Die Debatte um das Lehrerdienstrecht ist wohl das beste Beispiel für parteipolitisches Hickhack in der Bildungspolitik. Das war Grund genug für die IG-Demokratie eine Podiumsdiskussion zu organisieren. Daniel Landau, AHS-Lehrer und Bildungsaktivist, Eleonora Kleibel, ehemals Vorsitzende der Aktion kritischer Schüler (AKS), Dominik Stracke, Obmann der Jungen ÖVP Wien, und Claudia Gamon, Neos-Politikerin, stellten sich der provokanten Frage "Parteien raus aus der Bildungspolitik?" Moderiert wurde die Veranstaltung von Rosa Winkler-Hermaden, Ressortleiterin Bildung von derStandard.at.
Laut IG Demokratie Begründer Stefan Schartlmüller gibt es verstärkt den Wunsch in der Bevölkerung Schule mitzugestalten. Die Menschen seien genervt und wollen sich mehr einbringen.
Landau: "Lähmendes Gleichgewicht der Starre"
Beim Bildungsvolksbegehren sei es nicht gelungen nach Abgabe der Stimmen den Druck aufrechtzuerhalten, meint Mitinitiator Daniel Landau. Es sei ein "lähmendes Gleichgewicht der Starre" geblieben, die Politik sei nicht in der Lage Bildungsfrieden zu schließen. Dabei gebe es in allen Lagern vernünftige Stimmen. Landau plädiert daher dafür die Parteien nicht außen vor zu lassen, sondern über Parteigrenzen hinwegzusehen.
Dominik Stracke sieht mehr demokratische Mittel als Chance zur Verbesserung. Der Wunsch nach mehr Mitbestimmung und Selbstverwaltung sei in der Bevölkerung vorhanden. Die Politikverdrossenheit resultiere aus den alteingesessenen Politikern, "an den man nicht vorbeikommt". Innerparteilich sei auch die Bündestruktur in der ÖVP eine Herausforderung. Durch Staatssekretär Sebastian Kurz verbessere sich die Situation der Jungen innerhalb der Partei. "In der Parteipolitik fehlt das Bewusstsein für Prozesse und nimmt dadurch Mut zur Veränderung ".
Gamon: "Schmied fehlt Leadership"
Eleonora Kleibel möchte schon bei den Mitspracherechten für SchülerInnen ansetzen, die in Österreich "gar nicht so schlecht" seien. Die Einbindung sei beispielsweise besser als in Schweden. Die Umsetzung lasse aber zu wünschen übrig. Es sei außerdem schwierig, den Schülern klarzumachen, dass es sich auszahlt, sich einzubringen. "Die Schüler müssen lernen, sich selbst einzubringen", sagt Kleibel.
Mit anderen Herausforderungen sieht sich Claudia Gamon konfrontiert. Sie meint, Parteien von Grund auf neu denken zu müssen. "Parteien müssen nicht so sein, wie sie jetzt sind", sagt Gamon. Man könne sie auch dezentral organisieren. In der Bildungspolitik sieht sie "tausende Baustellen" und vermisst Leadership. Unterrichtsministerin Claudia Schmied habe keine Führungsqualitäten, die Gewerkschaften könnten mehr mitgestalten als die Ministerin. Jede Front bringt ständig Entwürfe ein, aber nichts werde gescheit umgesetzt. "Es gibt keinen Plan, es folgt keiner Logik, obwohl es dringend notwendig wäre", kritisiert Gamon.
Bildungsweisenrat als Lösungsansatz
Auf die Frage, ob sich der Zustand der Konzeptlosigkeit in den letzten Jahren verschärft habe, gibt Landau ein klares Ja. "Es wurden verschiedene Baustellen aufgemacht", meint der AHS-Lehrer und es seien viele neue Fronten aufgetaucht. Es werde über Teilaspekte geredet, über die gemeinsame Schule oder die Zentralmatura, nicht aber über Grundlagen oder über die Frage, wo man die Jugend haben wolle. Landau bemängelt die unklaren Entscheidungsstrukturen und schlägt einen Bildungsweisenrat als möglichen Lösungsansatz vor. Der Bildungsweisenrat soll von unabhängigen Bürgern zusammengesetzt werden, ähnlich dem BürgerInnenrat in Vorarlberg. Den BürgerInnenrat bewertet Landau sehr positiv. "Da passiert etwas." Obwohl das Land in schwarzer Hand sei und Landeshauptmann Wallner eine rote Gewerkschafterin gegenüberstehe, funktioniere es besser als die rot-grüne Reformpartnerschaft in Wien.
Die Frage nach einer gemeinsamen Schule wollen die Neos gar nicht stellen. Sie verfolgen ein anderes, alternatives Konzept, das Konzept der Schulautonomie. Gamon erläutert, dass Schulen ihre Ausrichtung freigestellt werden soll. Sie fordert einen "freien Wettbewerb der Bildungskompetenzen". Direktor und Lehrer sollen mehr Macht bekommen, auch ein neues Finanzierungsmodell soll den Schulen zur Verfügung stehen. Der Direktor soll der Manager der Schule sein, die Landes- und Bundeskompetenzen sollen von einer Qualitätssicherungsagentur übernommen werden. Der Bund soll lediglich Standards wie die mittlere Reife setzen. Stracke kann dem Vorschlag der Schulautonomie "einiges abgewinnen". Der Gedanke der mittleren Reife sei aber leider innerhalb der ÖVP tabu. Schule soll laut Stracke nicht ein reines "Zeitabsitzen", sondern der Nachweis von Leistungsstandards sein.
Kleibel: Polytechnikum als Bildungssackgasse
Kleibel bewertet den Vorschlag differenzierter. Sie findet Schulautonomie wichtig, kann aber dem Wettbewerb zwischen Schulen nichts abgewinnen. Das führe zu guten und zu schlechten Schulen und die Gefahr der Selektion sei dann sehr groß. Es müsse Regulierungen geben und dürfe keine verschlossenen Türen geben. Scharf kritisiert Kleibel das Polytechnikum. Das sei eine "Bildungssackgasse", es sei egal, was am Ende des Jahres dabei herausschaue.
Landau ist davon überzeugt, dass direkte Demokratie Bildung voraussetze. Beteiligungsprozesse müsse man lernen. Es sei ein österreichisches Phänomen, dass man politische Bildung aus der Schule heraushalte. Dabei wäre es wichtig schon die Grundlagen in der Volksschule zu legen und in der Unterstufe festzumachen.
"Parteien ja, aber keine inhaltlichen Grenzen"
Stracke sieht ein Definitionsproblem, in der aktuellen Bildungsdebatte werde Bildung nur auf Gymnasien und Universitäten reduziert, dabei treffe es die Masse. "86 Prozent der Pflichtschüler erreichen die Mindestbildungsstandards nicht", sagt Stracke. Da wäre die Politik gefragt, die Ursachen zu bekämpfen. Deswegen habe Parteipolitik in der Bildungspolitik nichts zu suchen. Direktoren sollen nicht auf der politischen Ebene bestellt werden, sondern transparent gewählt werden. "Das Problem ist aber der Machterhalt", sagt Stracke und kritisiert damit seine eigene Partei wie auch den Koalitionspartner. Sie führen das System ad absurdum.
Die Parteipolitik nicht ganz ausschließen will Kleibel. "Parteien machen grundsätzlich Sinn, wenn sie klug agieren". Sie will Leute, die die Entscheidungen täglich betreffen, stärker miteinbeziehen. "Es fehlt das langfristige Ziel, eine Bildungsvision", kritisiert die ehemalige Schülervertreterin.
Landau findet es auf den ersten Blick verlockend, Parteien aus der Bildungspolitik auszuschließen. Trotzdem sei das nicht zielführend. Parteien müssen einen Interessensausgleich herbeiführen, dann hätten sie Berechtigung. "Parteien ja, aber keine inhaltliche Grenzen", sagt der AHS-Lehrer. Einzig Gamon argumentiert radikaler. Sie findet Parteien sollen inhaltlich arbeiten und sich heraushalten, was in der Schule passiere. Sie räumt aber ein, dass das ohne größere Demokratiereform nicht möglich sei. (mte, derStandard.at, 24.6.2013)