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Lacht oft und gerne und geht offen auf die Menschen zu: Franziskus bei seiner jüngsten Audienz auf dem Petersplatz.

Foto: Reuters/Rellandini

Der Wecker läutet täglich um 4.45 Uhr. Draußen ist es noch dunkel, wenn Jorge Mario Bergoglio mit seiner einstündigen Meditation beginnt. Seine 90-Quadratmeter-Suite im vatikanischen Gästehaus Sanctae Marthae wirkt einfach und zweckmäßig. Ein Wohnraum mit Bücherschrank, Sofa und einigen Sesseln, in dem er auch prominente Gäste wie die argentinische Präsidentin Cristina Kirchner oder EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso empfängt. Ein nüchternes Büro mit Schreibtisch und großem Kruzifix, ein Schlafzimmer mit antikem Holzbett. Dazu ein Bad, eine Garderobe, ein Kühlschrank und viel unfreundliches Neonlicht.

Franziskus verabscheut jede Form von Prunk. Dem Schweizer Gardisten, der vor seiner Suite mit der Nummer 201 im zweiten Stock wacht, schiebt der Heilige Vater zum Ausruhen einen Stuhl vor die Tür. Seine Entscheidung, als erstes Kirchenoberhaupt nicht im Apostolischen Palast zu leben, begründet er vor Jesuitenschülern mit seiner Psyche: "Ich muss von Menschen umgeben sein. Einsamkeit tut mir nicht gut." Der Papst scherzt und lacht mit den Schülern, die ihn duzen und ihm jede beliebige Frage stellen dürfen.

Franziskus mischt sich liebend gern unters Volk. Wie ein gewöhnlicher Gast schiebt der Heilige Vater in der als anspruchslos bekannten Mensa des Priesterhotels sein Tablett vor sich her und setzt sich, wo gerade ein Platz frei ist. Die verpönten päpstlichen Gemächer betritt er nur sonntags, um am Fenster zum Petersplatz den Angelus zu beten und die Gläubigen zu segnen. Die Kontinuität mit seinem Vorgänger beschränkt sich auf blau-weiße Fahnen, die jetzt nicht mehr von Bayern, sondern von Argentiniern geschwungen werden. Die Rolle des polyglotten Theologen liegt Franziskus nicht, der sich nie als Papst, sondern als Bischof von Rom bezeichnet.

Keine Kontaktscheu

Während Joseph Ratzinger freundlich lächelte, lacht Bergoglio oft und gerne. Er liebt den Körperkontakt, umarmt und küsst Menschen ohne Scheu. Seine Botschaften lassen an Klarheit nichts zu wünschen übrig: "Wenn es den Banken heute schlecht geht oder die Kurse ein bisschen abstürzen, dann schreien alle: 'Oh, was für eine Tragödie, was sollen wir jetzt tun?' Wenn aber Menschen und Kinder hungern oder krank sind - dann passiert nichts. Das ist die Krise, die wir heute haben."

Bergoglios bisheriges Pontifikat hat hohe Erwartungen einer tiefgreifenden Kirchenreform geweckt und Probleme verdrängt, die dem Vatikan noch vor wenigen Monaten arg zu schaffen machten: Vatileaks, die Intrigen und Machtkämpfe in der Kurie, der lädierte Ruf der Vatikanbank IOR. Aufhorchen ließ vergangene Woche Bergoglios Eingeständnis, dass es im Vatikan "neben sehr vielen guten Leuten" auch "Korruption" und eine " Schwulen-Lobby" gebe.

"Homosexuelle Seilschaften"

Auf Details ging der Papst im Gespräch mit lateinamerikanischen Ordensvertretern nicht ein. Über die Existenz "homosexueller Seilschaften" in der römischen Kurie hatten italienische Medien bereits im Vorjahr berichtet - unter Bezug auf den Bericht der dreiköpfigen Kardinalskommission, die von Benedikt XVI. beauftragt wurde, die Hintergründe der Vatileaks-Affäre auszuleuchten.

Bringt Jorge Mario Bergoglio nun die Kraft auf, die schon vor tausend Jahren von Gregor VII. zum Herrschaftsapparat ausgebaute Kurie zu reformieren und ihre Lobbys zu entmachten? Franziskus hat gezeigt, dass er ein begnadeter Seelsorger ist. Ob er ein ebenso entschlossener Reformer ist, muss er noch beweisen. Er sei "schlecht organisiert" und " verwalterisch unbegabt", gesteht der Papst. Deshalb habe er acht Kardinäle aus allen Kontinenten ersucht, Vorschläge zur Reform der Kurie auszuarbeiten.

Reform der Vatikanbank

Indiskretionen zufolge plant Franziskus noch vor dem Sommer auch eine Reform der Vatikanbank IOR. Als ersten Schritt ernannte er Battista Ricca zum Prälaten des Instituts, eine Art Verbindungsmann zwischen dem leitenden Kardinalskollegium und dem Bankmanagement. Ricca ist Verwalter der päpstlichen Beherbergungsbetriebe und sitzt oft beim Abendessen am selben Tisch mit Bergoglio. In der Skandalbank hat er nun die Rolle eines kommissarischen Verwalters inne.

Italienische Medien erwarten eine "radikale Reform" des Geldinstituts, dessen durch zahlreiche Skandale ramponierter Ruf aufgebessert werden soll. Verkündigung müsse "mit Armut einhergehen", nahm Jorge Mario Bergoglio letzte Woche den Geist der Reform vorweg: "Der heilige Petrus hatte schließlich kein Bankkonto." (Gerhard Mumelter, DER STANDARD, 22.6.2013)