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Entspannung: In Salvador umarmt ein Demonstrant einen Polizeikommandanten.

Foto: Reuters/Pontes

Brasília/Puebla – "Eine gut gema­nagte Krise ist so viel wert wie ein Dutzend erfolgreiche Regierungsprogramme", lautet eine Weisheit politischer Berater. Und Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff hat am Wochenende ihr politisches Geschick unter Beweis gestellt und sich damit auch international klar distanziert von autoritären Reaktionen anderer Regierungen wie etwa der Türkei. Nur zehn Minuten dauerte ihre per Fernsehen und Radio übertragene Volksansprache am Freitagabend, doch darin war alles vorhanden, was angesichts der Massenproteste angebracht ist: Sie räumte die Legitimität der Forderungen nach besserer Bildung und besserer Gesundheitsfürsorge ein, wies jedoch gleichzeitig darauf hin, dass dies eine historische Erblast des Landes ist und nicht von heute auf morgen gelöst werden kann.

Rousseff gab den friedlichen De­monstranten Garantien, lud die Anführer zu Gesprächen und drohte zugleich Randalierern mit der vollen Härte des Gesetzes. Zusammen mit Bürgermeistern und Gouverneuren wird ein Programm zur Verbesserung der Infrastruktur aufgelegt. Außerdem versprach sie, dass 100 Prozent der Ein­nahmen aus den Erdöl-Tiefseebohrungen vor der Küste von Rio de Janeiro in die Bildung fließen werden. Die Regierung hatte das schon lange so geplant – doch die Gouverneure der angrenzenden Bundesstaaten blockierten das Vorhaben, weil sie einen Teil des Geldes für sich beanspruchen.

Auch das Einfliegen ausländischer Ärzte, um die gesundheitliche Versorgung zu verbessern, ist nicht neu. Erst vor wenigen Wochen schloss Brasilien ein Abkommen mit Kuba, um 6000 Mediziner von der kommunistischen Karibikinsel einzufliegen – auch das stieß auf Widerstand des hei­mischen Ärztegremiums. Insofern hat Rousseff die Konjunktur geschickt zu nutzen gewusst, um ihre Position zu stärken.

Bei der Fußball-WM, deren teure Megabauten die Demonstranten ebenfalls kritisiert hatten, gibt es keine Zugeständnisse. "Brasilien hat an allen WMs teilgenommen, war fünfmal Weltmeister und hat eine lange Fußballtradition. Wir werden 2014 unseren Brüdern un­sere Gastfreundschaft zeigen", bekräftigte sie.

"Die Rede war gut im Inhalt und richtig im Ton", zollte ihr anschließend der kritische Kommentator des Medienkonzerns O'Globo Merval Pereira Respekt. Ob sie auch die gewünschte Wirkung zeitigt, muss sich noch weisen. In den sozialen Netzwerken startete nach der Ansprache eine Kampa­gne mit dem Hashtag "Dilma, halt die Klappe", und die sozialde­mokratische Opposition bezeichnete die Rede als "oberflächlich", aber am Samstag schwächten sich die Proteste bereits ab und konzentrierten sich vor allem auf die beiden Austragungsstätten des Confed-Cup, Belo Horizonte und Salvador, wo die Ausgaben für die Fußball-WM in der Kritik ­standen.

Die Bewegung für kostenlosen Nahverkehr, die die Proteste vom Zaun gebrochen hatte, erklärte derweil, sie werde nicht mehr zu Demonstrationen aufrufen. Mitte der Woche hatten zahlreiche brasilianische Städte – darunter São Paulo und Rio – die Preiserhöhungen zurückgenommen.

Verlierer des Konflikts sind nicht nur die Parteien, sondern auch die Medien. Große Medienhäuser hatten mit einer sensationalistischen Berichterstattung über die Proteste versucht, die Demons­tranten als Vandalen zu diskreditieren, und Öl ins Feuer gegossen. "Es ist ein Sieg der Straße, den sich kein Politiker ans Revers heften kann", konstatierte am Wochenende die Zeitung Folha de S. Paulo perplex.  (Sandra Weiss /DER STANDARD, 24.6.2013)