ohne Aussicht" ist in Albanien leider keine Seltenheit. In den vergangenen Jahren hat vor allem in den Küstenstädten Vlora und Durres ein enormer Baumboom jegliche Stadtplanung untergraben. Viele Häuser wurden illegal gebaut. Für Bewilligungen wird oftmals geschmiert, erzählen die Leute.
Erfolgloser Prozess
Der Besitzer des kleinen gelben Hauses, Ndricim Metaj, prozessiert seit 2009 erfolglos gegen den Bau des weißen Hauses. Der Fall liegt nun beim Obersten Gerichtshof. Laut Bauvorschriften müsste das Nachbarhaus mindestens acht Meter von seinem Haus entfernt sein.
Die dubiose Baugenehmigung sah noch eine Entfernung von 2,4 Metern vor, doch auch diese wurde nicht eingehalten. An einer Stelle stößt das Haus praktisch an die Dachrinne von Herrn Metajs Haus. Genehmigt wurden ursprünglich vier Stockwerke, heute ist das weiße Haus aber acht Stockwerke hoch.
Häuser wachsen lassen
"Die lassen die Häuser wachsen, dann kann man sie nicht mehr abreißen", erklärt Doriana Sulaj vom Stadtplanungsbüro Vlora die Strategie der Investoren. In anderen Küstenorten wurden illegale Häuser mit dem Bagger weggeschoben. Nicht so in Vlora.
"Wir können das nicht machen, weil ja Leute in diesen Häusern wohnen", so Sulaj. Laut einem erstinstanzlichen Urteil hätte der Nachbar das Haus zumindest so versetzen müssen, dass ein Meter Abstand besteht. Doch auch das geschah nie. Immerhin wurde jene Beamtin, die für die Baubewilligungen zuständig war, wegen Amtsmissbrauchs verurteilt.
Sieben Paragrafen verletzt
Herrn Metaj zufolge wurden insgesamt sieben Paragrafen verletzt. "In Albanien gewinnt der, der mehr Geld an die Richter zahlt", resümiert er frustriert. Das Zimmer ohne Aussicht kann man somit auch als Symbol für den aussichtslosen Kampf gegen die Korruption in Albanien sehen.
"Wir haben einen zu schwachen Staat", sagt auch die Beamtin Sulaj. Bisher würden sich die Bundesebene und die lokale Ebene gegenseitig in der Stadtplanung blockieren, weil sie jeweils von einer anderen Partei dominiert werden, erklärt Sulaj. Sie hofft auf ein Ende der Pattstellung in Vlora nach den Wahlen diesen Sonntag.
Baustopp seit zwei Jahren
Auf einem Computerplan zeigt sie viele Häuser, die durchgestrichen sind. Diese Häuser müssten eigentlich weggeräumt werden, weil sie illegal erbaut wurden. Seit zwei Jahren darf in Vlora ohnehin gar nicht mehr gebaut werden.
"Bereits 2008 hat man festgestellt, dass doppelt so viele Appartments wie benötigt genehmigt wurden", erzählt Sulaj. Doch noch immer entstehen neue Ferienwohnungen am Berghang hinter dem Strand. Und das, obwohl viele leerstehen. Die Preise sind gefallen. (Adelheid Wölfl aus Vlora, DER STANDARD, 22./23.6.2013)