Karl Mediz' "Roter Engel" (1902, Privatbesitz): Zur Realitätsflucht jener Zeit ­gehörte auch die Vorstellung der Femme ­fatale. Im wahren Leben war allerdings nur Platz und Kraft für die Heilige.

 

Foto: Belvedere

Wien – Den Nymphen beim Baden zuschauen, sich an der Schönheit der nackten Diana zu ergötzen, ohne gleich Aktaions Schicksal zu erleiden – das wäre schon etwas. Für solche sündenfreie Sinnlichkeit und Erfahrung räumten die Symbolisten ihre Leinwände frei; sie machten Schluss mit der Nüchternheit des Realismus und dem Pomp des Historismus. Wie in der literarischen Bewegung der Décadence wird das Ende der Epoche mit der Steigerung der Lustbarkeiten begangen. Die Bilder sind durchtränkt von Traum und Ekstase, Kosmos und Übersinnlichem; Gefühle wie Melancholie werden monumental inszeniert. 

Die Kunst des Symbolismus war Geisteshaltung eines Eskapismus, ihre ins Schöne verliebte Ästhetik – heute würde eine Mehrheit "verkitscht" sagen – Ausdruck einer antibürgerlichen, antimoralischen, antirealistischen Weltanschauung. All das illustriert aktuell Dekadenz. Positionen des Österreichischen Symbolismus im Unteren Belvedere.

In Eduard Veiths Nymphen am Brunnen (um 1906) bleibt dem Jäger Aktaion die Hirschwerdung zwar nicht erspart, jedoch erscheint im neuen Arkadien der Gedanke an Flucht vollkommen abwegig: Zarte Hände von elfenhaften Wesen legen sich da ganz weich auf den Kopf des Tieres, stillen den Hunger. Hach! Oder: Der aufrechte Held in schimmernder Rüstung umringt von rothaarigen Wiesenfeen (Jan Preisler Studie zum Zyklus vom fahrenden Ritter, 1897/98), die ihre Arme nach ihm strecken. Sie sind ein bisschen lächerlich die Männerfantasien, die dem Betrachter aus mystischen und rätselhaften Bildwelten entgegenschlagen. So blickt auch die Nymphe in dem karikierenden Bild Der Zwerg und das Weib (Sigmund Walter Hampel, um 1902) lächelnd auf den mit offenen Mund staunenden kleinen Mann herab. 

Splitterfasernackt in dunkler Nacht erscheint Das Weib bei Ernst Stöhr (1898) einem Mann im Boot, die Ruder sind nur mehr das, woran er sich festhält, um nicht die Contenance zu verlieren. Das Belvedere lässt es rund um dieses Bild Nacht werden: Nicht etwa symbolisch gesprochen, sondern in der Tat und wegen des Effekts: Denn im Halbdunkel leuchtet der Frauenkörper hell wie der Mond – und ein wenig dämonisch. So wie die ernste Sphinx aus Porzellan von Franz Metzner (1898) im gleichen Raum, vor der ein Mann wie ein Häufchen Elend kauert. Motive, die das Publikum vor dem Hintergrund der damals vieldiskutierten Thesen der Psychoanalyse sicher beflügelt haben. 

Die Malerei "träumt von einer Welt, die, tief im Innern des Menschen ruht und ihrer Auferstehung harrt. Ein kleines Paradies möchte sie zaubern", hielt Künstler Stöhr 1901 in der Zeitschrift der Secessionisten Ver Sacrum fest. Im Belvedere zeigt man diese Flucht ins Schwülstige nicht nur, man suhlt sich darin. Und mit sphärischen Klängen (Robert Minard) – mit "Atmen" und "erotischen Glockenklängen" – will man dem Publikum das Hineinfühlen wohl erleichtern. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 26.6.2013)