Andrej Sannikov: Sanktionen gegen das Regime und direkte Hilfe für das Volk.

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Der Friedenspreis des deutschen Buchhandels für die weißrussische Literatin Swetlana Alexijewitsch rückt das diktatorisch regierte Weißrussland wieder in den Fokus. Mit dem ehemaligen Präsidentschaftskandidaten und Oppositionellen Andrej Sannikov sprach Ingo Petz.

STANDARD: Sie sehen wesentlich besser aus als nach Ihrer Entlassung aus dem Gefängnis im April 2012. Wie geht es Ihnen, und wie lebt es sich in London, wo Sie seit Oktober 2012 wohnen?

Sannikov: Wer einmal in einem weißrussischen Gefängnis war, wird diese Erfahrung wohl nie mehr ganz los. Ich war gezwungen, meine Heimat zu verlassen. Und glauben Sie mir - das war eine unglaublich schwierige Entscheidung. In London lebe ich mit dem, was in Belarus (Weißrussland, Anm.) passiert. Ich versuche, eine Antwort auf die wichtigste aller Fragen zu finden: Wie lässt sich die Situation in Belarus endlich verändern?

STANDARD: 2010 waren Sie Präsidentschaftskandidat. Es waren Wahlen, die für viele Beobachter in einer für Belarus ungewöhnlich offenen Atmosphäre stattfinden konnten. Der Wahltag, der 19. Dezember 2010, zerstörte die Illusionen. Sie und acht weitere Präsidentschaftskandidaten wurden verhaftet, zusammen mit den 700 Menschen in den nächsten Tagen. Wie erklären Sie sich diesen Schlag von Präsident Alexander Lukaschenko heute?

Sannikov: Lukaschenko hatte die Wahlen verloren. Erst kürzlich habe ich erfahren, dass Umfragen ihn im August 2010 bei nur 30 Prozent gesehen haben, noch bevor der offizielle Wahlkampf überhaupt begonnen hatte, den die Opposition für sich entscheiden konnte. Es hätte einen zweiten Wahlgang geben müssen. Die friedliche Demonstration am Abend des 19. Dezember 2010 verstärkte die Angst des Diktators. Bei einer weiteren Liberalisierung hätte er sich niemals an der Macht halten können. Also hat er den Weg der Repression gewählt.

STANDARD: Es gab seit dem Vorjahr ein paar halbherzige Versuche des Regimes, den "Dialog" mit der EU wiederherzustellen. Wie bewerten Sie die Politik der EU gegenüber Belarus, seitdem Lukaschenko wieder stärker mit Repression regiert?

Sannikov: Für den auswärtigen Beobachter mag dies tatsächlich eine Veränderung in der Politik Lukaschenkos gewesen sein. Der Diktator aber denkt in keiner Weise an eine Liberalisierung. Immer wenn die Beziehungen zum Westen auf Eis liegen, nutzt er diesen Moment, um Miliz, Sicherheitskräfte und Armee stärker an sich zu binden. Mir scheint, dass vor allem die Geschäfts- und Wirtschaftsleute die EU drängen, die Beziehungen mit der weißrussischen Diktatur zu verbessern. Nach den Massenverhaftungen im Dezember 2010 hat die EU Sanktionen verhängt. Diese Position hielt bis Anfang 2012. Dann ließ die EU durchblicken, dass sie wieder an einem Engagement in Belarus interessiert sei. Und zu jener Zeit machte Lukaschenko keine Anstalten, ein positives Zeichen zu setzen. Die Menschenrechtslage hat sich immer weiter verschlechtert. Vor diesem Hintergrund streckt die EU dem Diktator die Hand entgegen? Ich meine: Wo ist denn da bitte die Logik?

STANDARD: Ein anderer ehemaliger Präsidentschaftskandidat, Alexander Milinkewitsch, meinte jüngst, die Wiederherstellung eines Dialogs könne nützlich für die Demokratisierung Weißrusslands sein.

Sannikov: Seit 19 Jahren beweist Lukaschenko, dass es mit ihm keine Demokratisierung oder Liberalisierung geben kann. Die EU hat genügend Möglichkeiten auf verschiedenen Ebenen, die Situation in Belarus zu beeinflussen. Während der Regierungszeit von Lukaschenko wurde die EU signifikant erweitert. Seit 2004 liegen wir an der Ostgrenze der EU. Der Handel hat seitdem zugelegt, die europäischen Investitionen in Belarus haben zugenommen. Da können Sie mir doch nicht erzählen, dass die EU keine Instrumente hat.

STANDARD: Was schlagen Sie vor?

Sannikov: Man sollte positive Maßnahmen ergreifen, die sich direkt an unser Volk richten. Ich bin sehr dafür, dass die EU die Visumspflicht erleichtert, die Ausbildungs- und Reisemöglichkeiten für junge Belarussen erhöht. Die Angehörigen und Familien der politischen Gefangenen müssen unterstützt werden, wie auch die unabhängigen Medien.

STANDARD: Würde eine härtere Gangart der EU das Regime nicht noch weiter in Richtung Russland und Putin treiben?

Sannikov: Lukaschenko selbst war es, der die Abhängigkeit von Russland verstärkt und intensiviert hat. Und diese Abhängigkeit verstärkt sich auch dann, wenn die EU eine Politik des Engagements gegenüber Lukaschenko betreibt. Meiner Meinung nach ist Russland doch selbst an einem "Dialog" zwischen der EU und dem Diktator interessiert, damit es nicht alleine die indirekten wirtschaftlichen Kosten der Diktatur tragen muss. Denn für Russland ist diese Diktatur auch sehr teuer.

STANDARD: Auf dem EU-Osteuropa-Gipfel im November in Vilnius wird Weißrussland ein großes Thema sein. Welche Botschaft haben Sie für die politischen Führer der EU?

Sannikov: Man kann eine "Zuckerbrot und Peitsche"-Politik verfolgen, nur auf eine andere Weise: "Die Knute" für den Diktator und Hilfsmaßnahmen für das belarussische Volk, für die Opposition, für die Zivilgesellschaft und die unabhängige Presse. (Ingo Petz, DER STANDARD, 22.6.2013)