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"Seit den Bildungsstandards geht's in der Klasse nur noch darum, die Tests möglichst positiv zu bestehen", kritisiert eine Mutter.

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Wien - Als der elfjährige Michael (Name geändert) am 28. Mai betrübt vom Schulunterricht nach Hause kam, dachten die Eltern, sie hören nicht recht: Enttäuscht erzählte ihr Sohn, dass er diesen Morgen beim Bildungsstandardtest nicht teilnehmen durfte. Während alle anderen Viertklässler die Mathematik-Überprüfung schrieben, sollte er im Klassenraum für eine bevorstehende Schularbeit üben. Michael fühlte sich ausgegrenzt und als "dummer Schüler" stigmatisiert.

Tatsächlich verlief Michaels Entwicklung nicht normgemäß, weshalb der Viertklässler noch bis Ende des Jahres als Integrationsschüler läuft. Doch bereits jetzt wird er in allen Fächern im Rahmen des regulären Volksschulplans unterrichtet - und wäre dementsprechend verpflichtet, auch an den Bildungsstandardtests teilzunehmen. Nur Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf oder mangelnden Deutschkenntnissen sind davon ausgenommen. Heuer wurden erstmals alle 79.000 Viertklässler der österreichischen Volksschulen in Mathematik getestet.

Verunsicherung der Lehrer

Am nächsten Morgen stellte Michaels Vater die Lehrerin zur Rede. Unter vorgehaltener Hand erfuhr er, dass die Pädagogin Angst hatte, ein leistungsschwacher Schüler würde den Gesamtschnitt ihrer Klasse runterziehen. Dies wiederum könne negative Rückschlüsse auf ihre Arbeit nach sich ziehen - befürchtet zumindest die Volksschullehrerin.

"Das ist klassische Exklusion. Solch eine Vorgehensweise führt die Bildungsstandards ad ad absurdum", meint der enttäuschte Vater. Michaels Mutter fügt an: "Seit den Bildungsstandards geht's in der Klasse nur noch darum, die Tests möglichst positiv zu bestehen. Da sind die schwächeren Schüler nur mehr im Weg." Die Lehrerin möchte sich dazu nicht äußern, die Eltern von Michael wollen anonym bleiben.

Handelt es sich hier um einen Einzelfall, oder versuchen Lehrer gezielt, aus subjektiv gefühltem Leistungsdruck heraus die Testergebnisse mit allen Mitteln nach oben zu drücken?

Exzessive Vorbereitung

Dem Stadtschulrat in Wien sind keine weiteren Fälle bekannt. Es wird darauf verwiesen, dass alle Lehrer bereits im Vorfeld der Bildungsstandardtests vollständige Schülerlisten an das für die Erhebung zuständige Bundesinstitut für Bildungsforschung, Innovation und Entwicklung (Bifie) schicken müssen. Dies erschwere den Ausschluss einzelner Schüler.

Beim österreichischen Dachverband der Elternvereine gingen insgesamt 36 Anrufe rund um die Bildungsstandardtests von klagenden Eltern und Elternvertretern ein, der häufigste Kritikpunkt war die Vorbereitung der Lehrer: In vielen Schulen wurden Unterrichtsstunden anderer Fächer gestrichen, um die Klasse gezielt auf den Bildungsstandardtest in Mathematik vorzubereiten - oder die Testergebnisse zu manipulieren, wie erboste Eltern vermuten.

"Die Lehrer nehmen sich so die Chance, herauszufinden, wie gut ihre Arbeit tatsächlich ist. Das sind latente Versagensängste einiger weniger Lehrer, die sich da äußern", meint Andreas Ehlers vom Dachverband der Elternvereine.

Allerdings sei eine solch überstürzte Vorbereitung nicht zielführend: "Grundsätzlich geht's bei den Bildungsstandardtests um nachhaltig verfügbare Kompetenzen, die man in den ersten vier Jahren aufbauen soll - die kann man sich nicht innerhalb weniger Tage oder Wochen aneignen", erklärt Simone Breit vom Bifie.

Dem Lehrer zuzuordnen

Die Verunsicherung der Lehrer würde vor allem im Umgang mit den Daten wurzeln, meint Paul Kimberger von der Lehrergewerkschaft. Die an sich anonymen Ergebnisse der Tests werden in den jeweiligen Schulforen veröffentlicht, was gerade bei kleineren Schulen Klassenresultate direkt auf den jeweiligen Lehrer zuordnen lässt. Lehrer könnten daher befürchten, an den Pranger gestellt zu werden.

Generell warnt Kimberger davor, die Ergebnisse der Bildungsstandardtests als in Stein gemeißelte Weisheiten zu betrachten: "Es können zwar Indikatoren herausgelesen werden, in welche Richtung unser Schulsystem tendiert - aber in der Schule geht es um Menschenbildung, da ist nicht alles messbar." (Fabian Kretschmer, DER STANDARD, 26.6.2013)