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Travon Martin (hier auf einem Bild, das seine Familie zur Verfügung gestellt hat) war im Februar 2012 vom freiwilligen Wachmann George Zimmerman erschossen worden.

Foto: AP/Martin Family

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Bei der Auswahl der Geschworenen war George Zimmerman in der Vorwoche noch guter Dinge. Beim Prozess muss die Frage geklärt werden, ob er angegriffen oder sich verteidigt hat.

Foto: AP/Gary Green

Alles dreht sich um einen Schrei. Auf einem Tonband ist zu hören, wie jemand gellend um Hilfe ruft, verzweifelt, offenbar um sein Leben fürchtend.

Einer der beiden jungen Männer, die am Boden lagen und wie wild kämpften, hat den Schrei ausgestoßen, es war entweder Trayvon Martin oder George Zimmerman. Aufgezeichnet hat ihn die Notrufzentrale, bei der eine aufgeschreckte Anwohnerin Alarm schlug. So wichtig das Beweisstück ist, so strittig bleibt, wessen Stimme zu hören ist, wer der Angreifer war und wer sich verteidigte.

Gerichtsverfahren beginnt

Am Abend des 26. Februar 2012, zwischen 19.16 Uhr und 19.17 Uhr Ortszeit, hat Zimmerman, freiwilliger Wachmann des umzäunten Wohnparks Twin Lakes in Sanford, Florida, den schwarzen Teenager Trayvon Martin erschossen, daran gibt es keinerlei Zweifel.

Die Frage, die Amerika spaltet, lautet, ob Zimmerman die Tat kaltblütig verübte, gar aus rassistischen Motiven, oder ob er, von Martin attackiert, aus Notwehr handelte. Am Montag beginnt im Seminole County Court in Sanford das Gerichtsverfahren.

Streit der Sprachspezialisten

Ließe sich der Schrei zuordnen, wären wahrscheinlich die Weichen schon längst gestellt. Doch zwei Sprachspezialisten, aufgeboten von den Anwälten Tracy Martins und Sybrina Fultons, der geschiedenen Eltern des toten Jungen, dürfen nicht in den Zeugenstand. Sie glauben Trayvon zu hören, während einige ihrer Kollegen ratlos die Hände heben: Brülle ein Mensch derart laut und panisch, lasse sich seine entfremdete Stimme kaum identifizieren, befinden sie.

Debra Nelson, die zuständige Richterin, hat sich den Zweifelnden angeschlossen, und nun soll sich eine Jury selber ein Urteil bilden - ganz ohne Expertenbefund.

"Stand your ground"

Der Prozess im Seminole County bedeutet im Grunde die Fortsetzung einer furiosen Gesellschaftsdebatte, allein das sichert ihm höchstes Interesse. Zum einen geht es um Sinn oder Unsinn einer Regel, die Florida 2005 als erster Bundesstaat einführte und die später das halbe Land übernahm. Sie lautet "Stand your ground": Nach dem Prinzip des " Behaupte dich" ist es im Gefahrenfall nicht mehr erste Pflicht eines Bürgers, sich der Gefahr zu entziehen, wenn es irgendwie geht, etwa vor einem Einbrecher zu fliehen. Im Gegenteil, er hat das Recht, Gewalt mit Gewalt zu begegnen, "einschließlich tödlicher Gewalt", wie es heißt.

Man kann den schwammigen Paragrafen so auslegen, dass Zimmerman nur seine Pflicht erfüllte, als er sich an Martins Fersen heftete. Der Teenager war zurückgekommen vom Einkauf in einem kleinen Supermarkt, mit einer Dose Eistee und einer Tüte Kaubonbons ging er zu einer Wohnung, die der Verlobten seines Vaters gehörte. Zimmerman, unterwegs auf einer Freiwilligen-Streife durch das Viertel, verfolgte ihn. Hätte er genauso gehandelt, wäre Martin ein Weißer gewesen? Ließ sich Zimmerman, selber Hispanic, von rassistischen Vorurteilen leiten?

Alte Wunde des Rassenkonflikts

Überhaupt, wie viel Dünkel grassiert noch in Amerika, trotz eines Barack Obama im Weißen Haus? Alte Bürgerrechtler, allen voran der streitbare Jesse Jackson, werden nicht müde solche Fragen zu stellen. Der Tod hat die Debatte über die alte Wunde des Rassenkonflikts in einer Schärfe wiederaufleben lassen, wie es mancher in den Vereinigten Staaten nicht mehr für möglich gehalten hatte.

Jedes Richterwort, jede Zeugenaussage, jedes Anwaltsstatement, alles dürfte im Laufe des Prozesses genauestens abgewogen werden. Einen Vorgeschmack lieferte - noch vor der eigentlichen Verhandlung - die Auswahl der Jury: ein zweiwöchiger Marathon, bei dem 40 Kandidaten in die engere Wahl kamen und sechs übrigblieben. Allesamt Frauen, fünf mit weißer, eine mit brauner Haut - schon über dieses Detail wird unendlich lang diskutiert.

Die "ideale" Geschworene

Für die Öffentlichkeit haben die Geschworenen keine Namen, nur Buchstaben und Nummern, B29, B76, E40. Wer sich überdurchschnittlich für Politik interessierte und damit in den Augen des Gerichts potenziell vorbelastet war, schied bei der Auswahl der Jury von vornherein aus. Als Ideal, wenn es das überhaupt gibt, gilt Mrs. B29, eine junge Frau, die kürzlich aus Chicago nach Florida gezogen war.

Eine Meinung zu dem Fall habe sie nicht, gab sie zu Protokoll. Ohnehin habe sie damals in Chicago so viele Meldungen über Schießereien gehört, dass sie dem Toten von Twin Lakes keine besondere Aufmerksamkeit widmete. (Frank Herrmann aus Washington, DER STANDARD, 24.6.2013)