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Regierungsgebäude am Markusplatz in der Oberstadt von Zagreb: Nachdem die HDZ die Wahlen 2011 verlor, führt nun der Sozialdemokrat Zoran Milanović Kroatien am 1. Juli in die EU.  

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Jadranka Kosor: "Bin wie ein Zombie herumgerannt."

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Mit Jadranka Kosor sprach Adelheid Wölfl.

Standard: Kroatien ist durch verschiedene Reformprozesse gegangen. Welche waren erfolgreich? Welche nicht?

Kosor: Kroatien hatte den längsten und härtesten Verhandlungsprozess. Erstmals wurde das Kapitel 23 über Justiz und fundamentale Rechte eingeführt. Und Kroatien musste mit dem schwierigen Erbe des Kriegs umgehen. Es ging um die Kriegsverbrecherprozesse und den Kampf gegen die Korruption. Das war besonders schwierig. Ich habe als Premierministerin und als Parteichefin der HDZ immer gesagt, dass wir die Korruption und das Verbrechen bekämpfen müssen, und jenseits der Frage, wer welcher Partei angehört. Wir haben vieles verbessert. Aber ich denke, dieser Kampf gegen die Korruption als auch Reformen nicht stoppen dürfen.

Standard: Wo waren die stärksten Widerstände zu spüren? Was war das System, das hinter der Korruption stand?

Kosor: Ich habe die Rolle meiner Regierung als eine zweifache gesehen. Auf der einen Seite mussten wir einen starken politischen Rahmen bilden, um klare Kriterien zu definieren, etwa "Nulltoleranz gegenüber Korruption, egal welcher Name betroffen ist". Und die zweite Aufgabe war, einen starken rechtlichen Rahmen im Kampf gegen die Korruption zu entwickeln und die Unabhängigkeit der Justiz zu stärken. Es ging darum, dass die Regierung weder Strafverfolgung anordnen kann, sie aber auch nicht stoppt. Und natürlich waren diese Prinzipien, die ich vertreten habe, nicht überall willkommen.

Standard: Sie meinen in Ihrer Partei? Von Herrn Sanader?

Kosor: Ich spreche nicht nur von ihm.

Standard: Also diese Leute haben von Ihnen erwartet, dass Sie bei der Justiz intervenieren?

Kosor: Einige Leute haben so gedacht. Aber viele meiner früheren Kollegen unterstützen mich im Kampf gegen die Korruption.

Standard: Aber heißt das, dass es bevor Sie Premierministerin wurden, dieses System gab, wo die Politik auf die Justiz Einfluss ausübte?

Kosor: Ich kann darüber nicht sprechen. Weil man das richtige Bild darüber, was im Staat vor sich geht, nur dann bekommt, wenn man Premierminister wird. Mein Vorgänger, Herr Sanader war in vielen Dingen sehr erfolgreich, etwa damit, dass Kroatien näher an die EU heranrückte. Und was die Prozesse betrifft, die noch laufen, so kann ich diese nicht kommentieren, denn in Kroatien ist jeder unschuldig, bis er schuldig gesprochen wird. Wir müssen den Kampf gegen Korruption auch auf die lokale Ebene ausdehnen.

Standard: Zur Zeit läuft gerade der Fimi-Media-Prozess in Kroatien, wo es darum geht, dass die HDZ Gelder aus öffentlichen Aufträgen eingestreift hat. Wann haben Sie bemerkt, dass es innerhalb der Partei Korruption gibt? Und wann haben Sie das Vertrauen in Herrn Sanader verloren?

Kosor: Natürlich haben wir keine Information darüber gehabt, dass es einen Fall namens Fimi Media gibt. Und ich denke, dass das logisch ist, dass wir das nicht gewusst haben und dass wir das auch nicht wissen konnten, weil die HDZ eine große Partei ist mit signifikanten, legalen Geldquellen. Die HDZ hat finanzielle Mittel aus dem Staatsbudget, aus dem lokalen Budget und durch Mitgliedsbeiträge bekommen. Und es gab bis 2007 ein Gesetz, wonach die HDZ und andere Partei große Spenden bekommen konnte, die anonym und unbegrenzt waren. Also wer hätte sich denken sollen, dass es in dieser Zeit ein Parallel-System gab?

Standard: Wenn das niemand gewusst hat, außer vielleicht Sanader, war das dann ein sehr autoritäres System?

Kosor: Ich kann nicht sagen, wer was gewusst hat. Aber ich hoffe, dass dies am Ende des Prozesses feststeht.

Standard: Aber wann haben Sie das Vertrauen in Sanader verloren?

Kosor: Das ist leicht zu sagen: Ich habe das Vertrauen genau in dem Moment verloren, als er ohne Erklärung die Führung des Staates verlassen hat, der zu dieser Zeit auf dem Boden lag, also in einem sehr schlechten Zustand war. Ich war schockiert, dass der Premier zu einem Zeitpunkt seine Position verlässt, als das BIP um sieben Prozent gefallen ist und das Staatsbudget in einem derart desaströsen Zustand war, dass es sogar eine realistische Bedrohung gab, dass wir nicht in der Lage sein könnten, die Pensionen zu bezahlen. Natürlich habe ich zu diesem Zeitpunkt nicht gewusst, dass die Strafprozesse, die später eröffnet wurden, eröffnet werden. Ich war nur schockiert, dass der Kapitän in dem Moment das Schiff verlässt, in dem es zu sinken beginnt. Ich war nicht die einzige, die damals schockiert war. Er hat ja das Vertrauen vieler Menschen und viel Respekt in der Welt und in Europa genossen. Ich war nicht überrascht, ich war komplett schockiert. ER hat mich informiert, dass er gehen würde, als wir zwei allein waren und er hat mich gebeten, diese Information geheim zu halten. Nach zwei oder drei Tagen hat er die anderen Mitglieder der Regierung und der Parteispitze informiert. Und in diesen paar Tagen, als ich das als Geheimnis behalten musste, bin ich wie ein Zombie herumgerannt.

Standard: Sie haben dann die Partei übernommen und sind Premierministerin geworden. Sie waren in einer ähnlichen Situation wie Frau Merkel, als sie von Helmut Kohl die Agenden übernommen hat. Aber heute sind Sie selbst nicht mehr Mitglied der HDZ, weil Sie ausgeschlossen wurden. Wenn Sie zurückblicken, was ist da passiert?

Kosor: Ich hatte das Unglück so plötzlich Premierministerin zu werden und einem so großen Führer in der Partei und darüber hinaus nachzufolgen, sodass ich zeitgleich einige schwierige Aufgaben zu erfüllen hatte. Ich wollte zu diesem Zeitpunkt weder Wahlen für die Partei, noch Parlamentswahlen ausrufen, weil ich die Staatsinteressen über meine persönlichen Interessen stellte.

Standard: Warum sind Sie aus der HDZ ausgeschlossen worden?

Kosor: Das kann ich nicht erklären, dass ist unerklärlich. Aber wie Sie wissen, wurde der jetzige Chef der HDZ, Herr Karamarko erst im Herbst 2011 Mitglied der Partei und ich war diejenige, die ihn aufgenommen hat in die Partei. In der letzten Konversation zwischen mir und ihm, hat er mir gesagt, dass er nicht daran denke, für den Parteivorsitz zu kandidieren. Und vier oder fünf Tage später hat er kandidiert. Das Verfahren, mit dem er mich aus der Partei ausgeschlossen hat, bricht das Parteistatut und das Gesetz.

Standard: Manche Leute sagen, dass Sie offen Kritik geübt haben.

Kosor: Das ist eine Lüge und das kann einfach bewiesen werden. Ich habe keine Kritik geübt. Wie auch immer: Ich habe aber als einzige auf Karamarkos Sätze reagiert, dass die HDZ dem Patriotismus abgeschworen habe und sich von Dr. Tudjman und dem Kroatentum distanziert habe, und dass wir die Partei in den vergangen acht, zehn Jahren vernachlässigt hätten. Und ich habe gesagt, dass das einfach nicht wahr ist.

Standard: Würden Sie sagen, dass die Partei unter Karamarko stark nach rechts rückte? Und ist das angesichts der Wahlergebnisse bei den jüngsten Lokalwahlen erfolgreich?

Kosor: In manchen Orten haben radikal rechte HDZ-Kandidaten gewonnen.

Standard: Wo zum Beispiel?

Kosor: Es gibt solche.

Standard: Weshalb?

Kosor: Deswegen hat mich Karamarko ausgeschlossen, weil ich als Beispiel für andere diene: Wenn wir sie ohne mit der Wimper zu zucken aus der HDZ ausschließen, sie, die das Beitrittsabkommen mit der EU unterschrieben hat, dann können sie sich vorstellen, was mit den anderen passiert.

Standard: Das sollte also ein Signal an die Partei sein?

Kosor: Ja. Meiner Meinung nach kann eine Partei nicht langfristig so geführt werden. Denn Menschen, die Angst haben, sind nicht konstruktiv. Ich denke nicht, dass jemand aus der Partei ausgeschlossen werden soll, weil er seine persönliche Meinung sagt. Karamarko hat in meinem Fall das Delikt der Meinungsäußerung eingeführt. Nach diesem Interview werde ich meinen Anwalt beauftragen, eine Anfrage an den Verfassungsgerichtshof zu schicken, um die Verfassungsmäßigkeit der Entscheidung des hohen Gerichts der HDZ zu überprüfen, mich auszuschließen. Das Statut der Partei ist das höchste Gesetz der Partei, aber es muss mit der Verfassung von Kroatien übereinstimmen. Und das Statut und das Gesetz wurden in meinem Fall gebrochen.

Standard: Wollen Sie also zurück in die Partei?

Kosor: Das ist nicht meine Ambition. Ich will nur beweisen, dass die Maßnahmen der HDZ gegen mich verfassungswidrig waren. Und weil die HDZ vorzeitige Wahlen ausrufen will und an die Macht kommen will, sollen davor einige Dinge geklärt werden. Denn ich denke, dass es in einer demokratischen Gesellschaft inakzeptabel ist, wenn jemand Angst hat zu sagen, dass die Wahlkampagne in Vukovar nicht korrekt war und Angst hat, genannt zu werden, wie man mich genannt hat: einen Hasen aus dem Hut der SDP.

Standard: Man hatte den Eindruck nach dem Gotovina-Urteil vergangenes Jahr, die Kirche eine Art Oppositionsrolle übernommen hat.

Kosor: Eine Partei muss ein klares Programm haben und sie muss das Tempo bestimmen und sich nicht hinter anderen verstecken, um an die Macht zu kommen. Und wenn es um die kleinen Parteien auf der rechten Seite geht, so hat die HDZ hat die Ambition, die einzuholen und schlittert deshalb extrem auf die rechte Seite.

Standard: Wie beurteilen Sie die Folgen des Urteils von Gotovina und Markac auf die kroatische Gesellschaft?

Kosor: Die Freisprüche für Markac und Gotovina waren sehr wichtig, um das Selbstvertrauen von vielen Kroaten wieder herzustellen. Sie waren die Generäle der siegreichen Armee. Es ist sehr wichtig, dass die letztinstanzlichen Urteile zum Vorteil von Markac und Gotovina waren. Denn Sie wissen, wir waren okkupiert, wir mussten die okkupierten Territorien verteidigen und befreien. Diese Urteile haben die Leute wirklich entlastet. Es ist sehr wichtig, dass die Politik, die Kriegsverbrechen zu verfolgen, fortgesetzt wird, genau wegen der beiden nämlich. Denn unglücklicherweise haben die beiden lange Zeit für die Verbrechen, die andere begangen haben, im Gefängnis verbracht. Diese Verbrechen sollten individualisiert und die Prozesse geführt werden. Gotovinas Worte waren sehr wichtig, als er sagte, dass wir uns der Zukunft zuwenden sollen. Das habe ich als sehr weise und sage empfunden und ich hoffe, dass Herr Gotovina nicht in die Politik hineingezogen wird. Denn in der Politik glorifizieren dich die Leute an einem Tag und am nächsten Tag sind sie bereit dich in den abscheulichsten Dreck zu ziehen. Und so wie es jetzt ist, wird er in der kroatischen Geschichte für immer ein Held bleiben und ein General, der für einen Sieg gekämpft hat.

Standard: Warum trat Sanader zurück?

Kosor: Ich weiß es nicht. Und ich glaube nicht, dass wir jemals die wirklichen Gründe erfahren werden. Er ist der einzige, der das weiß und er wird es nicht sagen.

Standard: Sie denken also nicht, dass es wegen des Konflikts mit Slowenien war?

Kosor: Nein. Er weiß es, vielleicht ein paar Mitglieder seiner Familie wissen es, aber jetzt ist es irrelevant.

Standard: Die Verbindungen zwischen Österreich und Kroatien sind vor allem auch über die Hypo Bank ziemlich eng. In Österreich ist der Hypo-Skandal nicht ganz aufgeklärt, aber in Kroatien scheint dies noch viel weniger der Fall zu sein. Es gab nur einen Hypo-Prozess, der mit Sanader zu tun hatte, sonst nichts. Ist die kroatische Justiz in der Lage mit dem Hypo-Fall umzugehen?

Kosor: Unser System kann mit allen Herausforderungen umgehen.

Standard: Und sie halten die kroatische Justiz jetzt für unabhängig genug, das zu tun?

Kosor: Ich bin sicher, dass das der Fall ist.  (Langfassung des in DER STANDARD, 25.6.2013 erschienenen Interviews)