Seit Tagen gehen die Sorgen in China um. Der Aktienmarkt in Shanghai hat kapituliert und ist in einen – neuerlichen – Bärenmarkt geschlittert (BBC), hat also mehr als ein Fünftel seines Wertes verloren. Rohstoffpreise, die besonders von einer starken Konjunktur in der weltweit zweitgrößten Volkswirtschaft abhängig sind, haben deutlich nachgegeben. Kupfer etwa notiert so tief wie seit drei Jahren nicht mehr (Reuters).

Der Grund sind Nachrichten zu Spannungen am chinesischen Geldmarkt. Doch leihen sich die Banken untereinander Geld, oft für sehr kurze Laufzeiten, wie über Nacht oder über sieben Tage. Für jede Bank ist dieser Markt überlebenswichtig, verleihen sie doch in ihrem Kerngeschäft langfristig GEld an Unternehmen oder Konsumenten und finanzieren das mit kurzfristigen Mitteln.

Der Shibor-Schock

Der Shibor (Shanghai Interbank Offered Rate) ist das chinesische Äquivalent zum Libor. Er gibt an, zu welchen Konditionen sich die 16 größten chinesischen Banken Geld leihen können. In den vergangenen Tagen sind diese Finanzierungskosten geradezu explodiert. Seit zwei Jahren lagen die Shibor-Zinsen um die Marke von drei Prozent, in den vergangenen zwei Wochen aber haben sie sich auf knapp 12 Prozent vervierfacht. Der "Shibor-Schock", wie es der britische "Economist" nennt, wurde noch von lautem Knarzen im Gebälk des chinesischen Finanzsystems begleitet. So haben die Banken etwa am 19. Juni um eine halbe Stunde länger als sonst den Interbankenmarkt offen gehalten, eine höchst ungewöhnliche Praxis und wohl dazu genutzt, um eine technische Pleite einer Bank (die nicht mehr in der Lage gewesen wäre, sich kurzfristig zu finanzieren) zu vermeiden.

Doch kann das chinesische Finanzsystem eine ähnliche Krise erleben wie etwa das US-amerikanische und sich zu einer ausgewachsenen Bankenkrise ausweiten? Wohl kaum, argumentiert etwa der China-Experte und Ökonom Michael Pettis in einer aktuellen Stellungnahme. Pettis mahnt schon lange, dass der jahrelange Investment-Boom in China nicht nachhaltig ist (knapp die Hälfte der Wirtschaftsleistung wird durch Investitionen erzielt, Quelle: UN). Diese Investitionen werden meist auf Pump finanziert. Das ist nicht weiter schlimm, weil China ein Netto-Sparer ist, und über die Banken viele Projekte quersubventiontiert werden. Allerdings werden zum Teil höchst unrentable Projekte in Angriff genommen, um das Wachstum hochzuhalten, der tatsächliche Wohlstand aber dürfte deutlich langsamer zunehmen.

So kritisch der Ökonom Pettis auch sein mag, für ihn ist eine ausgewachsene Finanzkrise wie in den USA oder Europa in China kaum vorstellbar. Der Grund: Nach wie vor hat China keinen liberalisierten Finanzmarkt. Eine Vertrauenskrise wie 2008 kann daher von den Behörden abgestellt werden, selbst wenn sich die Verluste der jahrelangen Immobilien-Spekulation in China als riesengroß herausstellen sollten. Pettis erwartet sich, dass die chinesische Zentralbank jegliche Unsicherheit unterdrücken wird: "Die Zentralbank hat noch die Mittel, um zu verhindern, dass sich eine kurzfristige Liquiditätskrise in eine ausgewachsene Bankenkrise auswächst." Dazu kommt die Liquidität im System, etwa von den Einlagen, die wohl nach wie vor bleibt.

Tatsächlich scheint es sich bei der Liquiditätskrise um einen politischen Druck zu handeln. Die Zentralbank hat bis dato offenbar kaum interveniert, weil sie die hohen Zinsen im Interbankenmarkt gut findet. Denn eine Liquiditätsklemme könnte das zuletzt wieder rapide Kreditwachstum (gerade im Schattenbankensystem und bei unregulierten Wertpapierprodukten) drosseln. Denn hier hat die Regulierung in China (allen voran die Zentralbank) einige Schlupflöcher gelassen, etwa für Wertpapierprodukte und das Schattenbanksystem. Zudem wurden jahrelange ausländische Kapitalflüsse in China in exotische Finanzkonstrukte umgeleitet. Dabei ist das erklärte Ziel der neuen Regierung: etwas weniger Wachstum der Wirtschaft, dafür mehr Nachhaltigkeit (darunter fällt auch geringeres Kreditwachstum).

Die wirkliche Frage ist, wie lange Chinas Währungshüter eine Liquiditätskrise lodern lassen. Denn klar ist auch, dass eine Dauerkrise nicht nur am Vertrauen rüttelt, sondern auch die Finanzkraft der Geldinstitute schwächt. Am Ende könnten die Kollateralschäden zu groß sein. Denn mit der Geldpolitik und steigenden Zinsen das zu erreichen, was die Finanzregulierung verpasst hat, ist riskant.