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Der 42-jährige Chip Starnes hinter den Gittern seines Bürofensters.

Foto: ap/Andy Wong

Der Miteigentümer einer Fabrik in Peking wird seit Freitag von der Belegschaft seines Unternehmens in seinem Büro belagert. Die Arbeiter befürchten Entlassungen sowie die Verlagerung der Fabrik und fordern Abfertigungen.

Peking – "Ich fühle mich wie ein gefangenes Tier", sagte Chip Starnes zu Reportern. Durchaus nachvollziehbar, denn der 42-Jährige ist seit Freitag eine Geisel – in seiner eigenen Fabrik, die Geiselnehmer sind seine Arbeitnehmer.

Der 42-Jährige ist Miteigentümer der Medizinproduktefirma Spe­cialty Medical Supplies aus dem US-Bundesstaat Florida. Seit zehn Jahren betreibt das Unternehmen eine Fabrik am Rand der chinesischen Hauptstadt Peking, in der 130 Menschen arbeiten.

Am vergangenen Dienstag traf Starnes allerdings in der Fabrik ein, um mindestens 30 Mitarbeiter zu kündigen. Die Firma will
die Kunststoffproduktion in China langsam schließen und nach Mumbai in Indien verlegen. Einige der Arbeiter seien neun Jahre in seinem Unternehmen beschäftigt gewesen, berichtete der Manager, die Abfertigung sei daher recht hoch gewesen.

Angst vor Schließung

Die Maßnahme weckte allerdings bei den übrigen Beschäftigten die Angst vor einer kompletten Schließung. Sie fordern daher die gleichen Sozialmaßnahmen wie ihre Kollegen. 80 von ihnen blockieren seit Freitag alle Ausgänge des zweistöckigen Gebäudes und sorgen dafür, dass Starnes in seinem Büro eingesperrt ist. Laut seinen Angaben würde er durch grelle Lichter und ständiges Klopfen gegen die Fenster auch vom Schlaf abgehalten.

Auch offizielle Stellen seien angeblich involviert gewesen: Be­amte seien am Samstag zu ihm gekommen und hätten ihn gezwungen, Vereinbarungen über die Forderungen der Arbeitnehmer zu unterzeichnen, obwohl er klargemacht habe, dass keine weiteren Kündigungen geplant seien, behauptete Starnes. Die Forderung der Arbeiter: Bis Dienstag müsse das Geld überweisen sein.

Der Protest zeigt die wachsende Unruhe unter den chinesischen Arbeitern angesichts des langsameren Wirtschaftswachstums und des Bewusstseins, dass die steigenden Löhne das Land weniger attraktiv für einige ausländische Unternehmen machen.

Geiselnahmen von Managern, um ausstehende Löhne oder Sozialleistungen zu bekommen, sind in China keine Seltenheit. Primär geht es dabei um chinesische Firmenleiter – aber auch ausländische waren bereits darunter. Besonders Peking ist davon betroffen, da in der Hauptstadt die höchsten Löhne bezahlt werden müssen.

Dazu kommen die Auswirkungen der Finanzkrise: Die chinesischen Industriedaten fielen im Juni laut Umfrage überraschend deutlich auf den niedrigsten Stand seit einem Dreivierteljahr. Der HSBC-Einkaufsmanagerindex für den Sektor sank auf 48,3 Punkte nach einem endgültigen Stand von 49,2 Punkten im Mai. Damit entfernte sich der Index weiter von der Wachstumsschwelle, die bei 50 Punkten liegt. Werte dar­unter zeigen ein Schrumpfen der wirtschaftlichen Aktivität in der Industrie an, Werte darüber ein Wachstum.

Nach dem schwächsten Wachstum seit 13 Jahren im vergangenen Jahr hoffen Experten auf eine Erholung der weltweit zweitgrößten Volkswirtschaft nach den USA, das Wachstumsziel von 7,5 Prozent könnte aber schwierig werden. (Reuters, AP, moe, DER STANDARD, 25.6.2013)