Um sich mit dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan zu solidarisieren, der nach westlichen Vorstellungen sein Land ziemlich autoritär regiert, veranstalten manche Türken, die in Österreich leben, in Wien eine Demonstration. Sie dürfen das auch, weil Österreich eine Demokratie ist. Bemerkenswert daran: Man bedient sich eines hierzulande verbrieften Rechtes, nämlich für oder gegen wen auch immer demonstrieren zu dürfen, um einen Mann zu unterstützen, der in der Türkei mit brutalster Polizeigewalt gegen Demonstranten vorgeht.

Darüber kann und darf man sich ärgern. Daher kann ich den türkischstämmigen Grün-Politiker Efgani Dönmez ganz gut verstehen. Sein Vorschlag, die in Österreich lebenden türkischen Erdogan-Sympathisanten mit One-Way-Tickets nach Istanbul auszustatten, war nicht sehr diplomatisch und wohl - das unterstelle ich jetzt - auch nicht wirklich ernst gemeint, aber - jedenfalls für mich - nachvollziehbar.

Dass Dönmez Applaus von der ganz falschen Seite, nämlich aus der blau- braunen Ecke, ernten würde, damit war zu rechnen. Auch mit scheinheiliger Häme von Rot und Schwarz. Mit der gouvernantenhaften (oder - auch hier soll gegendert sein - oberlehrerhaften) Reaktion der Grünen hab ich so nicht gerechnet.

Man hätte den Dönmez-Sager auch als eine aus - nennen wir's - heiligem Zorn entstandene lässliche Sünde gegen die Political Correctness durchgehen lassen können - stattdessen aber bedrohte man Dönmez gleich mit Parteiausschluss und nötigte ihm eine peinliche öffentliche Entschuldigung ab.

Berechtigte Frage

Noch schwerer taten sich die Grünen damit, was dann kam - von Peter Pilz, den man, weil ein Parteischwergewicht, nicht so leicht schurigeln kann. Pilz regte an, sich bei den Staatsbürgerschaftsverfahren "das Engagement" heimischer Erdogan-Sympathisanten "sehr genau" anzusehen - und bei einem Entscheid zu "berücksichtigen".

Da ist manch Bedenkenswertes dran. Unser Staatsbürgerschaftsgesetz sieht vor: "Die Staatsbürgerschaft darf einem Fremden (...) nur verliehen werden, wenn (...) er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, dass er zur Republik bejahend eingestellt ist ..."- Ist diese Gewähr bei jemandem geboten, der in Wien demonstrativ die Unterdrückung der Demokratie in der Türkei befürwortet? Diese Frage muss gestellt werden dürfen. Und es müssen darauf andere Antworten zu finden sein als jene dumm-brachialen, die ein Herr Strache uns anbietet.

Recep Tayyip Erdogan hat sich bei einem Besuch in Deutschland im Februar 2008 dafür ausgesprochen, seine Landsleute sollten sich in Deutschland insofern integrieren, als sie die deutsche Sprache lernen müssten - vor allem aus praktischen, wirtschaftlichen Gründen: "Wenn Sie die Sprache des jeweiligen Landes nicht lernen, so fallen Sie unweigerlich in eine Situation der Benachteiligung." Von weitergehender Integration - er nennt das Assimilation - hält er nicht viel. Im Gegenteil: Er nannte 2008 in Deutschland die "Assimilation" türkischer Einwanderer in Deutschland ein "Verbrechen gegen die Menschlichkeit".

Im Übrigen vertritt Erdogan die Meinung, seine im Ausland lebenden Landsleute sollten auch versuchen, politischen Einfluss in ihren Gastländern zu gewinnen. Die politischen Interessen der Türkei in Europa aktiv zu vertreten, das legte Erdogan im Februar 2010 in Istanbul türkischstämmigen Politikern aus mehreren europäischen Ländern nahe. Als eine Voraussetzung für eine politische Einflussnahme im Sinne der Türkei nannte Erdogan dabei den Erwerb der Staatsbürgerschaft des Gastlandes.

Bin ich, wenn ich so was ernst nehme, schon ein xenophober Verschwörungstheoretiker? Wir dürfen Herrn Erdogan und den Türken, die ihm in Österreich huldigen, natürlich keine bösen Absichten unterstellen ... - Aber warum sollten wir das eigentlich nicht dürfen? Ich traue vielen "eingeborenen" Österreichern vieles, fast alles zu. Ich traue vielen Menschen überall auf der Welt vieles, fast alles zu. Also - aber ja! - auch Türken.

Törichte "Auslagerung"

Jedenfalls bin ich - um das Thema ein wenig weiter zu fassen - strikt dagegen, dass wir Dinge, die wir für demokratische Errungenschaften halten, einfach infrage stellen lassen, nur weil jemand unsere Toleranz für andere, nämlich undemokratische Konzepte einfordert.

Ich will mich in diesem unseren Land, in dem wir den politisierenden Katholizismus so mühsam losgeworden sind, mit keinem politisierenden Islam konfrontiert sehen - und ich will das auch laut und deutlich sagen dürfen. Und ich lasse mich, wenn ich es sage, dafür auch nicht in irgendein rechtes Eck stellen. Die Angst, dass ihnen ebendas geschehen könnte, scheint die Grünen zu plagen. Aber diese Angst ist, behaupte ich, töricht.

Auch wenn man sich - was ich ausdrücklich befürworte - wie die Grünen für die Rechte und das Wohlergehen von Migranten einsetzt, muss man weder glauben noch behaupten, dass ausschließlich alle von ihnen mit nur lauterer Gesinnung zu uns gekommen sind. Und daraus folgernde Schlüsse lassen sich auch kommunizieren.

Freilich kommen die "Anregungen" von Efgani Dönmez und Peter Pilz zu ungünstiger Zeit. Die Grünen haben gerade einen Wellness-Wahlkampf gestartet, und sie müssen sich - ja ja, ich weiß! - vor allem auch um die Radlfahrer kümmern. Da passt halt die Diskussion eines demokratiepolitisch wichtigen Themas so gar nicht recht dazu. Also überlässt man es wieder einmal den schrecklichen Vereinfachern rechts außen. (Walter Wippersberg, DER STANDARD, 24.6.2013)