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Roboter-Robbe Emma ist eine japanische Erfindung. Die mit verschiedenen Sensoren ausgestattete "Maschine" wird für therapeutische Zwecke im Umgang mit Demenzkranken eingesetzt.

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Unter dem Namen Paro gibt es Emma auch im japanischen Zukunftsmuseum Miraikan zu sehen.

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Almut Mangold: Das marktwirtschaftliche Prinzip dürfte in Einrichtungen, deren Aufgabe die Betreuung von Menschen ist, nicht angewandt werden.

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Almut Mangold hat ein halbes Jahr als Pflegehelferin und Leasingkraft die Welt der Altenpflege in deutschen Pflegeheimen mit klingenden Namen wie Waldesruh, Haus Lebensbaum, Haus Jungbrunnen oder Waldschlösschen hautnah erlebt.

Wie es ihr dabei erging, erzählt sie in einer erschreckenden und berührenden Reportage im "SZ-Magazin". Mangold schreibt von Arbeit, die nach Fließbandarbeit klingt, nur noch anstrengender, von unglücklichem Personal und ebensolchen Betreuten. Die Ökonomisierung der Betreuung von alten Menschen geht Ihrer Erfahrung nach mit einem Druck einher, der Menschliches nicht zulässt. Betreuung könnte und müsste neu geregelt werden, ist sie überzeugt.

derStandard.at: Sie haben einige Monate Schwerarbeit hinter sich. Seit Sie Alte und Gebrechliche als Pflegehelferin betreut haben: Graut Ihnen vor dem Altwerden?

Mangold: Nein, ich wüsste damit umzugehen. Ich werde Pflegebedürftigkeit vermeiden, hoffentlich geistig und körperlich fit und neugierig bleiben und, wenn doch nötig, abkürzen.

derStandard.at: Sie schreiben von Menschen, die abzufertigen sind, damit die Zeit reicht, die für ihre Versorgung anberaumt ist; Sie berichten von "Insassen", die quengeln, unglücklich sind, widerborstig und gemein. Bis auf die emotionale Haltung einer Fachkraft, die darunter litt, dass man nach einem Management-Wechsel seine Klienten nicht mehr ausreichend versorgen konnte, beschreiben Sie kein einzig positives Erlebnis. Ist dieses System von Grund auf falsch?

Mangold: Der Begriff "Insassen" bezog sich auf das erste von mir beschriebene Haus. Es ist in diesem Fall die Architektur dieser Einrichtung für die unterste Gesellschaftsschicht, die die Bewohner zu "Insassen" macht. Diese Menschen sind zwar gewöhnungsbedürftig, aber oft angenehmer, liebevoller und herzlicher als die "Premium-Class-Kunden".

Ich hatte die Erfahrung als Leasingkraft. Leasingkräfte sind nicht in das Team integriert und werden hauptsächlich von Einrichtungen gekauft, bei denen Leitung und Arbeitsklima schlecht sind: Unzufriedenheit und Stress führen häufiger zu Krankheitsausfällen, besonders an den Wochenenden.

Und ja, das System ist insofern falsch, als es Menschen in einen Rhythmus zwingt, als seien sie Maschinen. Wer hat das erfunden? Weder Pflegepersonal noch die zu Pflegenden können das ertragen.  Ich habe keinen Bewohner in den Altenheimen getroffen, die mit ihrer Situation glücklich waren, nur ab und zu solche, die vom Charakter her optimistisch, freundlich und dankbar sind.

derStandard.at: Nun verwundert es nicht, dass auch die Betreuung alter Menschen ökonomisiert wird. Dem entspricht wohl: Wer mehr Geld hat, bekommt bessere Betreuung. Sind Premium-Class-Kunden zufriedener?

Mangold: Die Premium-Class-Kunden können sehr herrisch und verwöhnt sein. Aber auch diese Kunden erhalten nicht den individuellen und zeitlichen Aufwand, den sie wünschen.

Das Pflegepersonal hat für Kunden aus hohen gesellschaftlichen Kreisen manchmal eine besondere Ausbildung. Dort lernen sie, mit deren Wünschen - der Arroganz, den Launen - "richtig" umzugehen, und sie sind stolz darauf. Das ist dann Teil ihrer Fließbandarbeit.

derStandard.at: Manche Betreute bauen rasch ab, weil ihnen bestimmte Trainings nicht mehr zuteilwerden. Ist das nicht ein Teufelskreis, weil solche Menschen dann noch rascher noch pflegebedürftiger werden, der Aufwand für ihre Betreuung noch höher wird?

Mangold: Die Pflege für Bettlägrige ist weniger zeitintensiv, dauerhaftes, fachgerechtes Training kostet viel mehr. Manchmal bemühen sich Familien intensiv um weitere Leistungen oder zahlen das privat.

derStandard.at: Voraussetzung für Ihre Reise durch die Pflegeheime mit klingenden Namen wie Haus Jungbrunnen, Waldschlösschen und Seniorenresidenz Liliengarten war ein 400-stündiger Vorbereitungskurs.

Mangold: 400 Stunden ist die Basisqualifikation für Pflegehelfer. Pflegefachkräfte haben eine dreijährige Ausbildung und regelmäßig Fortbildungen.

derStandard.at: Waren Sie vorbereitet auf das, was Sie erwartete?

Mangold: Ich war und bin schockiert. Ich hätte mir einen menschlichen Umgang vorgestellt. Auch das gut ausgebildete Pflegepersonal möchte freundlich sein und mit entsprechend mehr Zeit mit den Alten umgehen - so, wie es gelehrt wird. Durch den Zeitdruck ist das nicht möglich. Ich habe keine zufriedenen Pflegekräfte getroffen, aber vielleicht gibt es sie irgendwo. 

derStandard.at: Wie kann es sein, dass das gesamte Heer an Betreuenden sich gegen solche Bedingungen nicht zur Wehr setzt?

Mangold: Doch, es gibt einige, die sich wehren und ihre Meinung sagen. Im Allgemeinen haben sie jedoch nach der Arbeit wenig Zeit, wenig Energie, teilweise wenig Ausbildung, wenig Wissen um Rechte, zu selten politisches Bewusstsein oder nicht die Möglichkeit, sich effektiv zu organisieren. Mit lächerlichen Lohnerhöhungen durch Unterstützung der Gewerkschaften wird sich die Lage nicht grundsätzlich ändern.

Manche versuchen, das Beste für sich herauszuholen und in der Hierarchie aufzusteigen. Manche schämen sie sich für ihre "niedrige" Arbeit, und andere arbeiten vielleicht gern in "aufopfernder" Tätigkeit. Die meisten Pflegekräfte bleiben nicht lange im Beruf, die Älteren warten auf die Rente. Die Bedingungen verschlechtern sich zusehends.

derStandard.at: Und die Angehörigen erheben ebenfalls keinen Einspruch?

Mangold: Doch, es gibt einige: die, die sich intensiv um ihre Eltern kümmern, und die, die genau hinsehen. Manche scheuen das oder haben selbst zu wenig Zeit. Viele Alte in den Einrichtungen sind weitgehend allein. Die Premium-Class-Kunden sind, soweit sie können, selbstbewusster, kritischer und pochen auf ihre Rechte.

derStandard.at: Sie beschreiben Einrichtungen, in denen nach Ihren Worten das Sterben und der Tod in die marktwirtschaftliche Ordnung eingegliedert wurden. Für Menschlichkeit bleiben da weder Zeit noch Geld. Darunter leiden offensichtlich nicht nur die Patienten, sondern auch die Kollegen und Kolleginnen. Wäre durch bessere Bezahlung zumindest ein kleiner Ausgleich zu schaffen?

Mangold: Das marktwirtschaftliche Prinzip dürfte in Einrichtungen, deren Aufgabe die Betreuung von Menschen ist, nicht angewandt werden. Es müsste mehr Personal geben, und natürlich sollte körperlich und seelisch harte und manchmal unangenehme Arbeit gut bezahlt werden. Bei der Müllabfuhr ist das zweifelsohne der Fall - das ist ja auch ein Männerberuf.

derStandard.at: Maria Hilf heißt eines der Häuser, in denen Sie zugange waren. Wer könnte und müsste wirklich helfen, das System zu ändern?

Mangold: Soziale Einrichtungen sollten grundsätzlich nicht gewinnorientiert arbeiten, sondern komplett über Steuern finanziert werden. Es gibt bessere Modelle, zum Beispiel Wohngemeinschaften, die nicht teurer sein müssen. Ein verpflichtendes soziales Jahr im Altersheim für alle wäre sinnvoll, um sich Pflegekenntnisse und Bewusstsein über das Altern und den Tod konkret aneignen zu können. Darüber hinaus sollten Entscheidungsträger - Manager und Politiker - als Bedingungen für einen Aufstieg in der Hierarchie pflichtgemäß alle fünf Jahre im "Sabbatical" inkognito in solchen oder ähnlichen Einrichtungen arbeiten.

derStandard.at: Müssten Sie jetzt Pflege für einen Ihrer Angehörigen organisieren, wie würden Sie es machen?

Mangold: Ambulant und wenn möglich von der Familie zu Hause betreuen. Das heißt in der Konsequenz, dass Eltern ihre Kinder liebevoll erziehen sollten, damit sie im Alter ebenso von ihren Kindern behandelt werden. Wenn die Pflege zu Hause nicht möglich ist, wäre der Aufenthalt in Wohngemeinschaften mit viel Mitbestimmung und familiärer Einbeziehung die bessere Lösung.

derStandard.at: Ihre Reportage klingt, als ob von Autoproduktion die Rede wäre. Die Arbeit ist zerlegt in definierte Arbeitsschritte. Nur, dass es dabei eben um Windelwechseln, Waschen, Wasserlassen geht. 100 Jahre nach der Erfindung des Fließbandes scheint es so weit zu sein, dass wir die Betreuung unserer Eltern und Großeltern als Fließbandarbeit erledigen lassen. Wenn Sie Ihrer Fantasie freien Lauf lassen, was erwarten Sie noch im Pflegebereich?

Mangold: Roboter-Schmusetiere und -Kellner werden bereits getestet. (Regina Bruckner, derStandard.at, 1.7.2013)