Vergangenes Jahr krachte es zwischen Google und Acer. Der taiwanische Hardwareproduzent war damals dabei, sein Angebot für chinesische Nutzer auszuweiten und kurz davor, ein Smartphone unter dem Titel "CloudMobile" vorzustellen.
Google erzürnt über Aliyun OS
Das Gerät hätte mit Aliyun OS als Betriebssystem ausgeliefert werden sollen. Dieses stammt vom E-Commerce-Riesen Alibaba und soll laut Google ein inkompatibles Derivat von Android sein – was von Alibaba prompt zurückgewiesen wurde. Google drohte Acer mit dem Ausschluss aus der Open Handset Alliance und so blies das Unternehmen den Launch des Cloudmobile schließlich ab.
Ein schwerer Schlag für Alibaba, wo man durch die Zugkraft von Acer auf großen Zulauf gehofft hatte, denn Aliyun OS war damals auf nur einer Million Geräten installiert – was für einen riesigen Markt wie China wenig ist.
Gelungenes Design
Mittlerweile gibt es eine Reihe von Geräten, darunter auch von Riesen wie Lenovo, die das System unterstützen. Der Webstandard hat einen ausführlichen Blick auf den chinesischen Android-Konkurrenten geworfen.
Und der präsentiert sich auf den ersten Blick ordentlich. Hinter einem schicken Lockscreen steckt ein System mit einfach gehaltener, schicker Designsprache. Diese gibt sich vor allem in den Default Apps zu erkennen, auch wenn sie nicht immer hundertprozentig kohärent umgesetzt wird. Dominiert wird der Stil von in hellen Tönen gehaltenen, einfarbigen Flächen mit simplen Icons und Trennlinien. Für verschiedene Geschmäcker stehen eine Reihe von Themes zur Verfügung.
Default Apps: Pflicht erfüllt
Aliyun OS steht aktuell in Chinesisch und Englisch zur Verfügung. Zur Standardausrüstung gehören der App Store, ein E-Mail-Client, ein Cloud-Notizprogramm, der Kalender, ein Kartendienst, eine Navigations-App, der Bezahldienst AliPay sowie Zugang zu den Händlern Tmall und Taobao. Auch Galerie. Musik-Store, Videoplayer und Browser dürfen nicht fehlen.
Solide Umsetzung
Der Kalender ist angenehm aufgeräumt und erscheint ein bisschen wie eine Mischung aus dem mobilen Google-Kalender und dessen Pendant aus Windows Phone. Die Mail-App ist ebenfalls schön aufgeräumt, kann mit dem Featureumfang von Gmail aber nicht konkurrieren. Sie ist automatisch an den eigenen Aliyun-Account angebunden, kann aber auch Konten von anderen Diensten abrufen – darunter auch Gmail.
"Notes" erinnert wiederum mehr an "S Note" denn an Google Keep und beherrscht Notizen in Text, Bild und als Audioaufnahme. Auch hier werden die Inhalte über die Cloud von Alibaba synchronisiert. Die Kamera-App scheint ebenfalls von Samsung inspiriert zu sein. Eine nette Idee ist Phone Care. Diese App bietet neben der Speed Up-Funktion auch Einstellungen zum Schutz vor Phishing, eine Möglichkeit zur Blockierung bestimmter Telefonnummern und andere hilfreiche Dinge.
Ähnlich sich Android umfassend verschiedener Google-Dienste bedient, nutzt dieses System jene von Alibaba. Passend dazu wurde der Name auch gewählt, ist doch "Yun" der chinesische Begriff für "Wolke". Zugang zu den Basisdiensten erhält man über eine kurze Registrierung. Für mehr Umfang (darunter eine Aufstockung des Cloudspeichers) muss allerdings die Telefonnummer verifiziert werden. Das scheint derzeit nur für chinesische Nutzer möglich zu sein.
Store und Co. mit China-Zuschnitt
Das System wirkt ausgesprochen ausgereift und komplett, an vielen Ecken und Enden merkt man jedoch, dass das Hauptaugenmerk trotz der Verfügbarkeit englischer Systemsprache darauf liegt, chinesische Nutzer zufrieden zu stellen.
Da wäre etwa der App-Store, der fast ausschließlich chinesische Software in entsprechender Beschriftung anbietet. Geklaute Google Apps sind dort nicht zu finden, jedoch manch andere Software (z.B. Temple Run 2), die eigentlich für Android erschienen ist und deren Entwickler vermutlich nichts von ihrer Präsenz in diesem Angebot wissen.
Streamen und Speichern
Die Musik-App ermöglicht lokales Musikmanagement und ist an den Dienst "Xiami" angeboten. Die dort zu findende Musik lässt sich kostenlos streamen, das recht groß wirkende Angebot umfasst allerdings nur chinesische Künstler. Nett: Für die Offline-Nutzung können die Lieder auch auf den lokalen Speicher heruntergeladen werden. Ob es eine nach Zeit oder Volumen begrenzte Nutzung gibt, war nicht erörterbar.
Auch der Videoplayer kann auf Online-Inhalte zugreifen. Diese integrieren faktisch Apps für die chinesischen Plattformen Sohu und Wasu. Die Nutzbarkeit hält sich in Grenzen, weil deren Angebot und Menüführung ebenfalls in Landessprache gehalten ist.
Navigation, Kontaktmanagement, Browser
Ebensowenig Freude hat man als europäischer User mit dem Karten- und Navigationsservice, die beide ebenfalls nur in Chinesisch verfügbar sind. Das Kartenmaterial umfasst China vollständig und Teile von Ost- und Südostasien rudimentär.
Telefonkontakte können ebenfalls auf Wunsch auf den Alibaba-Servern hinterlegt und von diesen synchronisiert werden. In den Telefoniegrundfunktionen gibt es keine nennenswerten Unterscheidungen zu den etablierten mobilen Betriebssystemen.
Der Browser ähnelt designtechnisch stark dem Baidu Explorer, liefert aber einen schlechteren Wert (412 zu 482) im HTML5-Test ab. Ansonsten präsentiert er sich als flottes und gut zu bedienendes Surftool. Als Standardsuchmaschine ist wenig überraschend Alibabas eigener Dienst eingestellt.
Licht und Schatten beim Interface
In Sachen Interface bietet AliyunOS ein paar nette Kniffe. Alle wichtigen Kurzeinstellungen lassen sich direkt in der Notification Area vornehmen, ähnlich wie das manche Oberflächen für Android zulassen. Dazu gehört auch ein "Speed Up"-Button, der alle für den Systembetrieb nicht relevanten Apps schließt. Der Taskmanager ist ebenfalls ins Benachrichtigungsareal eingebunden, der einen schnellen Wechsel zwischen offenen Apps oder deren Schließung erlaubt.
Dafür gibt es keinen klassischen Appdrawer. Alle Anwendungen verteilen sich über die drei Homescreens und können nicht gelöscht, sondern nur umständlich umsortiert werden. Ordner kennt das System ebensowenig wie Widgets – die Uhr am ersten Startbildschirm wird permanent eingeblendet. Bei sehr vielen Anwendungen wird es ohne alternativer Oberfläche garantiert unübersichtlich.
Schwach aufgestellt ist das System außerdem im Teilen von Inhalten. Das geht – je nach App – aktuell nur über MMS, E-Mail oder Bluetooth. Eine direkte Einbindung von Messengerdiensten in Galerie und Co. scheint es noch nicht zu geben.
Die Android-Frage
Die Frage, wie viel Android in AliyunOS steckt, lässt sich nicht präzise beantworten. Beide Systeme sind in Sachen Ordnerstruktur praktisch ident aufgebaut. Das Android Framework ist klar im System verankert, soll aber laut Alibaba nur für App-Kompatibilität genutzt werden.
Und in der Tat lassen sich viele Android-APKs ohne Murren installieren und laufen großteils auch. Überraschenderweise gilt das auch für Google Maps, wo selbst die Turn-by-Turn-Navigation genutzt werden konnte. Ob sich dies bei einem angeblich von Android unabhängig entwickelten System so einfach bewerkstelligen lässt, sei dahingestellt. Aliyun selbst verwendet ein eigenes Installer-Format mit der Endung .LAR.
Sollte Aliyun OS entgegen der Aussagen des Konzerns auf Android basieren, so verstößt es gegen geltende Lizenzen, da auf Android basierende Systeme quelloffen sein müssen. Der Source Code von Aliyun OS ist jedoch nicht öffentlich zugänglich.
Fazit: Solider Anfang
Was als Eindruck bleibt, ist ein solide ausgearbeitetes mobiles Betriebssystem mit unübersehbaren Ähnlichkeiten zu Android, manchen netten Abweichungen aber auch Interface-Defiziten. Bei den Grunfunktionen muss sich das System nicht vor der Konkurrenz verstecken, im Gesamtumfang hinkt es noch hinterher. Für Nutzer außerhalb von China ist das Vergnügen endlich, da trotz englischer Systemsprache manche wichtigen Apps und praktisch alle Store-Inhalte nur in Chinesisch zu haben sind oder nur innerhalb von Chinas funktionieren.
Die Perspektive in China ist freilich eine andere. Google steht nach wie vor nicht im besten Verhältnis zur Pekinger Regierung. Dementsprechend sind viele Dienste blockiert und bestenfalls auf Umwegen zugänglich. Kein Wunder, dass Android-Appstores von Dritten eifrig genutzt werden. Trotzdem ist das System iOS und Co in puncto Verbreitung weit voraus.
Alibaba vs. Google – Ein Spiel auf Zeit
Für Alibaba könnte sich mit Aliyun OS aber langfristig eine Nische auftun, wenn genügend Hersteller mitspielen. Was für inländische Firmen deutlich leichter ist, als für potenzielle Zugpferde aus dem Ausland.
Alibabas Plan scheint es zu sein, sich als nationale Alternative zu Google platzieren zu wollen. Dementsprechend lassen sich die Anstrengungen in Richtung Clouddienste jedenfalls deuten – woran die Machthaber eher Gefallen finden dürften, als an der Dominanz eines US-Konzerns.
Ob der Plan aufgeht oder Google einen Weg findet, seine zahlreichen Dienstleistungen in China zu etablieren, wird sich in den kommenden Jahren weisen. (Georg Pichler, derStandard.at, 05.08.2013)
Hinweis im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Für den Test wurde das Zopo C2-Smartphone als Plattform herangezogen. Dieses wurde uns vom Händler Zopo Germany zur Verfügung gestellt.